Erst schneiden sich die Republikaner in Texas die Wahlbezirke so zurecht, wie es ihnen am besten passt. Im Grunde auf Geheiß von US-Präsident Donald Trump. Nun kommen in dieser Woche die Demokraten in Kalifornien mit demselben Vorhaben durch. Auch in anderen Bundesstaaten der USA hat das sogenannte Gerrymandering Saison. Die anderen tun es, also tun wir es auch – es ist ein „Stinkwettstreit mit einem Stinktier“, so nannte es Arnold Schwarzenegger. Als der Republikaner noch Gouverneur von Kalifornien war, hatte er wie bislang auch viele Demokraten in diesem anrüchigen Kampf für Abrüstung plädiert. Solche Entscheidungen lägen doch besser bei unabhängigen Kommissionen oder Gerichten – und nicht bei denen, die gerade an der Macht sind und sie faktisch zementieren wollen.
Das Problem ist nicht neu, ein Jahr vor den nächsten Zwischenwahlen aber scheint klar: Es wird eher schlimmer als besser.
Die politische Landkarte verändern – in den USA ist das nicht bloß eine abgedroschene Metapher, sondern zuallererst ein Prozess, den die Verfassung vorsieht. Die Idee dahinter ist das hehre Ziel jeder Demokratie: das Parlament als „genaues Abbild der Bevölkerung insgesamt, in Miniatur“, wie John Adams, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, es 1776 beschrieb. Deshalb sollen insbesondere die 435 Wahlbezirke für das Repräsentantenhaus so zugeschnitten sein, dass jeder Abgeordnete annähernd gleich viele Bürgerinnen und Bürger vertritt. Das kann naturgemäß nicht von Dauer sein – die Demografie verändert sich, Kinder werden geboren, Menschen sterben oder ziehen um –, also werden gelegentlich neue Grenzen gezogen. Üblicherweise alle zehn Jahre, anhand aktualisierter Zensusdaten. So weit die Theorie.
In der Praxis ist es schon lange ein schmutziges Geschäft. Doch anders als in früheren Zeiten ist das Gerrymandering inzwischen deutlich einfacher. Wo einst mit Stift und Papier probiert und getrickst werden musste, gibt es heute reichlich Daten und fortgeschrittene Software, die zur Hand gehen.
Texas und Kalifornien sind nicht die einzigen Bundesstaaten
Der Anreiz ist klar: Wer den Prozess kontrolliert, ob regulär einmal pro Dekade oder außer der Reihe, kann die politische Landkarte zum eigenen Vorteil neu aufteilen. Sich über den Zuschnitt der Wahlbezirke passende Mehrheiten zurechtlegen. Die Wählerinnen und Wähler der Gegenseite zersplittern oder auch übermäßig bündeln. Historisch und immer wieder auch mit einer rassistischen Komponente: Schwarze Menschen und verschiedene Minderheiten, die tendenziell eher für Demokraten stimmen, waren oft ein Angriffspunkt für die Republikaner. Es gibt immer etwas Spielraum, weil niemand etwas davon hat, mit besonders großem Vorsprung zu gewinnen: Schließlich gilt das Mehrheitswahlrecht – the winner takes it all.
Texas und Kalifornien sind bei Weitem nicht die einzigen Bundesstaaten, in denen sich die Parteien an der Macht auf diese Art für das kommende Wahljahr rüsten wollen. Dann wird es um ein Drittel der 100 Senatssitze gehen, je zwei pro Bundesstaat – da gibt es nichts zuzuschneiden. Aber eben auch um das gesamte Repräsentantenhaus mit seinen 435 Abgeordneten, einer oder eine pro Bezirk. In beiden Kammern haben die Republikaner derzeit ziemlich knapp die Mehrheit.
Die wollen sie, die will vor allem Trump nicht verlieren. Dass er also Druck macht, alle Mittel auszureizen, auch die fragwürdigen, ist kaum anders zu erwarten. Denn die Erfahrung lehrt: Bei den Zwischenwahlen legt die Opposition meist zu. Das dürften Trumps äußerst umstrittene Regierungsführung und seine zunehmend schwächelnden Zustimmungswerte noch begünstigen. Und der Präsident weiß, was das neben allerlei Blockaden und Untersuchungen bedeuten kann: Als die Demokraten während seiner ersten Amtszeit 2018 nach acht Jahren die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückholten, konnten sie das erste Impeachment gegen ihn anstrengen.
Es kann auch nach hinten losgehen
Schon den turnusmäßigen Prozess nach dem jüngsten Zensus von 2020 kontrollierten die Republikaner in mehr Bundesstaaten als die Demokraten. Und sie machten davon aggressiv Gebrauch, in Texas oder Florida beispielsweise. Die Demokraten können es aber auch, etwa in Illinois. Unter dem Druck des Präsidenten und auch der republikanischen Parteiführung, der im Sommer zum umstrittenen Neuzuschnitt in Texas führte, ist derweil eine Art Wettrüsten eröffnet.
Bislang haben die Republikaner in Ohio, Missouri, North Carolina und eben Texas neue Karten durchgesetzt; in Nebraska, Kansas, Indiana und Florida könnte es noch so weit kommen. Die Demokraten haben mit der Abstimmung in dieser Woche in Kalifornien nachgelegt, könnten außerdem von einem gerichtlich angeordneten Neuzuschnitt in Utah profitieren, der noch aussteht; im Gespräch sind weiterhin Illinois, Virginia und Maryland. Im Repräsentantenhaus könnten sich die Republikaner mit den neuen Karten, Stand jetzt, bereits neun zusätzliche Sitze ausrechnen, die Demokraten lediglich fünf aus Kalifornien, plus absehbar einen aus Utah.
Doch genau lässt sich der Effekt am Ende nicht vorhersagen, weil das Gerrymandering eben seit vielen Jahren ausgereizt wird, die Spielräume bisweilen enger werden und auf die politische Orientierung bestimmter demografischer Gruppen heute weniger denn je Verlass ist. Es kann also auch mal nach hinten losgehen.
In einigen Bundesstaaten, größtenteils in demokratisch regierten, ist der Zuschnitt der Wahlbezirke inzwischen an weitgehend unabhängige und unparteiische, zumindest politisch ausgewogene Kommissionen delegiert. In den meisten Staaten liegt der Prozess weiterhin beim Gesetzgeber. Teils braucht es eine verfassungsändernde Mehrheit, teils müssen die Bürgerinnen und Bürger abstimmen. Nicht selten wird vor Gericht gestritten, werden Änderungen manchmal wieder zurückgenommen oder neue Anforderungen gestellt, Gesetze der Bundesstaaten setzen teilweise einen einschränkenden Rahmen. Und der Voting Rights Act von 1965 verhindert zumindest übermäßige Rassendiskriminierung. Noch, denn das Bundesgesetz könnte vom Supreme Court demnächst wesentlich eingeschränkt werden.
Das oberste Gericht hatte 2019 wegweisend geurteilt, dass parteipolitisch motiviertes Gerrymandering grundsätzlich nicht gestoppt werden kann, auch wenn es „inkompatibel mit demokratischen Prinzipien“ sei, und dass die Bundesjustiz schon gar nicht zuständig sei. Den Kampf um die politische Landkarte könnten also allein politische Reformen stärker einhegen. In diesen Tagen sind sie vorerst unwahrscheinlich.