Griechenland führt die Sechstagewoche ein

Die Viertagewoche ist in manchem europäischen Land das Zauberwort für eine Arbeitswelt, die mehr Gleichgewicht zwischen Freizeit und Beruf sowie eine höhere Produktivität bringen soll. Griechenland jedoch geht einen anderen Weg und wechselt am 1. Juli von der Fünf- auf die Sechstagewoche. Ein im vergangenen September verabschiedetes Gesetz erlaubt es den griechischen Unternehmen künftig, in einer Woche einen zusätzlichen Achtstundentag einzulegen – gegen einen Lohnaufschlag von 40 Prozent an einem Samstag und von 115 Prozent an einem Sonn- oder Feiertag. Die Arbeitszeitverlängerung erfolgt auf freiwilliger Basis, die Arbeitnehmer müssen zustimmen. Griechenland, das eine Regelarbeitszeit von 40 Stunden in der Woche hat, will damit gegen den Fachkräftemangel vorgehen.

Die Griechen arbeiten nach den Statistiken von OECD und Eurostat auch mit einer Fünftagewoche mehr als die Menschen in den meisten anderen EU-Ländern, sowohl in Bezug auf die Wochen- als auch auf die Jahresarbeitszeit. Je Beschäftigten liegt die Jahresarbeitszeit sogar über den Vereinigten Staaten. Und nun wird es noch mehr.

„Solche Maßnahmen haben wir schon lange gefordert“

„Ziel ist es, dass vor allem Industrieunternehmen mit rotierender Schichtarbeit und hoch spezialisiertem Personal ihre Abläufe nicht unterbrechen müssen“, berichtet das Arbeitsministerium in Athen auf Anfrage. Dabei wird betont, dass die Mindeststandards in der EU weiterhin eingehalten werden sollen: Dazu gehört die Obergrenze von 48 Arbeitsstunden in der Woche, die allerdings nur als Durchschnittswert über vier Monate hinweg gilt; zeitweise dürfen die Unternehmen also über die Grenze hinausgehen. Außerdem habe jeder Arbeitnehmer weiter das Recht auf elf zusammenhängende arbeitsfreie Stunden pro Tag oder Nacht sowie auf 24 Stunden alle sieben Tage, berichtet das Arbeitsministerium.

Neben der Erleichterung für die Unternehmen soll die Maßnahme auch die Schwarzarbeit eindämmen. Denn etliche Unternehmen würden heute schon mehr arbeiten lassen als erlaubt. „Nun wird diese Extraarbeit aus der Schatten- in die legale Wirtschaft gebracht“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums.

Der Arbeitgeberverband ist zufrieden. „Solche Maßnahmen haben wir schon lange gefordert“, berichtet ein Sprecher. Branchen wie Pharma, Chemie und Tourismus, die ein hohes saisonales Geschäft oder volle Auftragsbücher mit wenig Personalressourcen haben, seien „mit dieser Regelung sehr zufrieden“, ergänzt Athanassios Kelemis, Geschäftsführer der deutsch-griechischen Handelskammer in Athen. Gewerkschaften und das linke politische Lager lehnen die Sechstagewoche dagegen ab.

Sie beklagen teilweise „ausbeuterische Zustände“ für wenig qualifizierte Kräfte in der Tourismusbranche sowie die Gefahr des Burn-outs der Beschäftigten. Denn das neue Gesetz bietet auch die Möglichkeit, dass die Griechen einen Zweitjob annehmen, der täglich bis zu fünf Stunden in Anspruch nehmen kann, was zu einem Arbeitstag von bis zu 13 Stunden führen könne. Dies ist ebenfalls ein Versuch, die Leute aus der Schwarzarbeit zu holen. Das Lohnniveau ist in Griechenland weiterhin niedrig; daher sind nicht wenige zu einem Nebenverdienst gezwungen, besonders in Zeiten der hohen Inflation. Sie hat die Griechen besonders leiden lassen, auch weil die Angebote in den Supermärkten infolge fehlenden Wettbewerbs zwischen den Ketten vergleichsweise teuer sind.

Als die Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis das neue Gesetz im vergangenen September mit knapper Mehrheit im Parlament durchgebracht hatte, riefen die Gewerkschaften zu Streiks und Demonstrationen auf, doch eine breitere Bewegung wurde daraus nicht. Dabei enthält das Gesetz mehr als eine Kröte, die für die Arbeitnehmerorganisationen schwer zu schlucken ist. So können die Arbeitgeber einen Beschäftigten künftig nur mit einer Frist von 24 Stunden zum Erscheinen am Arbeitsort aufrufen. Kein Arbeitnehmer darf auch einen Kollegen an der Arbeit hindern, was besonders die Streikfähigkeit der Gewerkschaften mindern soll.

Die prominente Linkspolitikerin Effie Achtsioglou spricht von einem „großen sozialpolitischen Rückschritt“. Der sei keine Überraschung, weil die Regierung Mitsotakis schon vorher den Arbeitsmarkt liberalisiert habe und etwa unbezahlte Überstunden sowie Entlassungen ohne Begründungen erlaubt habe; auch Branchentarifverträge habe sie quasi abgeschafft. „Diese Politik ist nicht nur sozial ungerecht, sondern auch wirtschaftlich ineffektiv. Die Arbeitsproduktivität in Griechenland ist eine der niedrigsten in der EU, während die griechischen Arbeitnehmer bereits die längsten Arbeitszeiten in Europa haben“, sagte sie der F.A.Z.

Dass die Griechen auf ihren Produktivitätsrückstand nicht nur mit billiger Arbeit antworten können, findet auch der AHK-Geschäftsführer Kelemis: „Griechenland muss sich auf das Thema Produktivität und Automatisierung der Prozesse konzentrieren, anders erhöht sich die Wettbewerbsfähigkeit des Landes nicht nachhaltig. Dies kann gegebenenfalls auch zu einer Reduzierung der Arbeitsstunden führen“, meint er.

Die griechische Arbeitslosigkeit ist in den letzten Jahren erheblich gesunken, sie liegt mit gut 10 Prozent aber noch auf hohem Niveau. Die Ausbildungsprofile stimmen oft nicht mit dem Bedarf der Unternehmen überein. Zudem hat Griechenland durch Auswanderung in den Krisenjahren des vergangenen Jahrzehnts Hunderttausende von Arbeitskräften verloren; Neugeborene gleichen das nicht aus. 2022 verzeichnete das Land seine geringste Geburtenrate seit 92 Jahren.

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