Gemeinsame EU-Schulden: Eurobonds zum Besten von die Ukraine

Wie soll die Ukraine-Hilfe nach der Entscheidung auf dem EU-Gipfel aussehen?

Die EU gewährt der Ukraine einen zinslosen Kredit von 90 Milliarden Euro. Diesen Betrag hatte die EU-Kommission schon vorab definiert. Er entspricht zwei Dritteln des gesamten Finanzbedarfs des Landes in den kommenden beiden Jahren. Diesen Anteil will die EU finanzieren, das dritte Drittel soll von anderen Geldgebern rund um die Welt kommen. Nach einer groben Formel soll die Ukraine zwei Drittel der Kredite für Waffen ausgeben, das dritte Drittel für sonstigen Staatsbedarf. Notwendig wird die Hilfe, weil der ukrainische Staat nur noch im ersten Quartal 2026 finanziert ist.

Wie finanziert die EU die Kredite?

Sie verschuldet sich am Kapitalmarkt und reicht das Geld dann an die Ukraine weiter. Abgesichert werden die Gemeinschaftsschulden über den EU-Haushalt. Ungarn, Tschechien und die Slowakei tragen dazu nicht bei.

Gemeinschaftsschulden: Das bedeutet Eurobonds?

Ja, jedenfalls in dem Sinn, wie Eurobonds in Deutschland diskutiert werden. Die EU begibt Gemeinschaftsanleihen, also Staatsanleihen mit gemeinsamer Haftung.

Ist es das erste Mal, dass die EU Eurobonds beschließt?

Nein. Auch der 2020 in der Pandemie beschlossene Corona-Aufbaufonds von 750 Milliarden Euro ist über EU-Schulden finanziert. Die 2010 in der Eurokrise etablierten Euro-Rettungsfonds EFSF und ESM sind anders, nämlich zwischenstaatlich konstruiert, beruhen aber ebenfalls auf einer gemeinschaftlichen Haftung.

Warum werden Eurobonds in Deutschland kritisch gesehen und warum hat sie der Bundeskanzler bisher abgelehnt?

Das hat mehrere Gründe. Zunächst wird angeführt, dass eine gemeinsame Verschuldung einen Bundesstaat oder jedenfalls eine gemeinsame Finanzpolitik voraussetzt. Beides existiert in der EU nicht – auch wenn die Einrichtung des Corona-Fonds gelegentlich als „Hamilton-Moment“, also als Impuls für einen europäischen Bundesstaat interpretiert wurde. Dann bestehen europarechtliche Bedenken. Im Prinzip schließt Artikel 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU die Haftung eines Mitgliedsstaats (auch auf dem indirekten Weg über den EU-Haushalt) für die Ausgaben öffentlicher Stellen aus. Dazu dürften auch die Ukraine-Kredite zählen. Für den Corona-Fonds wurde dafür die in Artikel 122 definierte Ausnahme herangezogen, wonach die EU-Staaten zeitlich befristete Maßnahmen beschließen können, die durch die Wirtschaftslage zu rechtfertigen sind. Ob sich das auch auf den Ukraine Fall anwenden lässt, ist umstritten.

Erlaubt das Grundgesetz Eurobonds?

Das Bundesverfassungsgericht hat sie bisher immer noch „gerade so“ erlaubt, aber zugleich enge Grenzen definiert. Sein Grundprinzip lautet, dass das deutsche Parlament seine Budgethoheit nicht verlieren darf. Das bedeutet zunächst, dass Bundestag und Bundesrat den Brüsseler Entscheidungen zustimmen müssen. Die Corona-Schulden haben die Verfassungsrichter nur unter der Voraussetzung gebilligt, dass diese nur einmalig aufgenommen werden. Wie sich die Corona-Schulden unter diesen Umständen zu den Ukraine-Schulden verhalten, ist eine der Fragen, die das Bundesverfassungsgericht jetzt zu klären hat. Denn mit Klagen gegen die Ukraine-Kredite ist zu rechnen.

Ist denn gesagt, dass die Corona-Schulden – wie bisher beschlossen – Ende 2027 auslaufen?

Nein. Vor allem Länder mit hohen Schulden haben immer wieder eine Verlängerung verlangt. Und weiterhin ist offen, wie die von 2028 an fälligen Rückzahlungen der Kredite erfolgen sollen.

Zugunsten der EU-Schulden wird die hohe Bonität der Gesamt-EU ins Feld geführt. Zurecht?

Jein. Die EU verfügt immer noch über ein Top-Rating, das vor allem auf der deutschen Bonität gründet. Die Zinsen, welche die EU entrichten muss, haben sich aber seit der Entscheidung über die Corona-Schulden schon deutlich erhöht – und liegen über den deutschen.

Zurück zum EU-Gipfel: Wie sehr unterscheiden sich die jetzt beschlossenen Eurobonds von der von Deutschland in Brüssel erfolglos verfochtenen Idee, die in der EU eingefrorenen russischen Zentralbankguthaben für die Ukraine einzusetzen?

Nicht so sehr, wie der Bundeskanzler glauben machen wollte. Auch die „Reparationsanleihe“, mit der die Ukraine-Kredite abgesichert worden wären, hätte am Ende auf gemeinsamen Schulden beruht, allerdings weniger direkt als die jetzige Lösung.

Spielen die Zentralbankguthaben jetzt gar keine Rolle mehr?

Offiziell sind sie für die Finanzierung noch im Rennen. In der Schlusserklärung der 24 Staaten (ohne Ungarn, Tschechien und die Slowakei) heißt es, ihre Verwendung werde weiter geprüft. Faktisch ist das aber wenig wahrscheinlich, weil die 90 Milliarden Euro den EU-Anteil am ukrainischen Finanzbedarf der kommenden beiden Jahre abdecken. Freilich sind die Gelder – insgesamt 210 Milliarden Euro – bis auf weiteres eingefroren. Der Bundeskanzler wies nach dem Gipfel darauf hin, dass das auch so bleibe, wenn Russland der Ukraine keine Entschädigung leiste.

Scheiterte die Reparationsanleihe an Belgien?

Ja und nein. Die belgische Regierung hatte seit Langem auf rechtliche und finanzielle Risiken verwiesen und daran erinnert, dass ein Zugriff auf die russischen Guthaben auch das Ansehen der EU als Kapitalmarkt und womöglich die Finanzstabilität erschüttert hätte. Vor allem verteidigte sie aber eigene Interessen, weil der bei weitem größte Anteil der Guthaben beim belgischen Zentralverwahrer Euroclear lagert. Ministerpräsident Bart De Wever befürchtete russische Vergeltung. Er hätte der Reparationsanleihe aber am Ende unter der Bedingung zugestimmt, dass die finanziellen Risiken seines Landes von den EU-Partnern vollständig abgesichert würden. Dazu waren vor allem Frankreich und Italien nicht bereit.

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