Frauen im Christentum: Ikoninnen

Traurig sieht Maria aus, als der Engel ihr eine große Freude verkündet, nämlich dass sie ein Kind empfangen werde. Gabriel schaut auch nicht festlich drein. Die Häupter der beiden sind von goldenen Heiligenscheinen umflort, im Himmel schwebt der Heilige Geist, der schwarze Strahlen auf Maria abfeuert. Man kann natürlich argumentieren, dass beide schon wissen, was einige Jahrzehnte später geschehen wird – Christus stirbt am Kreuz, Maria wird leiden. Andererseits ist es die Verkündung durch den Engel, die Maria einige Tage später in ihren berühmten Lobgesang ausbrechen lässt, das wuchtige Magnificat. Als sie bei ihrer Cousine Elisabeth zu Gast ist, die auch schwanger ist mit einem Kind, das man später Johannes den Täufer nennen sollte, sagt Maria: „Meine Seele erhebt den Herrn, / und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilands; / denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. / Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder; / denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und des Name heilig ist.“ Dieser große Affekt des Jubels ist jedoch in dem Gemälde nicht zu sehen, es wirkt fremd und fern.

Das liegt daran, dass es eine Ikone ist. Dieser Malereitypus aus Byzanz dürfte vielen deutschen Katholiken und Protestanten vor allem durch Reisen in den Bereich der Ostkirchen bekannt sein. Als Tourist in Istanbul oder Moskau begegnet man Ikonen ständig. Sie bevölkern dort Kirchen, Andenkenläden und auch private Wohnungen. Auf westliche Augen wirken Ikonen oft geheimnisvoll, anders irgendwie. Wie eine Abweichung von kunsthistorischen Normen, mit denen Europäer aufgewachsen sind.

Eine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt am Main will diese Sehgewohnheiten ändern. Dort sind bis zum 19. Januar nächsten Jahres 78 Bildnisse zu sehen. Es sind ausschließlich Bildnisse, in denen Frauen eine Rolle spielen; Maria und Gabriel nehmen auch teil. Ikona – heilige Frauen heißt die Schau. Denn Frauen sind nicht nur in der Kirchengeschichte unterrepräsentiert, sie sind es auch in der Ikonenmalerei. „Herrscherinnen, Helferinnen und Heilerinnen sowie Gestalterinnen eigener Lebensräume“ will man in Frankfurt zeigen, so steht es auf der Ausstellungswebsite. Was haben die Bildnisse gemein? Nun, sie sind Zeugnis dessen, dass Frauen im Christentum mitnichten ständig nur in Nebenrollen unterwegs waren. Sie standen am Kreuz, hielten den toten Jesus im Arm und bezeugten als Erstes seine Auferstehung. Sie sind als Märtyrerinnen gestorben, genauso wie ihre männlichen Pendants.

Doch was sind Ikonen eigentlich? Mit eikón, altgriechisch für „das Bild“, bezeichnete man in der Spätantike Toten-, Kaiser- und Götterbildnisse. Die Heiligenikone, wie sie heute in den Kirchen des Ostens hängt, hat sich in Byzanz, der metropolartigen Hauptstadt des Oströmischen Reiches (heute Istanbul), aus Totenbildnissen entwickelt. Den berühmten Ikonen wurde in Byzanz eine Verehrung zuteil, wie sie sonst nur der Kaiser Ostroms erfuhr. Man warf sich in ihrer Gegenwart andächtig auf den Boden. Der Glaube war: In den Ikonen kann man als Betender Gott begegnen, die Gemälde enthalten etwas vom Götterfunken selbst. Deshalb galt das Ikonenmalen nicht als ein Kunsthandwerk, nein, es galt als Liturgie, also als Gottesdienst.

Der sparsame Einsatz von Mimik lässt Ikonen so fremd und irgendwie nicht menschlich erscheinen. Es ist aber nicht nur das seltsam erstarrte Gesicht, die Irritation des westlichen, ungeübten Betrachters erklärt sich auch aus der Optik der Bildnisse. Seit der Renaissance erstellen Maler des Westens ihre Gemälde eigentlich nach den Gesetzen der Zentralperspektive. Dabei verlaufen sämtliche Linien, die in die Tiefe des Raumes gehen, auf einen Fluchtpunkt zu. Dadurch wirkt der dargestellte Raum auf den Betrachter dreidimensional. Die Ikonenmalerei ist über die Jahrhunderte aber strikt zweidimensional geblieben. Das Heiligenbildnis soll nur ein Abbild der Wirklichkeit sein, aber niemals die Wirklichkeit selbst, deshalb mussten sich die Maler auch nicht anstrengen, einen Naturalismus in ihre Heiligenbilder zu bekommen, den das westliche Auge erwartet.

Betrachtet man die Werke der Frankfurter Schau, so begegnen einem lauter geheimnisvolle Figuren. Maria, wie sie verstimmt ihren Sohn stillt, ein Bildtypus, der im Griechischen den schönen Namen galaktotrophousa trägt; Maria, wie sie ungerührt von sieben Schwertern durchbohrt wird – oder Katharina von Alexandrien, die völlig emotionslos auf das Rad rechts von sich blickt, das Rad, auf dem sie, der Heiligenlegende zufolge, den Märtyrertod erleiden sollte. Je länger man sich die zweidimensionalen Damen anschaut, desto unangenehmer wird das Erlebnis. Sie stehen am Fuß des Kreuzes, halten den Erlöser im Arm oder schauen die Herrlichkeit Gottes und sehen dabei, für das ungeübte Auge, immer gleich aus. Und dennoch umgibt die Bildnisse ein heiliger Hauch, wahrscheinlich eben weil sie so exotisch aussehen.

Viele der heute berühmtesten Heiligen- und Götterbildnisse sind im Mittelalter entstanden. Auch im 21. Jahrhundert werden Ikonen noch gemalt, in einer fast ungebrochenen vielhundertjährigen Tradition. Die Maler lernen das Handwerk von älteren Meistern ihrer Zunft. In den Ländern der Ostkirchen kann man Ikonenmalerei sogar studieren. Ob sich dieses Handwerk in Zukunft vielleicht auch ein wenig den Darstellungen menschlicher Emotionen öffnet, also der ja auch vorhandenen humanen Seite aller Heiligen, Jungfrauen und Gottessöhne? Wer weiß. Bis dahin kann man nach Frankfurt fahren, um sich zumindest ein bisschen faszinieren zu lassen.

Traurig sieht Maria aus, als der Engel ihr eine große Freude verkündet, nämlich dass sie ein Kind empfangen werde. Gabriel schaut auch nicht festlich drein. Die Häupter der beiden sind von goldenen Heiligenscheinen umflort, im Himmel schwebt der Heilige Geist, der schwarze Strahlen auf Maria abfeuert. Man kann natürlich argumentieren, dass beide schon wissen, was einige Jahrzehnte später geschehen wird – Christus stirbt am Kreuz, Maria wird leiden. Andererseits ist es die Verkündung durch den Engel, die Maria einige Tage später in ihren berühmten Lobgesang ausbrechen lässt, das wuchtige Magnificat. Als sie bei ihrer Cousine Elisabeth zu Gast ist, die auch schwanger ist mit einem Kind, das man später Johannes den Täufer nennen sollte, sagt Maria: „Meine Seele erhebt den Herrn, / und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilands; / denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. / Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder; / denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und des Name heilig ist.“ Dieser große Affekt des Jubels ist jedoch in dem Gemälde nicht zu sehen, es wirkt fremd und fern.

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