Kaum ein Papier wurde so dringend erwartet wie der 13-seitige Zwischenbericht der ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme der Bundesregierung. Die Ampel-Koalition hatte das Gremium Ende August einberufen, um schnell Vorschläge auszuarbeiten, wie Privathaushalte und Unternehmen von den extrem gestiegenen Gaspreisen entlastet werden können. Nach einer 35-stündigen Marathonsitzung und unter enormen Zeitdruck einigte sich die Kommission am frühen Montagmorgen auf einen Vorschlag für die sogenannte Gaspreisbremse, dem zentralen Rettungsinstrument der Regierung in der Energiekrise. Nun will die Koalition zügig über das Papier beraten. Wir erklären, was man über den Vorschlag wissen sollte.
Alle Fragen im Überblick:
- Was schlägt die Kommission vor, um Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten?
- Was müssen Gasverbraucher jetzt tun?
- Was mache ich als private Vermieterin?
- Wie werden die großen Industriebetriebe entlastet?
- Was kostet das alles?
- Warum dauert es so lange, bis der Deckel wirkt?
- Wo ist der Haken an dem Modell?
Was schlägt die Kommission vor, um Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten?
Die Kommission schlägt ein zweistufiges Modell vor. Schritt eins ist dabei eine Art Einmalzahlung, bei welcher der Staat für den Monat Dezember den monatlichen Abschlag für die Gaskosten der privaten Verbraucherinnen und der kleineren und mittelgroßen Firmen übernimmt. Das bedeutet, dass die Kundinnen und Kunden für diesen einen Monat überhaupt keine Abschläge zahlen müssen, sondern die Gasversorger die Kosten dafür vom Staat erhalten. Im Moment zahlen private Verbraucher laut einer Berechnung des Vergleichsportals Verivox beispielsweise in einem Einfamilienhaus pro Monat durchschnittlich 342 Euro Abschlag, legt man den aktuellen Marktpreis für Gas zugrunde. Dieser Betrag würde für Dezember dann entfallen.
Im zweiten Schritt soll für die privaten Verbraucher und kleinere bis mittlere Gewerbekunden, die weniger als 1,5 Gigawattstunden im Jahr verbrauchen, voraussichtlich ab März eine Preisbremse wirken: Für eine bestimmte Menge Gas – die Kommission schlägt hier vor, sich an der im Vorjahr verbrauchten Menge zu orientieren – soll dann ein Preis von zwölf Cent pro Kilowattstunde gelten. Damit es einen Sparanreiz gibt, soll der Preisdeckel für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs gelten. Für alles, was darüber hinaus verbraucht wird, müssen die Kundinnen und Kunden dann den normalen Marktpreis zahlen. Gelten soll dieser Deckel zunächst für ein Jahr.
Was müssen Gasverbraucher jetzt tun?
Verbraucherinnen und Verbraucher müssen nichts tun – wenn das Modell so wie geplant kommt. Ihnen würde im Dezember dieses Jahres die Abschlagszahlung für Gas einmal erlassen. Wann sie das genau auf ihrer Rechnung sehen, hängt vom Vertrag ab: Wer direkt einen Vertrag mit einem Gasversorger hat, spürt die finanzielle Entlastung im Dezember. Das gilt in der Regel auch für Besitzende von Einfamilienhäusern.
Wer über seinen Vermieter die Nebenkosten abrechnet, dem muss der Vermieter die ausgesetzte Abschlagszahlung gutschreiben. Das wird in der Regel mit der nächsten Nebenkostenabrechnung passieren. Für die hat die Vermieterin allerdings bis zu einem Jahr Zeit, also für das Jahr 2022 muss die Nebenkostenabrechnung spätestens am 31.12.2023 bei den Mieterinnen und Mietern vorliegen.
Nach derselben Logik soll dann auch die Gaspreisbremse ab März 2023 gelten. Verbraucher können dann mit einer Reduzierung ihrer monatlichen Rechnung planen, der Versorger kalkuliert entsprechend dem Vorjahresverbrauch die Gasrechnung niedriger.
Was mache ich als private Vermieterin?
Die Kommission gibt zu bedenken, dass viele Mieterinnen und Mieter oder Wohnungsbesitzer in Mehrfamilienhäusern häufig keinen direkten Vertrag mit dem Versorger abgeschlossen haben. Stattdessen sei jeweils der Vermieter oder Verwalter zwischengeschaltet. Die Versorgungsunternehmen würden in diesen Fällen lediglich den Verbrauch des Gesamtgebäudes kennen – und die Gutschrift für die Dezemberzahlung dann pauschal auf das Betriebskonto anweisen. Diese Gutschrift muss der Vermieter dementsprechend auf die einzelnen Wohneinheiten umlegen. Der Verteilungsschlüssel würde dabei genauso funktionieren wie der Schlüssel, nach dem bisher auch die Gaskosten auf die Wohnungen verteilt würden.
Wenn im März dann für ein Jahr die Gaspreisbremse in Kraft treten sollte, empfiehlt die Kommission für Vermieterinnen und Vermieter dieselbe Vorgehensweise. Die Gutschrift müsse vom Vermieter auf die Wohnungen und Bewohnerinnen umgelegt werden.
Wie werden die großen Industriebetriebe entlastet?
Für etwa 25.000 Großabnehmer aus der Industrie soll die Gaspreisbremse schneller in Kraft treten als für die privaten Verbraucherinnen und Verbraucher. Schon ab Januar soll nach Vorstellung der Kommission der Beschaffungspreis für Gas bei sieben Cent gedeckelt werden. Dies sei der Nettopreis, der nach Angaben der Kommission etwa den zwölf Cent brutto für Privathaushalte entspreche. Auch hier soll es einen Sparanreiz geben, indem nur für 70 Prozent des Vorjahresverbrauchs der Preis gedeckelt wird. Warum jedoch sollen die Industriekunden zwei Monate früher als die privaten Verbraucher von dem Deckel profitieren? Die Kommission, in der auch Vertreter der Versorgungsunternehmen sitzen, betont, dass die Zahl der Privatverbraucher viel höher sei als die Zahl der Industriebetriebe. Für die Großunternehmen ließe sich daher eine Lösung viel schneller umsetzen.
Was kostet das alles?
Die Gaspreiskommission schätzt die Gesamtkosten auf insgesamt etwa 91 Milliarden Euro für den Zeitraum bis April 2024, betont aber, dass es sich noch um sehr ungenaue Zahlen handle. Etwa fünf Milliarden Euro soll die ausgesetzte Abschlagszahlung für diesen Dezember voraussichtlich kosten, von der Privathaushalte, aber auch kleine und mittelständische Unternehmen profitieren werden. Die zweite Stufe des Modells mit der Gaspreisbremse soll dann 86 Milliarden Euro kosten. Finanziert werden soll dies alles aus dem sogenannten „Doppel-Wumms-Paket“ der Bundesregierung. Dafür stockt die Ampel den Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds mit rund 200 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen auf.
Warum dauert es so lange, bis der Deckel wirkt?
Zunächst ist entscheidend, dass die Gaspreiskommission erst vor knapp drei Wochen am 23. September mit dem Projekt beauftragt wurde, ein Entlastungsmodell für Gaskunden zu entwickeln. Bemängelt wird nun, dass die Bundesregierung nicht schon viel früher eine solche Kommission eingesetzt hat, zumal im Frühsommer absehbar war, dass die Gaspreise stark steigen würden. Hinzu kommt, dass einzelne Forscherinnen und Forscher bereits im Februar Vorschläge für einen Gaspreisdeckel vorgelegt hatten. Damals jedoch wurde ein solcher Eingriff in den Gasmarkt als zu schwerwiegend abgetan.
Um nun die Maßnahmen umzusetzen, die von der Kommission vorgeschlagen wurden, braucht die Regierung etwas Zeit. Auch wenn es sich dabei nur um einige Wochen handelt, fallen diese aber genau in jene Phase des Jahres, in der die Versorger breitflächig die Preise anheben und die Kundinnen und Kunden die höheren Abschläge zahlen müssen. Auch wenn die Gaspreisbremse für Verbraucher erst ab März in Kraft tritt, rechnet das Vergleichsportal Verivox damit, dass sich für Endkunden dennoch eine Ersparnis über das Jahr gerechnet von rund 40 Prozent ergibt. Schließlich soll der Deckel zunächst mindestens bis April 2024 gelten.
Wo ist der Haken an dem Modell?
Wegen des enormen Zeitdrucks hat das vorgeschlagene Modell gleich mehrere Schwächen. Zum einen sind die schnellen Entlastungen für Haushalte, die schon jetzt wegen der Inflation und hoher Energiepreise nur knapp über die Runden kommen, kaum spürbar. Sie bekommen zwar eine Abschlagszahlung erstattet, müssen dann aber bis mindestens März 2023 warten, bis die zweite Stufe der Gaspreisbremse startet.
Zudem unterscheidet das Modell nicht nach dem Einkommen der Gasverbraucherinnen und -verbraucher und wie bedürftig sie tatsächlich sind. Von der ausgesetzten Abschlagszahlung und dem gedeckelten Preis profitieren also auch Gutverdienende und Großverbraucher. Weil die Grundlage für die Preisbremse zudem der Vorjahresverbrauch ist, ist auch der zusätzliche Sparanreiz eher gering. Es sei nur eine Pauschallösung möglich gewesen, weil der Zeitdruck enorm war, rechtfertigt die Kommission das Vorgehen.
Zudem liegen den Energieversorger keine Daten über die konkrete Haushaltsgröße vor: EWE, Vattenfall oder Lichtblick wissen nur, wie groß der Kilowattstundenverbrauch eines Anschlusses ist, aber nicht, ob eine Großfamilie oder ein Single das Gas verbraucht. Allerdings kann die Politik hier noch im Gesetzesverfahren nachjustieren. So soll etwa der Preisrabatt bei der Steuererklärung später als „geldwerter Vorteil“ angegeben und versteuert werden – wenn denn die Freibeträge entsprechend gesetzt werden. Und es ließe sich eine Kilowatt-Obergrenze einziehen, bis zu welcher der Staat den subventionierten Preis übernimmt.