Der Lebensmittellieferdienst Getir und die zum Unternehmen gehörende Marke Gorillas steht übereinstimmenden Medienberichten zufolge in Deutschland vor dem Aus. Einige der 1800 Angestellten von Getir in Deutschland hätten Anfang dieser Woche bereits ihre Kündigungen erhalten, berichtete die „Wirtschaftswoche“ am Mittwoch. Auch in den anderen noch aktiven europäischen Märkten in Großbritannien und den Niederlanden soll der Betrieb bis Mitte Mai eingestellt werden. Was mit der erst vor wenigen Monaten gekauften US-Gesellschaft Fresh Direct passiert, ist noch nicht klar. Getir äußert sich zu den Berichten bislang nicht.
Einem Bericht des britischen Mediums „Sky News“ zufolge haben die Bestandsinvestoren Getir dazu gedrängt, sich auf den besser laufenden türkischen Heimmatmarkt zu konzentrieren. Dazu gehören namhafte Investoren wie Sequoia und Tiger Global sowie Mubadala, der Staatsfonds Abu Dhabis. Für die Abwicklung der europäischen Gesellschaften soll Getir im Gegenzug nochmal einen deutlich zweistelligen Millionenbetrag erhalten. Getir wurde 2015 in der Türkei gegründet. Seit 2021 fahren die Lieferanten des Unternehmens auch auf deutschen Straßen Lebensmittel aus.
Getir hatte erst vor anderthalb Jahren den in Deutschland deutlich bekannteren, aber damals kurz vor dem finanziellen Kollaps stehenden Anbieter Gorillas übernommen. Das sollte eigentlich dabei helfen, auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen. Das Kalkül scheint nicht aufgegangen zu sein. Im Sommer 2023 verkündete das Unternehmen dann den Rückzug aus Spanien, Portugal und Italien. Erst im vergangenen September entließ Getir 2500 Mitarbeiter auf seinen Kernmärkten Türkei, dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden, Amerika und Deutschland. Das entsprach damals rund 10 Prozent der Belegschaft.
Flink in besserer Position
Auch beim deutschen Start-up Flink ist Mubadala investiert. Dem Staatsfonds wurde lange nachgesagt, die beiden Beteiligungen Getir und Flink fusionieren zu wollen. Schon im vergangenen Jahr gab es Übernahmeverhandlungen, als Flink in großer Geldnot war. Damals schossen die Bestandsinvestoren Rewe und Doordash 150 Millionen Euro nach. In den letzten Wochen kursierten Gerüchte über eine neue Übernahmeofferte seitens Getir.
Ein Jahr später schien sich der Wind zumindest bei Investor Rewe gedreht zu haben. Während der Vorlage der Jahreszahlen sagte Rewe-Chef Lionel Souque vor zwei Wochen, Rewe würde sich bei einer sehr guten Offerte von seinem Anteil an Flink trennen. „Getir ist jemand, der sich sicherlich für Flink interessiert“, sagte der Rewe-Chef. Ob Getir sich trotz des Rückzugs noch für eine Flink-Übernahme interessiert, ist ungewiss. Allerdings befinden sich die Deutschen als letzter verbliebener „superschneller“ Lebensmittellieferdienst in Deutschland nun in einer besseren Verhandlungsposition.
Eine kurzlebige Erfolgsgeschichte
Weiterhin auf dem Markt sind Anbieter wie Knuspr, Picnic oder auch das Lieferangebot von Rewe. Statt innerhalb weniger Minuten liefern sie innerhalb von Stunden oder am nächsten Tag. Dadurch lassen sich die Liefertouren effizienter planen und größere Sortimente anbieten. Das sorgt für teurere Warenkörbe, weil eher Wocheneinkäufe statt Heißhungerattacken bedient werden.
In der Pandemie erlebten Lebensmittellieferdienste einen Boom. 2020 gründeten sich superschnelle Lebensmittellieferdienste wie Gorillas oder Flink. Sie versprachen, Joghurtbecher oder Zahnpasta innerhalb von zehn Minuten in die eigenen vier Wände zu liefern. Das kam während der Pandemie gut an. Investoren hofften auf hohe Gewinne. Gorillas und Flink erreichten in Rekordgeschwindigkeit Einhorn-Status, Investoren bewerteten sie also mit mehr als 1 Milliarde Euro. Einen Gewinn erzielt bislang allerdings noch keiner der Anbieter, auch Getir nicht.
Das Unternehmen verbrennt immer noch im großen Stil Geld. In der Branche herrscht ein harter Verdrängungswettbewerb. Um Kunden zu gewinnen, tragen die Lieferdienste Rabattschlachten aus. Das kostet sie viel Geld. Außerdem machen den Unternehmen steigende Preise und hohe Personalkosten zu schaffen.
Der Rückzug Getirs aus Europa bedeutet auch das endgültige Aus der kurzlebigen Erfolgsgeschichte von Gorillas. Während des Hochlaufs 2020 und 2021 expandierte das Start-up beinahe wöchentlich in neue Märkte, agierte extrem aggressiv und wurde so in Rekordzeit zum Einhorn, also von Investoren mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet.