Fredric Jameson: Stets historisieren!

Wenn man zwei Tage nach der Landtagswahl in Brandenburg über den Tod des großen Literaturkritikers, Theoretikers und Marxisten Fredric Jameson nachdenkt, der am Sonntag im Alter von 90 Jahren gestorben ist, dann treten einige wichtige Widersprüche und Entwicklungen unserer Zeit noch einmal geschärft hervor. Denn das war und bleibt der Jameson-Effekt: Die Gegenwart gewinnt an Klarheit, wenn man sie in Verbindung mit Geschichte und eingebettet in Theorie betrachtet.

Es ging Jameson im Grunde immer darum, eine Art von Zeitgenossenschaft zu behaupten, die, so sah er es, verloren zu gehen droht in einer Epoche technologischer, medialer und kapitalistischer Transformation. Grob gesagt: die Schnelligkeit unserer Zeit. Genauer gesagt: die Veränderung der Produktionsverhältnisse in einem Wirtschaftssystem, das alles, also auch die Kultur, als Ware sieht.

Jameson, das merkt man schon, kam aus der Schule der nicht umsonst so genannten Kritischen Theorie, wie sie etwa Theodor W. Adorno und Max Horkheimer erst in Frankfurt am Main, nach der Vertreibung durch die Faschisten in den USA etablierten: eine an Karl Marx geschulte Sicht auf die Gesellschaft, die in den Widersprüchen des Kapitalismus die eigentliche Erklärung findet für die Konflikte unserer Zeit, jeder Zeit. Aber welche Art von Kapitalismus? Das war die Frage.

Denn dieses System – heute fast zu groß, um es zu beschreiben, zu massiv, um es zu sehen – war damals, als Jameson in den 1960er Jahren anfing, noch im Werden und in seiner Geschichtlichkeit erkennbar. Es gab Alternativen, nicht nur den Sozialismus und den Kommunismus, sondern auch Varianten innerhalb des Kapitalismus und eine Entwicklung, die es zu beschreiben galt.

Ästhetik und Politik waren für Jameson nicht zu trennen

Das war eines der Hauptanliegen von Fredric Jameson, der 1934 in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio geboren wurde und nach Stationen in Harvard und der University of California in Santa Cruz die längste Zeit seines Lebens an der Duke University in North Carolina lehrte: Was sind die Epochen, was sind die Perioden einer Gegenwart, die sich nur dann zu erkennen geben, wenn wir die richtigen Fragen stellen?

Sein Medium war dabei vor allem die Kultur und die Kunst und hier speziell die Literatur. Jameson promovierte mit einer eleganten Arbeit über den französischen Philosophen Jean-Paul Sartre und dessen Stil, aus dem heraus er die ethischen und politischen Positionen Sartres sowie des Nachkriegs-Existentialismus überhaupt herausarbeitete. Ästhetik, das zeigte sich von Anfang an, war für ihn nicht von Politik zu trennen.

Im Gegenteil: Als Leser von Walter Benjamin betrachtete er die ästhetische Produktion als eine besonders gute Möglichkeit, die Macht zu fassen und zu analysieren, wie sie sich zeigte und wie sie sich veränderte. Benjamin, der große deutsche Philosoph, arbeitete im Kontext der 1920er und 1930er Jahre, er dachte über Film und Radio nach und über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, wie einer seiner berühmtesten Aufsätze heißt. Jameson tat im Grunde nichts anderes.

Nur dass sich eben die Zeiten geändert hatten – und damit auch die Technologie als vorderster Treiber von Veränderung und wiederum Ausdruck und Produkt von kapitalistischer Transformation. Das war eines der zentralen Argumente von Jamesons vielleicht bekanntestem Aufsatz, aus dem Jahr 1984: über Postmodernism, or The Cultural Logic of Late Capitalism (was später auch der Titel eines seiner wichtigsten Bücher wurde). Wobei er mit der kulturellen Logik des Spätkapitalismus weniger den kapitalistischen Endpunkt meinte, sondern vielmehr den Kapitalismus in seiner Zeit.

Ein einsamer Marxist

Und die war eben gekennzeichnet, seit den 1960er Jahren spätestens, durch eine technologische Revolution, wie im 18. Jahrhundert durch die Dampfmaschine und im späten 19. Jahrhundert durch elektrischen Strom und den Verbrennungsmotor: Nun war es der Computer, der dieses, wie es genannt wird, dritte Maschinenalter bestimmte. Und Jameson machte sich daran zu untersuchen, was das für künstlerische und damit gesellschaftlich-politische Konsequenzen hatte.

Er befand sich damit für einen Kulturkritiker in einer ziemlich ungewöhnlichen Position, da er die technologischen oder überhaupt materiellen Grundlagen von ästhetischer Produktion mitdachte. Er stand auch ein wenig allein dadurch, weil er einerseits ein Kritiker des seit den 1980er Jahren zeitgeistigen Postmodernismus war (der eigentlich, wenn man Jameson gelesen hat, Techno-Modernismus heißen sollte) – und weil er andererseits als Marxist spätestens seit dem Fall der Mauer und dem Ende der Geschichte, oder wenigstens des Kommunismus, in den 1990er Jahren etwas aus der Zeit gefallen schien.

Tatsächlich, und auch davon handelten die Texte und Bücher von Frederic Jameson immer wieder, verloren sich die 1990er Jahre in sich selbst und verpassten den Anschluss an die eigene Gegenwart. Eine etwas amnesische Stimmung setzte ein, eine Gedankenlosigkeit und dadurch Verständnislosigkeit, wie die Dinge so geworden waren, wie sie sind. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher hatte schon in den 1980er Jahren, als Jameson seine großen Texte schrieb, die Richtung vorgegeben: Es gebe, so Thatcher, einfach keine Alternative zum Gang der Dinge.

ArbeitBenjaminBrandenburgEndeFilmFrankfurtGeschichteGesellschaftJeanJean-PaulKapitalismusKarlKulturKunstLiteraturMANMaxPaulPolitikSartreSchuleSelbstStromTechnoTodUSUSAVerbrennungsmotorWWalterWeilWELTZeit