Was sind die größten Risiken, mit denen sich Anleger im kommenden Jahr auseinandersetzen müssen? Geopolitik und Populismus, lautet grob zusammengefasst die Antwort, die Frank Engels darauf gibt. „Der Burgfrieden zwischen den USA und China hat keinen Bestand“, sagt er. „Der Burgfrieden zwischen Republikanern und Demokraten im Haushaltsstreit in Amerika hat ebenfalls keinen Bestand.“ Überdies werde der amerikanische Präsident Donald Trump weiter versuchen, die Unabhängigkeit der Notenbank Federal Reserve schrittweise auszuhöhlen.
Engels ist der für die Kapitalanlage verantwortliche Vorstand der Union Investment und hat seine Einschätzung während einer Konferenz in Mainz vor professionellen Investoren präsentiert. Die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken verwaltet inzwischen knapp 526 Milliarden Euro für ihre Kunden, das sind beinahe 30 Milliarden Euro mehr als vor zwölf Monaten.
Die Inflationsrate wird sich wohl kaum verändern
Der politische Einfluss auf die Börse wird nach Ansicht von Engels auch deswegen wesentlich bleiben, weil sich das wirtschaftliche Umfeld allgemein kaum ändern wird. Für die Vereinigten Staaten sagt er ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent im kommenden Jahr voraus und damit etwas mehr als in diesem Jahr. In der Europäischen Währungsunion werde das Bruttoinlandsprodukt um ein Prozent zulegen und damit etwas weniger als in diesem Jahr.
Überdurchschnittlich wird seinen Berechnungen zufolge die deutsche Wirtschaftsleistung steigen – die Wachstumsrate werde sich von 0,3 Prozent in diesem auf 1,2 Prozent im kommenden Jahr erhöhen. „Der fiskalische Impuls durch die höhere staatliche Verschuldung wird die Realwirtschaft stützen und sich so bemerkbar machen“, sagt er. Die Teuerungsrate werde sich verglichen mit diesem Jahr kaum verändern, weder in Amerika noch in Europa.
Gleichwohl hält er für möglich, dass die amerikanische Notenbank die Leitzinsen im kommenden Jahr zweimal verringert. „Und dies eben nicht aus rein fundamentalen Gründen“, so Engels – sondern auch aufgrund des politischen Drucks, den Trump weiter auf die Währungshüter in Washington ausüben werde. Im Mai endet die Amtszeit des Notenbankpräsidenten Jerome Powell, zudem versucht Trump gegenwärtig, die Notenbank-Direktorin Lisa Cook zu diskreditieren, überdies werden im nächsten Jahr die Spitzenpositionen einiger regionaler Notenbanken in Amerika neu besetzt, die ebenfalls mit über die Geldpolitik für das ganze Land entscheiden.
Die USA müssen sich permanent Geld leihen
Engels warnte auch vor dem weiter enormen Finanzierungsbedarf der Vereinigten Staaten. Die USA weisen seit vielen Jahren nicht nur erhebliche Haushaltsdefizite, sondern auch Leistungsbilanzdefizite auf, im Saldo müssen sie sich permanent gegenüber dem Rest der Welt Geld leihen. „Die amerikanische Volkswirtschaft ist fünfmal so groß wie die deutsche, ihr Finanzierungssaldo ist vierzehnmal so groß“, mahnt Engels. Und er prognostiziert: „Spätestens in zwei bis drei Jahren wird die drohende Überschuldung Amerikas ein zentrales Thema an den Kapitalmärkten sein.“
Sichtbar seien die dahinterliegenden Sorgen indes schon jetzt, etwa in den stark gestiegenen Preisen für Edelmetalle oder dem schwachen Dollar. Das, was inzwischen unter dem Schlagwort „Debasement Trade“ die Runde macht, nämlich die Nachfrage nach Alternativen zur Weltleitwährung, werde erhalten bleiben. „Rohstoffe gehören als Diversifikator in ein breit streuendes Portfolio dazu“, rät Engels als eine Schlussfolgerung daraus.
„Punktuelle Übertreibungen“ am Aktienmarkt
Die Frage, wie tragfähig und nachhaltig die Staatsverschuldung ist, stelle sich indes nicht nur jenseits des Atlantiks, sondern auch in Europa. Engels nannte als ein Beispiel Frankreich, wo sich längst zeige, dass Investoren vom französischen Staat ähnliche Risikoaufschläge verlangten wie von manchen privaten Schuldtitel-Emittenten – was historisch eher untypisch ist, zumal in weit entwickelten Volkswirtschaften. Neben den politischen Fragestellungen wird vor allem die Künstliche Intelligenz (KI) ein kursrelevantes Thema im kommenden Jahr bleiben, sagt Engels voraus.
Seiner Ansicht nach gibt es inzwischen „punktuelle Übertreibungen“ am Aktienmarkt, eine echte Blase sieht er indes noch nicht. Dafür seien die realwirtschaftlichen Investitionen in diesem Bereich zu hoch, und dies sei ein Unterschied zur um die Jahrtausendwende geplatzten Internetblase. Allerdings warnte Engels vor dem hohen Anteil, den wenige große Tech-Unternehmen mittlerweile an maßgeblichen Leitindizes wie dem MSCI World ausmachten. Eine so hohe Aktienmarktkonzentration mache anfällig. Um diese Hightech-Werte bereinigt verliefen die Gewinnerwartungen für das kommende Jahr nur seitwärts.
In der KI wiederum werde sich der Wettstreit zwischen Amerikanern und Chinesen weiter entfalten, glaubt Engels. „Die USA kontrollieren die technologische Spitze der KI, China kontrolliert die industriellen Grundlagen der KI“, sagt er und bezieht sich dabei darauf, dass amerikanische Unternehmen gegenwärtig die leistungsfähigsten Chips herstellen, während China den Markt für die sogenannten Seltenen Erden dominiert. In Europa wiederum erwartet er, dass die EZB die Leitzinsen nahezu unverändert lässt. Für wahrscheinlicher als eine weitere Senkung hält er, dass die Euro-Währungshüter die Leitzinsen erhöhen, sollte das Wirtschaftswachstum etwas stärker ausfallen.
Source: faz.net