Gesundheitssystem: Robert Habeck bittet Aktionäre zur Kasse

Niedrigere Steuern, niedrigere Strompreise und die Rückkehr zum 49-Euro-Ticket: Bislang ist dieser Wahlkampf davon geprägt, dass die Parteien vor allem über Entlastungen reden. Eine Ausnahme ist ein Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der auf mehr Einnahmen für die Sozialversicherungssysteme zielt. Neben dem Arbeitslohn sollen auch Erträge aus Kapitalanlagen sozialversicherungspflichtig werden. Eine entsprechende Vergrößerung der Beitragsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung nannte Habeck am Sonntagabend in der ARD „ein Schritt zu mehr Solidarität innerhalb des Systems“.

Sein Vorstoß stieß verbreitet auf Kritik. „Der Vorschlag macht keinen Sinn“, urteilt die Ökonomin Veronika Grimm, die im Sachverständigenrat die Bundesregierung in der Wirtschaftspolitik berät. „Dies würde insbesondere jene belasten, die ihr Einkommen regelmäßig sparen und investieren, um langfristig Vermögen aufzubauen, beispielsweise für die Altersvorsorge.“ Man wolle doch gerade, dass sich die Menschen stärker am Kapitalmarkt beteiligten. „Dies wäre ein Anreiz genau in die falsche Richtung.“ Eine zusätzliche Belastung von Kapitalerträgen könne außerdem Investitionen unattraktiver machen, warnt sie.

CSU-Chef Markus Söder wies den Vorstoß zurück: „Auf schon einmal versteuertes Geld dürfen keine zusätzlichen Beiträge und Steuern erhoben werden.“ Der frühere Finanzminister Christian Lindner (FDP) bezeichnete es als „verstörend, dass ein Wirtschaftsminister den Aufschwung geradezu sabotiert“. Die Schutzgemeinschaft der Kapi­talanleger warnte, ein solcher Schritt träfe vor allem die Mittelschicht.

„Für normale Sparer ändert sich nichts“

Aktuell ist es so, dass für Pflichtversicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung ausschließlich ihr Bruttolohn für die Bemessung des Krankenversicherungsbeitrags ausschlaggebend ist. Für Angestellte mit einem Bruttojahreseinkommen von mehr als 73.800 Euro (die sich auch privat versichern könnten) oder Selbständige, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, werden heute schon Einkünfte aus Kapitalanlagen oder Mieteinnahmen herangezogen. Unabhängig von der Art der Einkünfte gilt, dass Beiträge nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze erhoben werden. Diese beträgt aktuell 5512,50 Euro im Monat.

Details, wie sie ihren Plan umsetzen wollen, nannten die Grünen am Montag nicht. „Für normale Sparer ändert sich nichts“, versicherte der Ko-Vorsitzende Felix Banaszak, wobei offen blieb, wie viel Kapitaleinkünfte ein Sparer haben darf, um in diese Kategorie zu fallen. Der Sparerfreibetrag, auf den keine Kapitalertragsteuer von 25 Prozent erhoben wird, beträgt 1000 Euro im Jahr. Banaszak sprach von einem Freibetrag „deutlich“ darüber. Andreas Audretsch, Wahlkampfleiter der Grünen, sagte: „Wer seinen Lebensunterhalt hauptsächlich aus Zinsen oder Dividenden bestreitet, sollte auch einen Beitrag leisten, sodass die Krankenversicherung für alle bezahlbar bleibt.“ Es gehe darum, sowohl die arbeitende Bevölkerung als auch die Unternehmen zu entlasten. „Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein.“

In der gesetzlichen Krankenversicherung sind rund 75 Millionen Menschen versichert. Davon zahlen etwa 59 Millionen Beiträge, 16 Millionen sind kostenlos als Familienangehörige mitversichert. Von den Zahlenden sind 6,3 Millionen Mitglieder freiwillig gesetzlich versichert, davon wiederum sind 1,5 Millionen Selbständige. Während beispielsweise ein selbständiger Hausmeister, der auch eine Wohnung vermietet, für diese Einnahmen Krankenversicherungsbeiträge zahlen muss, ist sein angestellter Kollege davon derzeit befreit. Auch freiwillig versicherte Ruheständler zahlen auf ihre Kapitaleinkünfte, etwa Leistungen aus privaten Lebens- und Rentenversicherungen, Beiträge.

Belastung eines Rentners könnte um zwei Drittel steigen

Die Kassenverbände verfügen über keine Zahlen zum Umfang des Personenkreises oder zur Höhe der Beitragseinnahmen aus Kapitalerträgen. Allerdings lassen sich Beispielrechnungen für Rentner anstellen, wenn deren Kapitalerträge verbeitragt würden. Unterstellt wird ein Freibetrag von 1000 Euro im Jahr und ein GKV-Beitragssatz von 17,5 Prozent. Dieser setzt sich aus dem allgemeinen Satz von 14,6 Prozent und dem Zusatzbeitrag von derzeit durchschnittlich 2,9 Prozent zusammen. Berücksichtigt wird, dass die Rentenversicherung 50 Prozent der Kassenbeiträge zahlt.

Ein Ruheständler, der 1010 Euro Rente im Monat bezieht, muss derzeit aus eigener Tasche 88,38 Euro im Monat in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen. Wenn er aus einer kleinen Eigentumswohnung 414 Euro Miete erhält, bleibt das bisher unberücksichtigt. Würde man diese Einkünfte aber, wie Habeck vorschlägt, auch heranziehen, stiege die Belastung des Rentners um zwei Drittel auf 146,25 Euro. Anderes Beispiel: Wer 1855 Euro Rente im Monat bezieht und als private Altersvorsorge noch einmal 1261 Euro Kapitaleinkünfte aus Aktien erzielt, müsste künftig rund 368 statt 162 Euro im Monat an Beiträgen zahlen; das wäre ein Anstieg um 127 Prozent.

Der GKV-Spitzenverband will sich zu der Diskussion nicht äußern. Welche Einkunftsarten zur gesetzlichen Krankenversicherung herangezogen würden, sei eine gesellschaftspolitische Frage, sagte ein Verbandssprecher. „Unsere Aufgabe ist es, diese politischen Vorgaben umzusetzen.“ Gesundheitsökonomen sind skeptisch. „Die Einbeziehung von Zinsen in die Bemessungsgrundlagen der GKV-Beiträge ist eine etwas abgespeckte Variante der Bürgerversicherung, also eigentlich ein alter Hut“, sagt Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. Müssten die Kassen die Zinserträge erheben, wäre das ein „bürokratischer Albtraum“, warnt der Volkswirtschaftsprofessor.

Flucht in die Privatversicherung möglich

Noch vergleichsweise einfach wäre die Nutzung der Finanzamtsdaten zur Kapitalertragsteuer. „Aber so eine Verknüpfung der Versicherten mit ihrer Steuernummer wäre nicht trivial“, sagt Greiner. „Es käme im Effekt einer spezifischen Sondersteuer gleich.“ Ein weiteres Problem sei, dass von den Zinsbeiträgen überdurchschnittlich häufig freiwillig Versicherte betroffen wären. Wenn diese die zusätzliche Belastung zum Anlass nehmen würden, in die Privatversicherung zu wechseln, wäre der Nettoeffekt möglicherweise erheblich geschmälert.

Zum Jahreswechsel haben zahlreiche gesetzliche Krankenkassen den Zusatzbeitrag deutlich erhöht. Im Schnitt zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nun jeweils zur Hälfte 17,5 Prozent des Bruttolohns bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Der Chef der Techniker Krankenkasse warnte kürzlich angesichts der steigenden Ausgaben von einem Anstieg auf bis zu 20 Prozent. Die Grünen sprechen sich schon seit Längerem für eine Bürgerversicherung aus, in die alle einzahlen. Ihr Wahlprogramm, in dem die stärkere Einbeziehung von Kapitalerträgen erwähnt ist, wollen sie auf einem Parteitag am 26. Januar beschließen.

49-Euro-TicketAktienAktionäreAltersvorsorgeAndreasAngestellteArbeitgeberArbeitnehmerARDBevölkerungBielefeldBundesregierungBundeswirtschaftsministerChristianChristian LindnerCSUDividendenEinkommenEuroFDPFelixGeldGesetzliche KrankenversicherungGrimmGrüneHabeckInvestitionenKapitalmarktKrankenkassenKritikLindnerMANMarkusMarkus SöderParteienPrivate AltersvorsorgeRenteRentenversicherungRentnerRobertRobert HabeckSachverständigenratSöderSparenSteuernStrompreiseTechniker KrankenkasseUnternehmenVermögenVeronikaWahlkampfWirtschaftspolitikWohnungWolfgangZinsen