Geopolitik | Donald Trump hat Russland zum Wunschpartner erkoren

Der Gipfel von Alaska wird allzu sehr auf den Fokus Ukraine-Krieg bezogen. Tatsächlich war er auch Teil der gegenwärtigen China-Strategie des Weißen Hauses, sich mit Moskau gegen Peking zu arrangieren


US-Präsident Donald Trump hält ein Bild von ihm und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aus ihrem Treffen in Alaska in den Händen

Foto: Jonathan Ernst/Reuters/picture alliance


Großmächte folgen eigenen Normen und Interessen, die sie je nach Lage flexibel auslegen. Sie streben nach Machterhalt und – wenn die Lage es erlaubt – nach Machterweiterung. Am meisten fürchten sie jede Art von Machtverlust. Eine regelbasierte Ordnung wird von ihnen akzeptiert, solange sie die Regeln bestimmen.

Doch der „unipolare Moment“ der USA, der sie nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zur einzigen Weltmacht aufsteigen ließ, ist längst Geschichte. China schickt sich an, künftig Weltmacht Nummer eins zu sein, was die Amerikaner dazu bringt, Gegenstrategien zu entwickeln und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Dazu zählt der Versuch Donald Trumps, mit Russland einen großen Deal zu schmieden. Es geht nicht zuerst um die Ukraine, sondern eine „grand strategy“, die – vernebelt durch das medial inszenierte Chaos trumpscher Politik – vor allem drei Ziele verfolgt: die Schwächung Chinas, ein Aufrechterhalten der Abhängigkeit Europas und die Kontrolle über den Energiereichtum des Mittleren Ostens.

Etwas mehr Beinfreiheit

Die USA sind zwar noch immer die wirtschaftlich und militärisch stärkste Macht der Welt, doch China holt auf, und Russland ist als globaler Akteur wieder ein Faktor. Der oft zitierte amerikanische Niedergang vollzieht sich bereits seit vielen Jahren, was auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass Washington nicht mehr die Rolle des „Weltpolizisten“ spielen will. Das wäre freilich zu relativieren, denn zu Abstrichen beim weltpolitischen Ranking ist man nicht bereit – nur sollen die daraus entstehenden Kosten deutlich sinken.

Dem wird durch zum eigenen Vorteil veränderte „terms of trade“, das Verlagern von Sicherheitskosten, im Ausland gesicherte Rohstoffe und einen flexiblen Bilateralismus entsprochen. Russland ist für diese Agenda ein Wunschpartner. Die Attraktivität des autoritären politischen Führers, wie ihn Wladimir Putin für Trump verkörpert, mag dabei einen gewissen Einfluss haben.

Wichtiger für das Weiße Haus und die unterstützende Denkschule sind aber die objektiven Schwächen und Stärken Russlands. Diese lassen den großen Deal möglich erscheinen, dessen ultimatives Ziel darin besteht, Russland aus der engen Bindung an China zu lösen.

Diese infrage zu stellen, dazu besteht aus Moskauer Sicht jedoch keinerlei unmittelbarer Anlass. Die Präsidenten Xi Jinping und Putin untermauerten nach dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) in Tianjin bei ihren Konsultationen in Peking das enge Verhältnis durch mehr als 20 Kooperationsverträge.

Chinas ökonomische und politische Bedeutung für Russland wächst seit Jahren bei einer strukturellen Asymmetrie beim Handel, den Währungen, den Schulden und der Technologie. Dazu trägt der Ukraine-Krieg erheblich bei. Dessen Kosten belasten die russische Wirtschaft und gefährden potenziell die Stabilität des Systems. Die massive Aufrüstung europäischer EU- beziehungsweise NATO-Staaten folgt schließlich dem Ziel, Moskau dazu zu zwingen, dagegenzuhalten – es sei denn, die Rüstungsspirale ließe sich stoppen.

Die Aussicht, dass sich die USA von Europa entkoppeln, würde einen lange gehegten russischen Traum erfüllen. Wenn gleichzeitig die Abhängigkeit Moskaus von Peking reduziert werden könnte, würde sich auch die langfristig existierende Gefahr verringern, dass die überlegene Weltmacht China eines Tages Anspruch auf ehemalige Regionen im Fernen Osten Russlands erhebt, die 1858 und 1860 durch die sogenannten „Ungleichen Verträge“ nach dem zweiten Opiumkrieg verloren gingen.

Angesichts dieser Aussichten erscheint es aus Kreml-Perspektive ratsam, den Ukraine-Krieg unter für Moskau günstigen Bedingungen zu beenden und einen Abbau der Sanktionen zu erreichen. Auch eine Rückkehr in das internationale Zahlungssystem SWIFT wäre wieder möglich, das den russischen Zugang zum globalen Handel erleichtern würde. Die derzeitige Delegitimation im Westen könnte überwunden werden, lukrative bilaterale Deals mit den USA und anderen Staaten würden locken. Das könnte Russland als Weltmacht bestätigen und dazu verhelfen, einen erneuten Abstieg zu vermeiden und verlorenes politisches Terrain zurückzugewinnen.

Zerfall, Erosion, Expansion

Wie lukrativ ein solcher Deal wäre, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: Erst brach mit dem Ostblock das gesamte geostrategische Vorfeld weg, um die Sowjetunion im „gemeinsamen Europäischen Haus“, so die Idee Michail Gorbatschows, zu modernisieren. Tatsächlich kam es zum Zerfall einer Weltmacht und der daraus folgenden Instabilität wie wirtschaftlichen Erosion Russlands. Flankiert haben das ab 1999 sieben NATO-Erweiterungsschübe, inklusive des jüngsten um Finnland und Schweden.

Die von Trump vermittelte Annäherung zwischen Aserbaidschan und Armenien bietet für den Ausbau des regionalen Mittelkorridors große Chancen, was auf Kosten des durch Russland führenden lukrativen Nordkorridors gehen würde. Zudem sind Verbündete wie der Iran geschwächt beziehungsweise wie das Syrien Assads nicht mehr existent. Vor diesem Hintergrund eröffnet Trumps roter Teppich von Anchorage für Moskau ungeahnte Chancen.

Diese werden Putin nicht dazu verleiten, China vor den Kopf zu stoßen, aber nach etwas mehr Beinfreiheit zu streben. Trump mag sprunghaft sein, aber er denkt wie ein machtorientierter Autokrat und ist zu drastischen Schritten fähig. Zudem steht mit Vizepräsident J. D. Vance ein potenzieller Nachfolger bereit, der die großen Linien von Trumps „grand strategy“ fortführen dürfte. Ob Putin für einen solchen Deal letztlich zu haben ist, wird sich zeigen.

Für Deutschland und die Europäische Union ist die Aussicht darauf alles andere als erfreulich. Die Alternative lautet, entweder die zugewiesene Unterordnung zu respektieren und auszufüllen oder eine eigene politische Strategie zu entwickeln, um sich in einer nicht sonderlich schönen neuen Welt der geostrategischen Machtfilialen behaupten zu können.

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