Gesundheit | Lars Klingbeil lässt die Krankenkassen am langen Arm verhungern: Frau Warken, sind Sie da


Holte sich bei Lars Klingbeil (nicht im Bild) eine blutige Nase (auch nicht im Bild): Nina Warken

Foto: Jörg Carstensen/dpa


Die Kranken- und Pflegekassen schliddern am finanziellen Abgrund entlang, die Finanzlücken werde immer größer. Doch die schwarz- rote Koalition schaut gemütlich zu und applaudiert derweil den Privaten. Was plant Nina Warken?

Es ist die erste sichtbare Niederlage der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU). Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), der in Sachen Sturheit seinem Vorgänger Christian Lindner( FDP) in nichts nachsteht, bleibt hart. Keine zusätzlichen Bundesmittel, um die Sozialkassen zu stabilisieren, hatte er angekündigt. Dabei ist es geblieben, obwohl Warken sich Mitte Juli noch optimistisch gab. Dem Zusammenschluss der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) billigte Klingbeil lediglich ein Darlehen zu, jeweils 2,3 Milliarden Euro für 2025 und 2026, während die Pflegekasse (Soziale Pflegeversicherung, SPV) mit 0,5 beziehungsweise 1,5 Milliarden Euro auf Pump unterstützt wird. Das hilft den Kassen wenig, weil sie es wieder zurückzahlen müssen, das Finanzdrama wird einfach nur in die Zukunft verschoben. „Reiner Haushaltstrick“, kritisierte Tamara Mazzi von der Linken im Bundestag.

Das Darlehen hilft nicht einmal aktuell, das Defizit der GKV auszugleichen. 2024 schloss sie mit 6,2 Milliarden Euro Defizit ab, was im Januar den höchsten Beitragssprung seit Jahrzehnten nach sich zog. Bereits jetzt wird damit gerechnet, dass die GKV 2027 mit zwölf Milliarden Euro im Minus stehen wird. Auch die SPV laviert am Abgrund, hier fehlen derzeit 1,54 Milliarden Euro, die nur vorläufig durch Beitragserhöhungen kompensiert werden, auch dafür reicht das Darlehen nicht. Erschwerend kommt bei der Pflegekasse hinzu, dass die Eigenanteile der Heimbewohner ins Unendliche steigen, derzeit liegen sie bei bis zu 3.100 Euro, mit steigender Tendenz. Der Ruf nach Reform ist unüberhörbar. Ohne finanzielle Abhilfe wird sich die Beitragsschraube beider Versicherungssäulen weiterdrehen. Das wiederum ist Gift für den Wirtschaftsaufschwung, von dem das Überleben der schwarz-roten Koalition zweifelsfrei abhängt.

Die scheidende Vorsitzende Chefin des Spitzenverbands der GKV, Doris Pfeiffer, hat deshalb im Frühjahr schon ein Ausgabenmoratorium angemahnt. Die Krankenkassen dürften nicht mehr ausgeben, als sie einnehmen, Preissteigerungen und Honorarerhöhungen müssten sich in diesem Rahmen bewegen. Aktuell rechnen die Krankenkassen mit einem Plus von fünf Prozent Einnahmesteigerung. Pfeiffers Nachfolger Oliver Blatt hält an dieser Forderung fest, das sei, sagt er an die Adresse Warkens gerichtet, „gesetzlich relativ einfach zu regeln“.

In der Not wird jetzt über die Beiträge der Bürgergeldbezieher debattiert

Ein solches Moratorium würde zwar den Ausgabenauftrieb dämmen, die aufgelaufenen Defizite allerdings nicht mindern. Deshalb wird eine Trommel, die bislang meist nur in Fachkreisen zu hören war, nun immer lauter gerührt, es geht um die versicherungsfremden Leistungen, für die der Bund nicht ausreichend aufkommt. In Bezug auf die Krankenkassen sind das vor allem die Beiträge für die Bürgergeldbezieher:innen, die nur zu einem Drittel übernommen werden, zehn Milliarden bleiben an der Versichertengemeinschaft hängen.

Dass diese Schulden – wie etwa auch die Vorleistungen der Pflegekasse für Corona-Maßnahmen oder Versicherungsbeiträge für pflegende Angehörige, die als gesamtgesellschaftliche Aufgaben gelten – ausgeglichen werden sollten, ist eigentlich Konsens und steht im Koalitionsvertrag. Die Debatte um die Bürgergeldbeiträge hat inzwischen aber auch eine problematische und spaltende Seite. Indem immer wieder öffentlich darauf hingewiesen wird, dass die Beitragszahlenden die unterfinanzierten Bürgergeldbezieher:innen „mitschleppen“, geraten Letztere einmal mehr in die Position von bittstellenden Alimentierten. Dabei müssten sich doch eigentlich umgekehrt sehr gut Verdienende rechtfertigen, weil sie für den Anteil ihres Einkommens, der über der Beitragsbemessungsgrenze liegt, keine Beiträge entrichten.

Merz’ schiefer Blick

Eine schiefe Wahrnehmung auf die Sozialversicherungen offenbart auch Kanzler Friedrich Merz (CDU) im Sommerinterview, als er die Frage nach der Bürgerversicherung abschmetterte, indem er die systemstabilisierende Private Krankenversicherung (PKV) lobte und behauptete, wer einen Mercedes verbiete, mache den Golf teurer. Dieser unsachgemäße Vergleich, der völlig am Charakter der GKV vorbeigeht und außerdem falsch ist, weil diejenigen, die Leistungen erbringen, vor allem von den gesetzlich Versicherten leben, löste viel Empörung aus. Wie schon kürzlich bei Maischberger, als Merz zur Rente befragt wurde, beweist der Kanzler eine bemerkenswerte Unkenntnis in Bezug auf die deutschen Sozialversicherungssysteme, sofern sie von staatlicher Seite und nicht von privaten Unternehmen getragen werden.

Doch Merz ging es in dieser Passage vor allem um die Aussendung einer Botschaft. Er stellte nämlich das Leistungsvolumen der Krankenversicherung infrage und bereitete die Versicherten darauf vor, Einschnitte hinnehmen zu müssen. Seine Ansage ging auch an die noch zu bestellende Kommission, die die Reform der GKV vorbereiten soll. Statt ergebnisoffener Vorschläge, die beispielsweise auch die Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen ins System beinhalten könnten, gibt der Kanzler die Richtung vor. Das gilt ebenfalls für die Bund-Länder-Runde, die sich ab sofort mit der Zukunft der Pflege befasst. Eine Pflegevollversicherung, wie von Sozialverbänden und Gewerkschaften und selbst noch der SPD im Wahlkampf gefordert, soll erst gar nicht auf den Tisch kommen. Einst überzeugte SPD-Abgeordnete wie Dagmar Schmidt signalisieren schon den kleinen Rückzug.

Schließlich gibt es auch noch die vorauseilenden Wasserträger der Regierung. Der Chef der IKK Innovation, Ralf Hermes, preschte schon 2024 vor und stellte in den Raum, die Zuzahlungen für Arzneimittel zu verdoppeln angesichts der gestiegenen Kosten für Medikamente. Da feixt die Pharmaindustrie. Der ehemalige bayrische Gesundheitsminister Klaus Holatschek (CSU), der sich nach wie vor gerne in die Gesundheitspolitik einmischt, findet, dass es immer noch zu viele Krankenkassen gibt. „Ein politisches Armutszeugnis“, kontert Oliver Blatt vom GKV-Spitzenverband, und ein Ablenkungsmanöver von der Bringschuld des Bundes. Eine ganz aparte Idee brachte hingegen der Deutsche Arbeitgeberverband (BDA) ins Spiel mit einer Karenzzeit für Pflegebedürftige. Demnach sollen im ersten Jahr der Pflegebedürftigkeit so gut wie keine Leistungen aus der Pflegeversicherung bezahlt werden. Zyniker, wer bedenkt, dass fast die Hälfte der Heimbewohner in den ersten sechs Monaten verstirbt.

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