Menschen auf der ganzen Welt sehen wirtschaftliche Ungleichheit als herausragendes Problem an. Das zeigt eine Umfrage der Meinungsforscher von Pew Research in 36 Ländern unter 45.000 Befragten. Demnach stimmten im Mittel 54 Prozent der Erwachsenen der Einschätzung zu, dass die Kluft zwischen Arm und Reich ein „sehr großes Problem“ ist, immerhin weitere 30 Prozent stuften die Ungleichheit als ein „einigermaßen großes Problem“ ein. In keinem der 36 untersuchten Länder gab ein höherer Prozentsatz der Befragten an, dass Ungleichheit mindestens ein „einigermaßen großes Problem“ sei, als in Deutschland mit 92 Prozent. 61 Prozent sagten sogar, dass sie ein „sehr großes Problem“ sei.
Die Reichen sorgen dafür, dass die Kluft so groß bleibt, indem sie die Politiker bearbeiten: Das ist die Ursachendeutung der wirtschaftlichen Ungleichheit, die in der Umfrage am meisten Anklang fand. Rund 60 Prozent teilen die Analyse, dass reiche Personen zu viel politischen Einfluss haben und dadurch im großen Maße zur Ungleichheit beitragen. In 31 der 36 Länder war das die Deutung, die unter sechs angebotenen Erklärungen die mit Abstand größte Resonanz fand. Die Befragungen fanden im Frühjahr 2024 statt und berücksichtigen deshalb jüngere Entwicklungen wie etwa den Zuwachs an politischer Macht für den amerikanischen Milliardär Elon Musk in den Vereinigten Staaten nicht, dafür aber die Stimmungslage in vielen Ländern, in denen Wahlen anstanden.
Die Meinungserforschung zeigt überdies, dass in fast allen Ländern eine Mehrheit große Veränderungen des Wirtschaftssystems befürwortet und weitere 20 Prozent sogar für eine komplette Reform sind. Das gilt besonders ausgeprägt für arme Länder wie Nigeria, Kenia, Ghana, Tunesien und eine Handvoll lateinamerikanischer Nationen, wo zwischen 80 und 90 Prozent Reformen befürworten. Aber die Sehnsucht nach Umbruch ist auch in reichen Ländern groß. In Deutschland wollen immerhin 68 Prozent mindestens eine große Veränderung, zehn Prozentpunkte davon streben sogar eine komplette Reform des Wirtschaftssystems an. In drei der 36 untersuchten Länder allerdings fühlt die Bevölkerung keinen großen Reformdruck: in Schweden, in den Niederlanden und in Singapur.
Die Zukunftsängste sind überall groß
Die Zukunftsängste sind ebenfalls groß, speziell in reichen Ländern. Die Mehrheit der Befragten dort glaubt, dass es ihren Kindern schlechter gehen wird als ihnen selbst. Unter den europäischen Befragten bilden nur die Polen eine Ausnahme, die an eine bessere Zukunft für ihre Kinder glauben, während in England, Frankreich und Italien 80 Prozent der Befragten erwarten, dass es den Kindern schlechter geht. In Deutschland ist der Pessimismus etwas niedriger ausgeprägt mit 61 Prozent, die für ihre Nachkommen schlechtere Zeiten vorhersagen. Trüber noch werden die Aussichten in Kanada und den USA gesehen, mit 78 Prozent. Der Optimismus ist für die asiatischen Schwellenländer Indien, Bangladesch und Indonesien reserviert, wo mehr als 70 Prozent der Erwachsenen damit rechnen, dass es ihren Kindern besser gehen wird als ihnen selbst.
Dass Ungleichheit auf den zu großen Einfluss von Reichen zurückzuführen ist, glauben in Deutschland immerhin 57 Prozent. Doch hier finden auch andere Erklärungen Gewicht: Schwächen im Bildungswesen sehen 52 Prozent als Faktor an, immerhin 40 Prozent glauben, dass einige Menschen einfach härter arbeiten als andere und damit eine Einkommenskluft entsteht. Für weitere 39 Prozent spielt dieser Faktor zumindest eine gewisse Rolle.
Diskriminierung gegen ethnische oder religiöse Minderheiten hat nach Ansicht der in Deutschland Befragten nur einen geringen Einfluss auf die Ungleichheit, ebenso das Aufkommen von Robotern, die Menschen am Arbeitsplatz verdrängen. Eine größere Rolle spielt dagegen, dass einige in bessere Verhältnisse hineingeboren wurden als andere.
Die Umfrage bestätigt die Stimmungslage einer im Juni 2024 veröffentlichten Befragung von Pew Research, der zufolge rund zwei Drittel der Befragten in 34 Ländern die ökonomische Lage ihres Landes als schlecht einstuften. Die Ausnahmen bildeten Polen, Schweden und die Niederlande, deren Bürger positiv in die Zukunft blickten. In Deutschland stuften 61 Prozent die Wirtschaftslage als schlecht ein. In kaum einem Land hatte sich die Stimmung gegenüber 2023 so stark verschlechtert wie hier.