Gesellschaft im Wandel: Hier spricht Jan Böhmermann

Jan Böhmermann ist Satiriker. In diesem Beitrag holt er zum Rundumschlag aus.

Wer in unserer schrecklich kompliziert gewordenen Welt
zuverlässig Menschen von
gestern
erkennen und sie dabei gleich auch noch spaßeshalber an die Grenzen
ihrer intellektuellen, politischen und moralischen Kapazität bringen möchte,
muss ihnen nur in einem möglichst unverfänglichen Stehgespräch angelegentlich
eines möglichst beliebigen Get-togethers mit möglichst arglosem
Gesichtsausdruck „Wärmepumpe“ ins Ohr flüstern oder – noch besser! –
eine einfache Frage stellen wie Was unternehmen wir denn jetzt gegen
Russland?.

Und dann erst mal zurücklehnen und kommen lassen.

Es folgt bei Menschen von gestern ein schweres
Durchatmen, ein sorgenvoller Gesichtsausdruck, ein leichtes Stammeln und dann
ein – je nach Gegenüber – mehr oder weniger komplexes rhetorisches
Ausweichmanöver, um sich nur ja nicht tatsächlich an die Beantwortung
dieser Fragen heranwagen zu müssen. Was unternehmen wir denn jetzt gegen
Russland?
Ja, nun, äääh, man habe das alles ja nicht kommen sehen können,
flunkern Menschen von gestern übersprungsartig. In mikroskopischer
Detailtiefe können sie mit verständnisvollen Augen und bestens belesen über die
– seufz! – vielschichtigen, jahrhundertealten geopolitischen Herausforderungen
des „Riesenreichs“ referieren, beschwören den – schön wär’s! –
Weltfrieden und erzählen aus dem Nichts von ihrer Zivildienstzeit oder
selbstexplorieren anderweitig lauthals ihren, jaja, tief sitzenden Pazifismus.

Der Fernsehproduzent, Podcaster und Autor, geboren 1981 in Bremen, hat sich vor allem als schlagkräftiger Comedian einen Namen gemacht. Die Sendung „ZDF Magazin Royale“ ist sein Flaggschiff, nicht minder erfolgreich ist er mit dem Podcast „Fest und Flauschig“.

Ach, wenn doch nur Frieden auf Erden wäre!  – Ja, ist aber nicht!

Manchmal, wenn es spät wird oder die Weißweinschorle besonders
erfrischend perlt, kann man Zeug*in werden, wie Menschen von gestern
beim Versuch der Beantwortung solch schweinehundsgemeiner Fragen in sich
zusammenfallen und sich ihre Hilflosigkeit in einem Schwall rührender
Ehrlichkeit in unsere schrecklich kompliziert gewordene Welt
ergießt: „Wärmepumpen sind ja schön und gut, aber … äh … also früher
war das mit Russland ja viel einfacher. Weil früher wussten wir:
Russland ist Kommunismus. Da konnten wir natürlich einfacher dagegen sein, weil
wir waren ja Kapitalismus. Aber Russland ist ja jetzt auch so eine Art
Kapitalismus! Klar, Menschenrechte und Völkerrecht und die arme Ukraine und so,
aber es hat doch jahrelang alles einigermaßen gut funktioniert. Außerdem habe
ich bei der Europawahl doch extra DIE PARTEI gewählt …“

Wenn sie uns solche seltenen Einblicke in ihr inneres
Sackgassengeflecht gewähren, erkennen wir sie als das, was sie sind:
Menschen von gestern
, die gedankenstochernd an zerbrochenen Erklärmodellen
kleben und vergeblich versuchen, sich und anderen aus ihren überkommenen
Annahmen der Welt, aus vermeintlichen Gewissheiten und wenigen
Gegenwartspuzzleteilen, die sie noch in ihren unbeholfenen Händen halten, ein
vollständiges Bild des großen Ganzen zusammenzusetzen. Das kann natürlich nicht
funktionieren und ist mordsgefährlich.

Menschen von gestern – so lieb wir sie auch haben – sind
die gegenwärtig größte
Bedrohung für unsere Welt, unser friedliches Zusammenleben und unsere Zukunft. Menschen
von gestern
– raus!

Selbstverständlich wissen wir in Westdeutschland seit 79 Jahren
(in Ostdeutschland seit 35 Jahren), dass die systematische Ausgrenzung
bestimmter Bevölkerungsteile keine gesellschaftlichen Probleme löst und dadurch
ab-so-lut gar nichts besser wird. Alle Flüchtlinge abschieben? Linksextreme in
Folterkeller sperren? Thüringer*innen mit Eiswasser übergießen? Die
Scheißgrünen klatschen, bis der Meeresspiegel wieder sinkt? Klingt verlockend,
bringt aber natürlich alles nix. Fünf Minuten Doomscrolling vorm Schlafengehen
reichen aus für die traurige Einsicht, dass Menschen – obwohl es wirklich
ab-so-lut nichts bringt – ohne Freund-Feind-Denken und Sündenbock nicht zu
politischer Beweglichkeit und echtem Fortschritt fähig sind. So sind Menschen
eben – unverbesserlich und ein bisschen doof. Lasst uns darum pragmatisch
handeln.

Angenommen also, es führte tatsächlich kein Weg daran vorbei,
einer Bevölkerungsgruppe in unserem Land die Schuld für all unsere Probleme in
die Schuhe zu schieben. Dann müssten wir uns auf neue, pragmatische,
zukunftsfähige Ausgrenzungskategorien verständigen, die natürlich im Einklang
mit Grundgesetz und Menschenwürde stehen sollten. Wir müssten wirksame
Kategorien erfinden, die Menschen ausschließlich nach ihrem Denken und
Handeln
beschreiben und nicht – wie bislang – nach feststehenden und
unveränderlichen Parametern wie Herkunft oder Hautfarbe. Denn selbst
unverbesserliche und ein bisschen doofe Menschen sind in der Lage, ihr Denken
und Handeln selbst zu steuern und durch zum Beispiel Einsicht, Selbsterkenntnis, Reue
oder Altersmilde zum Besseren zu verändern. Meint: Den Auszugrenzenden muss ein
Heraustranszendieren aus ihrer Ausgrenzungskategorie möglich sein.

Alright, nachdem die Grundbedingungen klar sind, beginnt auch
schon der amüsante Teil: Menschen ausgrenzen! Wie das geht, wissen ja alle: Menschen
von gestern
sind schuld! Nehmt ihnen ihre Pässe weg! Menschen von
gestern
raus! Menschen von gestern: buuuuuh!

Jan Böhmermann ist Satiriker. In diesem Beitrag holt er zum Rundumschlag aus.

Wer in unserer schrecklich kompliziert gewordenen Welt
zuverlässig Menschen von
gestern
erkennen und sie dabei gleich auch noch spaßeshalber an die Grenzen
ihrer intellektuellen, politischen und moralischen Kapazität bringen möchte,
muss ihnen nur in einem möglichst unverfänglichen Stehgespräch angelegentlich
eines möglichst beliebigen Get-togethers mit möglichst arglosem
Gesichtsausdruck „Wärmepumpe“ ins Ohr flüstern oder – noch besser! –
eine einfache Frage stellen wie Was unternehmen wir denn jetzt gegen
Russland?.

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