Gamescom in Köln: Wie die Spiele-Messe Mütter diskriminiert

Daumen runter. Eine eindeutige Geste von Katharina Weiß, aufgenommen am Eingang zur Business-Area der Gamescom im August. Der Spieleentwicklerin wurde der Zugang zur weltgrößten Spielemesse in Köln verwehrt, weil sie ihr Baby bei sich trug. Auch andere Fachbesucherinnen waren betroffen. So die Games-Komponistin Ana Batistic und Madeleine Egger, Leiterin der Initiative „Womenize! Games and Tech“. Die Kontroverse beginnt mit einem Selfie auf der Plattform LinkedIn. Weiß postet es, aufgenommen am Drehkreuz zur Business-Area der Gamescom, ihr Baby im Tragetuch bei sich. Dazu schreibt sie auf Englisch: „Als stillende Mutter ist es mir dieses Jahr nicht erlaubt, die Gamescom zu besuchen. So sieht Diversität im Jahr 2024 aus.“ Mehrere Teilnehmerinnen mit Nachwuchs berichten, dass ihnen der Zugang verweigert wurde.

Rigoros willkürlich

Zwar beruft sich der Games-Branchenverband game als Co-Veranstalter der Gamescom in einem Statement darauf, dass der Zutritt für Kinder unter vier Jahren grundsätzlich untersagt sei. Diese Regelung schien allerdings willkürlich umgesetzt zu werden. Madeleine Egger sei nach eigenen Angaben an einem Tag eingelassen worden, am darauffolgenden Tag nicht. Augenzeug*innen berichten außerdem, dennoch Kleinkinder und auch Babys auf der Messe gesehen zu haben. Wohlgemerkt, es geht in der Diskussion um Fachbesucherinnen und den von den regulären Messehallen getrennt zu sehenden Business-Bereich, in dem potentiell kindsgefährdende Themen wie Lautstärke keine große Rolle spielen.

Aber nicht nur die Willkür in der Umsetzung stößt auf Kritik. Die Gamescom muss sich die Frage gefallen lassen, wie zeitgemäß es ist, als weltgrößte Spielemesse, die Werte wie Diversität und Nicht-Diskriminierung medienwirksam vor sich her trägt, berufstätige Mütter mit Kindern kategorisch auszuschließen. Vor allem solche, die noch stillen. „Solche Ausschlüsse“, so Weiß, „behindern nicht nur unsere berufliche Entwicklung, sondern widersprechen auch den Grundsätzen der Inklusion, die sie selbst propagieren.“ Das betrifft Spieleentwicklerinnen, Games-Komponistinnen, Journalistinnen, Influencerinnen und viele andere Frauen, die in der Games-Industrie ohnehin einer marginalisierten Gruppe angehören. Denn: Zwar machen Frauen sowohl weltweit als auch in Deutschland mittlerweile rund die Hälfte aller Spielenden aus, innerhalb der Spieleindustrie kratzt ihr Anteil aber immer noch an der 30-Prozent-Marke. Wer sich, wie der Bundesverband game, Diversität oder, wie Co-Veranstalter Koelnmesse, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf die PR-Fahne schreibt, täte gut daran, den Müttern in der Branche die Ausübung ihres Berufs zu ermöglichen, anstatt ihnen weitere Steine in den Weg zu legen.

Bereits 2019 wurde Änderung gelobt

Zumal das Problem nicht neu ist. Katharina Weiß berichtet, dass ihr bereits 2019 von der Gamescom mit Ausschluss gedroht worden sei, als sie die Messe als Fachbesucherinnen mit ihrem Sohn besuchen wollte. Erst als der Eklat öffentlich wurde, lenkte der Veranstalter ein und versprach, die Situation zukünftig zu verbessern. Fünf Jahre später hat sich aber offenbar nichts geändert. Der Verweis, dass in der Family & Friends Area der Gamescom ein Kindergarten eingerichtet worden sei, „bei dem Eltern ihre Kinder ab 4 Jahren für eine gewisse Zeit betreuen lassen können“ hilft gerade stillenden Müttern wenig. Vor allem, da ihm der Satz folgt „Dies ist aus unterschiedlichen Gründen für jüngere Kleinkinder und Babys allerdings nicht möglich.“

Dieses Und-Basta-Statement zeigt in seiner vagen Knappheit wenig Verständnis für die Lebenssituation der berufstätigen Mütter innerhalb der Gamesbranche. Und das, obwohl andere Formate längst zeigen, wie es ginge. Auf der Entwickler*innenkonferenz Develop:Brighton ist als Maßnahme zur „Parent Accessibility“ die Mitnahme von Kindern und Babys unter vier Jahren ausdrücklich erlaubt. Die Game Developers Conference bietet Kinderbetreuung vor Ort und Stillräume, sogenannte Nursing Pods, an. Und auch die devcom, die Fachveranstaltungsreihe innerhalb der gamescom, die im vergleichsweise ruhigen Confex Center stattfindet, hat auf Anfrage dieses Jahr Ausnahmen gemacht.

„Rabenmutter“-Bashing

Die Frauen machen deutlich: Ihnen geht es ausdrücklich nicht darum, ihre Babys auf eine von über 30.000 Menschen besuchten Games-Messe zu schleppen. Dass das überhaupt klargestellt werden muss, sagt viel über Stereotype aus, mit denen Mütter, zumal wenn sie berufstätig sind, nach wie vor konfrontiert werden. In den Kommentarspalten legen Weiß und Co. sachlich ihre Kritik dar: dass die Messe für sie als in der Games-Branche Tätige wichtig für ihren beruflichen Kontext ist. Dass es nur um den Business-Bereich gehe. Dass es aber grundsätzlich auch um die Entscheidungsfreiheit der Eltern und die Teilhabe von Müttern gehe. Was sie trifft: Eine Welle reaktionärer Schlagwörter und Empörung, augenscheinlich zu einem großen Teil von cis Männern in stereotypes Mütter-Bashing gepresst: „Rabenmutter!“, „Das Jugendamt soll deine Kinder holen.“, „Kinder haben da nichts zu suchen. Und Punkt.“, „Wofür gibt es Elternzeit?“, „Wenn du Kinder bekommst, hast du eben zurückzustecken“. Die berufstätige Mutter ist in einer nach wie vor von cis Männern dominierten Branche Feindbild und funktioniert als Steilvorlage für übergriffige Erziehungsdogmatik. Da wird „Dummheit“ unterstellt („Hoffe, der Papa des kleinen Wesen (sic!) von der Katharina ist da intelligenter.“), Egozentrik, Unmoral.

Die Unmoral der berufstätigen Mutter: Sie will ihre Berufstätigkeit ausüben, das reicht aus, um Anstoß zu erregen. Ihr Baby will sie dabei aber nicht wegzurationalisieren. Denn, daran denkt Mann wohl nicht in den Kommentarspalten: Katharina Weiß, Madeleine Egger, Ana Batistic und alle anderen Mütter* wollen genau das: Care-Arbeit und Erwerbs-Arbeit zusammenbringen. Weil es sich eben nicht ausschließen muss. Das Problem könnte durch geänderte Wegführungen, andere Zugänge oder auch durch die Bereitstellung von speziellen Gehörschützen für Kleinkinder und Babys sowie geeignete Kinderbetreuungsmöglichkeiten gelöst werden. Und gelöst werden muss es. Denn: „Für viele Eltern, die in dieser Branche arbeiten, ist es unerlässlich, dass sie ihre Kinder mitbringen können, insbesondere wenn diese noch gestillt werden müssen oder keine andere Betreuungsmöglichkeit besteht.“ so Katharina Weiß. Und sie finden einen Weg. So wie Ana Batistic. Als sie wiederum abgewiesen wurde, suchte sie sich Hilfe bei einem benachbarten Hotel. Die erlaubten dem Babysitter und der kleinen Tochter, ein Lager in der Hotellobby aufzuschlagen. So konnte Batistic zwischen der Business-Area der Gamescom und dem Hotel hin und her pendeln. Nur: Kann es wirklich sein, dass sich berufstätige Mütter innerhalb der Games-Branche auf der wichtigsten Spielemesse der Welt selbst Kreativlösungen schustern, die an absurde Rätsel aus Point&Click-Adventures der 90er-Jahre erinnern?

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