Genre – Frauen und ihre Horrorkörper

Laut Statistik werden täglich an die 200.000 Kinder geboren. 200.000-mal erlebt eine Frau, dass etwas Fremdes aus ihr herauskommt, ein Wesen, das in ihrem eigenen Körper entstand, auf das sie monatelang gewartet hat, das sie aber noch nicht kennt.

Und, wie im Fall von Ira Levins Roman Rosemary’s Baby, vielleicht besser auch nicht kennenlernen sollte: Im 1967 erschienenen Buch des US-amerikanischen Autors und Dramatikers erlebt eine junge Frau über eine Schwangerschaft die ultimative Repression und Brutalität des Patriarchats. Rosemary ist das jüngste von sechs Kindern, stammt aus einer katholischen Familie in Omaha, trägt auch beim Schlafen den Ehering und hat – vermutlich nach der Hochzeit mit dem Schauspieler Guy Woodhouse, Levin bleibt etwas unspezifisch – ihren Job bei der CBS gekündigt. Als moderne, kulturinteressierte New Yorkerin besucht sie regelmäßig einen Skulpturenkurs, liest Daphne du Maurier, hört Ella Fitzgerald und hat einen soliden Freundeskreis, zu dem neben gleichaltrigen Freundinnen auch ein älterer, britischer Schriftsteller gehört.

Nachdem Rosemary und Guy eine Wohnung im legendären Bramford-Haus angemietet und ihre Nachbarn, das exzentrische Ehepaar Castevet, kennengelernt haben, verändert sich etwas in ihrer trotz der klassischen Rollenaufteilung relativ gleichberechtigten Beziehung: Nach einem Abend mit (vermeintlich) viel Alkohol und einem grässlichen Albtraum wacht Rosemary mit Kratzspuren auf den Schenkeln auf. Guy gibt zu, mit ihr geschlafen zu haben, während sie weggetreten war – eine Vergewaltigung. „Ich fühle mich ein wenig komisch, weil du es getan hast, während ich ohnmächtig war“, lässt Levin Rosemary im Buch protestieren, Guy verteidigt sich mit der ältesten aller männlichen Lügen: „Ich dachte, du wolltest, dass ich es tue.“

Dass ein Mann seine Frau nicht nur unter Drogen setzt, sondern auch dem Missbrauch durch andere ausliefert, ist spätestens seit dem monströsen Missbrauchsfall in Frankreich mit Nachdruck im Bewusstsein der Gesellschaft. Zuweilen tun Männer tatsächlich solche Dinge – Guy lässt seine Frau zwar nicht für seine eigene sexuelle Befriedigung missbrauchen, aber weil die satanischen Castevets ihm im Gegenzug für Rosemarys Körper und ihre Gebärmutternutzung Erfolg versprochen haben.

Rosemarys aus diesem „Sleep Rape“ durch den Teufel entstandene Schwangerschaft entwickelt sich zur Tortur, während deren sie sich von ihrer Umgebung zunehmend isoliert, immer mehr Verbindungen kappt, auch der alte Schriftsteller-Freund stirbt plötzlich.

Schockiert durchschaut sie kurz vor der Niederkunft zwar den teuflischen Plan. Aber die Täter:innen nehmen ihr das neugeborene Satansbaby als angebliche Totgeburt weg. Rosemarys katholische Erziehung und ihre Sehnsucht nach Mutterschaft sind jedoch stärker – Levin lässt sie ihr gelbäugiges Pelzklauen-Baby suchen, finden und es schließlich akzeptieren. Dabei ist nicht etwa die Teufelsanbetung des pittoresken New Yorker Hexenzirkels der eigentliche Horror, die wahre Hölle des Settings. Sondern die völlige Abwesenheit von feministisch-körperlicher Selbstermächtigung.

Roman Polański schweigt

Regisseur Roman Polański, als polnischer Jude selbst traumatisiert durch Flucht-, Ghetto- und Verfolgungserfahrung, hat sich des Bestsellers 1968 angenommen. Später ist er selbst zum Täter geworden, in einem Rosemarys Schicksal auf perfide Weise ähnlichen Fall – er wurde wegen „Vergewaltigung unter Verwendung betäubender Mittel“ einer Minderjährigen angeklagt, bekannte sich schuldig wegen „außerehelichen Geschlechtsverkehrs mit einer Minderjährigen“ und ist bis heute auf der Flucht vor der Strafe.

Seine Kino-Adaption mit Mia Farrow in der Rolle der Rosemary, John Cassavetes als Guy und der dafür oscarprämierten Ruth Gordon als Minnie Castevet ist ein Meisterwerk auf allen Ebenen: Das ikonische New Yorker Dakota Building, in dem Nachbar:innen wie Lauren Bacall die Filmarbeiten neugierig beäugten und vor dem John Lennon 1980 beim Verlassen seiner dortigen Wohnung erschossen wurde, fungierte als „Bramford“. Der sinistre Score, der eine schlafliedähnliche, von Farrow parasprachlich gesungene Melodie, schräge Akkorde eines Elektro-Cembalos und eine anrührende orchestrale Begleitung beinhaltet, stammte von Polańskis langjährigem Weggefährten, dem polnischen Jazzkomponisten Krzysztof Komeda. Farrow legte eine großäugige, durch den ikonischen Vidal-Sassoon-Pixiecut verstärkte Zerbrechlichkeit in ihre Rolle und spielte mit hochgezogenen Schultern eine Frau, die von ihrer schmerzhaften schwangeren Körperlichkeit verstört ist. Cassavetes verlieh seiner narzisstischen Figur etwas Eisernes, Undurchdringliches. Ruth Gordon gab der in schreiende Farben gewandeten Hexe Minnie Castavet ihre nervöse Stärke. Dazu kamen Polańskis von seinem Kameramann William Fraker gerahmte Regie-Entscheidungen, die das Grauen immer nur subtil, aber wirksam andeuten und weder mit Jump-Scares noch mit Schreckbildern arbeiten: Die Darstellung des Bösen, des Body-Horrors, des Missbrauchs liegt auf der psychologischen Ebene.

Nach verschiedenen erfolglosen und überflüssigen Sequel-Versuchen hat sich mit Apartment 7A nun jemand an ein Prequel zum Stoff gewagt. Dass das nicht Roman Polański sein konnte, ist klar – abgesehen von seiner Verurteilung als Sexualstraftäter sprechen auch sein (wie man in The Palace erlebte) verblassendes Regietalent und ohnehin sein Geschlecht dagegen. Denn mittlerweile sind es endlich vermehrt Frauen, die sich künstlerisch damit beschäftigen, wie man den weiblichen Körper in der strukturell misogynen und gewalttätigen Gesellschaft abbildet.

Apartment 7A, das Figuren aus dem Ira-Levin-Buch nutzt und dessen Drehbuch von der Regisseurin Natalie Erika James mitverfasst wurde, behandelt die Geschichte der Rosemary’s-Baby-Randfigur Terry. Deren Ende ist aus der Originalstory bekannt: Die junge Tänzerin wurde von den Castavets „aus der Gosse“ gerettet und aufgenommen, wie sie Rosemary bei einem zufälligen Treffen im dunklen Bramford-Waschkeller erzählt. Beim nächsten Treffen ist Terry bereits tot – sie hat sich aus dem Fenster gestürzt. Über den Schock lernen Rosemary und Guy die Castevets kennen, die neben ihnen wohnen, in ebenjenem berüchtigten „Apartment 7A“.

Was die Hauptfigur in Apartment 7A zum Schluss erwartet, steht demnach von Anfang an fest. Doch Regisseurin James denkt sich auch ansonsten kaum Neues für Terry aus, sondern wiederholt in ihrem gegen Polańskis Film fast schon bemitleidenswert unatmosphärischen, immerhin angemessen klaustrophobischen Werk die Geschichte einer durch Drogengabe von einem attraktiven Mann (Jim Sturgess als Theaterintendant) betäubten, dann vom Satan vergewaltigten und sämtlichen Umständen hilflos ausgelieferten Frau.

Ihre Terry, die Julia Garner mit undefinierbarer Miene spielt, ist eine recht klassische und damit ein wenig langweilige Heldin: Als schüchternes Chorusgirl aus der Provinz nach New York gekommen, sucht sie (wie so viele vor ihr) einen neuen Anfang und will als Tänzerin die Bühnen der Großstadt erobern. Die an typische Tanzfilme und -musicals erinnernden Choreografien stehen dem Film dabei seltsam im Weg – aus der Leidenschaft, die James ihrer Protagonistin mitgibt, kann sie keine eigene Qualität ziehen. Der (bis auf ein paar interessante Musical-Ideen) generische Gruselscore hilft nicht weiter. So kommt James’ Film weder an die Subtilität der Vorlage heran, noch fallen der Regie eigene, weiblich-feministische Bilder, Empfindungen oder Blicke ein. Stattdessen kopieren die wenigen tatsächlich faszinierenden Kameraeinstellungen die Vorlage 1 : 1, ohne dabei deren Wirkung zu erzielen. Einzelne Schockbilder wie ein blutiges Etwas in der Waschmaschine oder das plötzlich brutal-selbstdestruktive Verhalten einer Konkurrentin Terrys reichen für die Spannung nicht aus.

Tabuthema Abtreibung

Einen bemerkenswerten Unterschied gibt es jedoch: Apartment 7A behandelt das Thema Abtreibung, das zum Frauen-Körper-Missbrauch-Komplex gehört, aber in den 1960ern selten beschrieben wurde. Bei dem Versuch, die Schwangerschaft zu beenden, geht Terry zu einer illegalen „Engelmacherin“ – die teuflische Frucht ihres Leibes verhext diese jedoch und lässt sie qualvoll die Glieder verrenken. Terrys Suizid ist somit eigentlich ein erweiterter – es ist ihre einzige Chance, sich des ungewollten Kindes zu entledigen.

So schwach Apartment 7A filmisch und erzählerisch bleibt, folgt er doch einem hoffnungsvollen und überfälligen Trend: Mit Filmen wie dem 2021 entstandenen Titane von Julia Ducournau (der Freitag 40/2021), in dem eine von einer nichtbinären Person gespielte Mörderin eine Liebesbeziehung zu einem Auto eingeht und von dem Fahrzeug geschwängert wird, oder aktuell Coralie Fargeats The Substance, in dem eine Frau (Demi Moore) nach der lang ertragenen Objektifizierung und Sexualisierung ihres Körpers eine jugendliche Version von sich „gebiert“, erobern sich Regisseurinnen immer öfter klassische Genrebereiche unter feministischen Standpunkten.

Neben Horror und „Female Body Horror“ nehmen sie sich folgerichtig auch der Abteilung „Rape and Revenge“ an, die in den 1960ern oft nur ein Deckmäntelchen dafür war, Gewaltsex aus männlicher Perspektive zu zeigen. Regisseurinnen wie Zoë Kravitz mit Blink Twice oder Emerald Fennell mit Promising Young Woman finden neue, selbstbewusste Bilder und Blicke, um berechtigte Rache zu zeigen, ohne vorher den Missbrauch am Frauenkörper visuell auszuwalzen, seine Verletzbarkeit zu demonstrieren. Indem ihre Heldinnen sich der Peiniger entledigen, ermächtigen die weiblichen Filmschaffenden sich der Genres.

Gerade wegen dieser Entwicklung vor dem hochkomplexen Hintergrund würde man Polańskis Meinung zum Abklatsch eines seiner erfolgreichen Filme eigentlich gern hören. Aber es ist wohl besser, dass er schweigt.

Apartment 7A Natalie Erika James USA 2024, 104 Minuten, Amazon Prime Video

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