Am Arbeitsmarkt geht es zuweilen zu wie bei den beiden Königskindern in der Volksballade: Eigentlich wollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenkommen, aber etwas Unüberbrückbares liegt zwischen ihnen. Neuen Untersuchungen zufolge können sich ältere Beschäftigte durchaus vorstellen, über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu arbeiten und dadurch den Fachkräftemangel zu lindern. Die Forderungen, die sie als Voraussetzung dafür stellen, erfüllen die Betriebe aber bisher nur unzureichend. Und auch die geltendenden Arbeits-, Steuer- und Sozialgesetze stehen der Weiterbeschäftigung oft im Wege.
Deshalb denken viele Personen im Alter von 50 und mehr Jahren gar nicht daran weiterzuarbeiten, sondern machen sich sogar vorzeitig aus dem Staub: Im neuen Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK) gaben ein Drittel (31 Prozent) der mehr als 1000 Befragten an, schon vor dem regulären Renteneintrittsalter die Segel streichen zu wollen. Nur 17 Prozent möchten länger arbeiten, 47 Prozent warten auf den üblichen Zeitpunkt.
Um den Ruhestand aufzuschieben, verlangen annähernd drei Viertel (74 Prozent) eine Anpassung der Arbeitszeit an ihre individuellen Bedürfnisse, etwa zur Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger. 70 Prozent erwarten vom Arbeit- und Gesetzgeber Unterstützung darin, auch den anschließenden Renteneintritt individuell zu gestalten. Ein höheres Gehalt ist für zwei Drittel wichtig (67 Prozent), folgt aber erst an dritter Stelle. Eingestellt sind die Personalabteilungen auf diese Wünsche nicht. Weniger als die Hälfte von ihnen (49 Prozent) bietet individualisierte Übergänge in den Ruhestand an. Nur in 57 Prozent der Unternehmen existieren flexible Arbeitszeiten, lediglich 38 Prozent der Betriebe bieten höhere Gehälter an.
Dabei braucht die Wirtschaft die Arbeitssenioren dringend. In 46 Prozent der 300 befragten Unternehmen geht in den kommenden fünf Jahren mehr als ein Viertel der Belegschaft in Rente. Mehr als drei Viertel (77 Prozent) gaben an, dass die Bindung des älteren Personals in den kommenden drei Jahren große Bedeutung haben wird. Recht gut läuft es beim Wechsel von Voll- zu Teilzeit sowie bei der Gewährung gesundheitsfördernder Maßnahmen.
Gesundheitsförderung in allen Altersgruppen
Auf diese Wünsche der Belegschaft gehen rund zwei Drittel der Betriebe ein. Der TK-Gesundheitsreport 2024 trägt den Titel „Fachkräftemangel: Was hält die Generation 50+ im Job?“. Entstanden ist er in Zusammenarbeit mit den Instituten IFBG und aQua. Die Stichproben sind nicht repräsentativ. Ausgewertet wurden auch die Abrechnungsdaten der 420.000 in der Kasse versicherten Berufstätigen der Jahrgänge 1948 bis 1956. Diese sind heute 68 bis 76 Jahre alt. Es ergab sich, dass Mitarbeiter mit wenigen Fehlzeiten in ihrer aktiven Zeit im späteren Rentenalter diejenigen sind, die am ehesten noch arbeiten.
Von jenen Versicherten, die sich im Stichjahr 2012 keinen einziger Tag arbeitsunfähig gemeldet hatten, waren mehr als 14 Prozent mit 67 Jahren weiterhin berufstätig. Hingegen galt das nur für 7 Prozent von jenen, die 43 oder mehr Tage krankgeschrieben waren. Von allen berücksichtigten Personen in dieser Altersgruppe arbeiteten fast 12 Prozent während des Ruhestands. Will man dieses Arbeitskräftepotential besser ausschöpfen, sollte man nach Ansicht der Krankenkasse rechtzeitig in allen Altersgruppen Gesundheitsförderung betreiben.
Wer gesund ist, bleibt länger leistungsfähig und motiviert
„Dadurch lassen sich nicht nur kostenintensive Fehlzeiten reduzieren, es gilt auch: Je früher Arbeitgeber gesunde Arbeitsbedingungen schaffen, desto länger bleiben die Beschäftigten motiviert und leistungsfähig“, sagte der TK-Vorsitzenden Jens Baas am Dienstag bei der Vorstellung des Berichts in Berlin „Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist es für Arbeitgeber unerlässlich, die Generation 50 plus noch stärker in den Fokus zu rücken.“ Er nannte ältere Beschäftigte „eine wertvolle Ressource“ für die Unternehmen: „Sie verfügen großes Erfahrungswissen, sind gut vernetzt und haben sich in der Regel über Jahre an ihrem Arbeitsplatz bewährt.“
Der IFBG-Geschäftsführers Fabian Krapf sieht einen klaren Zusammenhang zwischen positiver Unternehmenskultur und dem Wunsch, später als üblich in den Ruhestand zu gehen: „Wer mehr Wertschätzung, Selbstbestimmung und Flexibilität am Arbeitsplatz erlebt, der arbeitet auch länger.“ Unstrittig ist allerdings, dass ältere Arbeitnehmer häufiger krank sind als jüngere. Laut Report fehlten 2023 die über Fünfzigjährigen im Durchschnitt fast 26 Tage, die Jüngeren nur 16 Tage.