Volkswagen will die Löhne und Gehälter um zehn Prozent senken, drei Werke schließen und trotzdem noch zehntausende Stellen streichen. Wie kann man als Gewerkschaft in so einer Situation sieben Prozent Gehaltszuwachs fordern, Frau Boguslawski?
Was da von Volkswagen kommt, ist ein Skandal. Es sollen ja individuell für die Beschäftigten sogar bis zu 18 Prozent Minus sein, je nachdem welche einzelnen Regelungen noch gestrichen werden sollen. Wir sind vor allem von der Bulldozer-Mentalität schockiert, mit der die Mitbestimmung weggewalzt wird sowie die traditionell gute Sozialpartnerschaft. Aber: Das eine ist der Haus-Tarifvertrag bei Volkswagen, einem Konzern mit durch das Management selbst verursachten Problemen. Das andere sind die Verhandlungen für die gesamte Metall- und Elektroindustrie mit ihren vier Millionen Beschäftigten.
Blicken wir also aufs ganze Land, und da ist eben auch die Autoindustrie prägend – und es hat ja nicht nur VW Probleme. Da ist wenig Licht am Horizont zu sehen.
Genau deswegen passt ein Entgeltzuwachs von sieben Prozent sehr gut. Alle Ökonomen sagen, dass es für wirtschaftliches Wachstum jetzt privaten Konsum braucht. Schnelle und spürbar höhere Einkommen sind also für alle geboten.
Ob die Menschen das zusätzliche Geld wirklich ausgeben, ist aber keineswegs sicher. Die Sparneigung ist groß. Insofern scheint es logisch, dass zumindest die Unternehmen mit schwierigen Perspektiven am liebsten in den nächsten Monaten gar nichts drauf legen wollen.
Das im dritten Quartal jetzt leicht verbesserte Wirtschaftswachstum liegt genau am Konsum. Das muss verstetigt werden, dafür brauchen die Beschäftigten sichere Einkommensperspektiven. Dagegen ist das Mager-Angebot der Arbeitgeber über 27 Monate Laufzeit zu lang, es ist zu wenig und zu spät. Die erste Erhöhung käme erst im Juli 2025. Und mit 1,7 Prozent wäre damit ja noch nicht einmal die erwartete Inflationsrate ausgeglichen. So steigert man keine Kaufkraft.
Kann es sein, dass die Arbeitgeber so einen klaren Ruck spüren müssten, eine Sicherheit, dass sie nicht den Tariffrieden erkaufen mit einem Abschluss, der viele Unternehmen in einer schwierigen Situation überfordern könnte?
Die Arbeitgeber haben ihr Angebot tatsächlich mit der Forderung nach einer weitgehenden und automatischen Differenzierung tariflicher Leistungen verknüpft. Dieses Verfahren ist 2021 als Reaktion auf die durch die Corona-Pandemie verursachte Krise entwickelt worden und dann bis 2024 verlängert worden. Dabei können Unternehmen bestimmte „T-Zug B“ genannte Sonderzahlungen hinauszögern oder sogar entfallen lassen, wenn die Nettorendite unter 2,3 Prozent sinkt. Wir haben in der Metall- und Elektroindustrie schon umfangreiche Differenzierungsmöglichkeiten. Vor 20 Jahren wurde das „Pforzheimer Abkommen“ geschlossen. Das bietet die Möglichkeit, dass Betriebsrat und IG Metall mit dem Unternehmen gemeinsam Zukunftsperspektiven entwickeln. Beschäftigte leisten also mit der IG Metall ihren Beitrag für sichere Beschäftigung. Bei der jetzigen Forderung wollen die Arbeitgeber aber alleine entscheiden, ob und wann sie eine Sonderzahlung leisten. Das ist mit „automatisch“ gemeint.
Das hört sich so an, als ginge es Ihnen auch um Macht und Einfluss der Gewerkschaft?
Nein, es geht um gelebte Sozialpartnerschaft statt bloße Renditesicherung. Es ist keine Neuigkeit, dass es neoliberale Kräfte gibt, die das nicht so gut finden. Als IG Metall haben wir eine Grundexpertise darin, mit dem Sachverstand der Beschäftigten Unternehmen weiter zu entwickeln. Wir alle wollen die Unternehmen ja erhalten. Bei der automatischen Differenzierung dagegen geht es nur darum, dass sich Unternehmen kurzfristig etwas Luft verschaffen und die Liquidität schonen. Das ist keinerlei nach vorne gerichtete Kreativleistung.
Die Positionen liegen also noch meilenweit auseinander, wie es aussieht. Insofern waren die Friedenssignale, das gegenseitige Lob über konstruktive Gespräche womöglich etwas verfrüht. Glauben Sie, ein Abschluss ist in der vierten Verhandlungsrunde möglich? Und wo könnte der Pilotabschluss am ehesten erzielt werden?
Es ist enttäuschend, dass in Hannover, wo die dritte Verhandlungsrunde startete, und auch in Kiel die Arbeitgeber überhaupt kein Entgegenkommen beim wichtigen Thema Geld zeigten. Und wir haben auch gespürt, dass die Gegenseite enttäuscht war. Jetzt warten wir mal ab, wie es diese Woche in den anderen Bezirken läuft, deswegen ist die Frage nach dem Pilotbezirk noch gar nicht zu beantworten. Wir bewegen uns einstweilen vor die Werkstore und wollen mit Warnstreiks Bewegung am Verhandlungstisch erzeugen. Ich würde sagen, die Lage ist schwierig, aber nicht hoffnungslos.
Die IG-Metall-Chefin Christiane Benner hat von der Berliner Regierungskoalition als einem Hühnerhaufen gesprochen. Wissen Sie es in der Metallbranche besser, wie man Krisen bewältigt?
Wir sind zwei Verhandlungspartner und nicht drei, das hilft vielleicht schon mal. Und wir Tarifvertragsparteien kennen unsere Verantwortung aus jahrelangen Auseinandersetzungen. Unser Interesse ist jedenfalls, zügig zu einem guten Abschluss zu kommen und mit besserer Kaufkraft die Konjunktur zu stabilisieren. Dazu wäre es übrigens auch hilfreich, wenn von der Berliner Koalition eine Konkretisierung käme, wie es in der Industriepolitik weitergehen soll. Der Unterschied ist vielleicht: Bei Tarifverhandlungen beschleunigen Warnstreiks ein gutes Ergebnis.