„Geschichten in uns“ von Benedict Wells: Mit John Irving fing es an

Benedict Wells, Jahrgang 1984, ist einer der besten deutschsprachigen Romanciers unserer Zeit. Er vermag Handlung und Gefühl meisterlich zu verbinden. Sein Debüt Becks letzter Sommer im Jahr 2008 überzeugt. In Fast genial übertreffen die letzten Seiten, die am Roulettetisch stattfinden, Dostojewskis Der Spieler an Spannung. Seither geht es immer weiter mit tollen Romanen. Nun erscheint Wells’ Die Geschichten in uns, das unerwartet ein „erzählendes Sachbuch“ ist. Es entstand als Folge einer Gastdozentur über das Überarbeiten von Romanen. Darin taten sich Fragen über das Schreiben auf, die Wells sich bisher mehr intuitiv beantwortet hatte.

Im ersten Teil erzählt Wells über sich und sein schwieriges Elternhaus: Sein Großvater ist der Reichsjugendführer der NSDAP Baldur von Schirach; Wells vollzieht eine „lebenslange Abgrenzung“, ändert seinen Nachnamen. Nach der frühen Trennung der Eltern wächst er vorwiegend in bayrischen Internaten auf. Als Teenager liest er unter anderen John Irvings Hotel New Hampshire und Crazy von Benjamin Lebert, ist erstaunt, dass dies auch Literatur sei. Er kann sich von nun an vorstellen, „selbst so zu schreiben“. Nach dem Abi, im Sommer 2003, zieht er nach Berlin, gibt sich ein paar Jahre Zeit, Schriftsteller zu werden. 2007, nach 60 Absagen, schlägt sein „Lieblingsverlag“ Diogenes zu.

Im zweiten Teil geht es um Tipps fürs Schreiben. Es fängt mit dem „Funken“ an, also der Idee zu einer Geschichte, ehe er zum „Davor“ geht, also der Phase, wo erste Eindrücke von Figuren, Szenen, Dialoge schon teils notiert werden. Dann geht es ans Eingemachte … – Man begreift, wie entbehrungsreich der Weg ist, ein richtiger Autor, gar ein gefeierter Schriftsteller zu werden. Wells’ praktische und persönliche Einblicke aus der Literatenwerkstatt haben das Zeug zum modernen Klassiker im deutschsprachigen Raum, ähnlich wie Stephen Kings On Writing für das angelsächsische Gebiet.

Die Geschichten in uns Benedict Wells Diogenes-Verlag 2024, 400 S., 26 €

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