Jimmy Carter war der außergewöhnlichste Präsident der USA: Friedensnobelpreisträger, Solaraktivist, bescheidener Christ, Kämpfer für die Gleichberechtigung, heimatverbunden. Franz Alt erinnert sich an ein Abendessen mit Carter in Bochum
Einige deutsche Zeitungen haben den jetzt verstorbenen US-Präsidenten Jimmy Carter noch in seiner Amtszeit als „unfähigsten Präsidenten aller Zeiten“ beschrieben. In Wirklichkeit erwies sich Carter als einer der zukunftsfähigsten und vorausschauendsten. So installierte er schon in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts mitten in der Ölkrise auf dem Weißen Haus Solaranlagen, die sein Nachfolger Ronald Reagan an seinem ersten Arbeitstag wieder abmontieren ließ. Symbolisch für Carter und symbolisch für Reagan. Jimmy Carter träumte schon vor 50 Jahren vom „solaren Zeitalter“, wie er mir bei einem Abendessen 2012 in Bochum erzählte: „Doch mein Nachfolger wollte das Öl-Zeitalter verlängern“, ergänzte er lachend: „Ich wollte aber die solare Weltrevolution.“ Er war seiner Zeit oft weit voraus.
Jimmy führte mit Rosalynn Carter die längste Ehe aller US-Präsidenten
Bis zu seinem 98. Lebensjahr hat Jimmy Carter an seinem Geburtsort, dem 600 Einwohner zählenden Plains im US-Staat Georgia in seinem selbst gebauten Haus gewohnt, 200 Kilometer von der Landeshauptstadt Atlanta entfernt. Im Dorf Plains ist er für alle bis heute „Mister Jimmy“. Jetzt ist er auch dort in seinem selbst gebauten Schlafzimmer gestorben. Der handwerklich begabte 39. Präsident der USA predigte jahrzehntelang in einer der acht Kirchen von Plains Sonntag für Sonntag. Carter war 77 Jahre lang mit seiner Frau Rosalynn verheiratet. Sie starb 96-jährig im November 2023. Rosalynn und Jimmy führten die längste Ehe aller US-amerikanischen Präsidenten.
Ohne seine Frau ist Jimmy Carters politische Karriere undenkbar. Sie lebten und arbeiteten als politisches Traumpaar. Rosalynn hatte im Weißen Haus als erste First Lady ihr eigenes Büro und ihren eigenen Mitarbeiterstab. Sie nahm auch an Kabinettssitzungen teil. In ihrer Biografie schrieb sie dazu, ihr Mann lasse sich zwar von ihr beraten, aber nichts vorschreiben. Jimmy Carter selbst sah in seiner Frau seine „wichtigste Beraterin“. Die Nahost-Friedensvermittlung Carters geht im Wesentlichen auf Rosalynn Carter zurück. Sie hatte schon politisch für ihn geworben, als er 1970 Gouverneur seines Heimatstaats Georgia wurde. Im Präsidentschaftswahlkampf 1976 hat sie in 42 Bundesstaaten für ihren Mann unzählige Wahlkampfreden gehalten. Die Süddeutsche Zeitung nannte sie „eine First Lady für die Geschichtsbücher“.
Jimmy Carter war ein Kämpfer für die Menschenrechte weltweit
Der Jesus-Freund Carter war an Krebs erkrankt, ließ sich im Krankenhaus behandeln, zog sich aber zum Sterben in sein geliebtes Haus zurück und lehnte am Schluss jede medikamentöse Behandlung gegen den Krebs ab. 1979 hatte Carter den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten ausgehandelt und setzte sich für einen eigenen Palästinenserstaat ein. Hinter den Kulissen sorgte er dafür, dass zu seiner Amtszeit der Rassenkonflikt in Rhodesien beendet wurde und im Equal Rights Amendment (ERA) warb er für die gesetzlichen Rechte der Frauen.
Sein ganzes politisches Leben lang war Jimmy Carter ein Kämpfer für die Menschenrechte weltweit. Als wir uns in Bochum zum Abendessen trafen, war er am Morgen von einer Tour für die Menschenrechte in Nahost gekommen. Er hatte eine internationale Vision des Evangeliums: Gleichheit und Würde für a l l e Menschen. Carter: „In den Augen Gottes sind alle Menschen gleich.“
Auf die Frage, ob er Angst vor dem Tod habe, sagte der gläubige Baptist: „Ich habe versucht, mein Leben nach Jesus Christus auszurichten. Deshalb fürchte ich nicht, was nach dem Tod kommt.“ Zum Sterben hat er sich schon im Frühjahr 2023 in sein geliebtes Haus zurückgezogen. Ein aktuelles Gerücht in den USA besagt, Carter habe in seinem Testament verfügt, dass Donald Trump nicht an seiner Beerdigung teilnehmen dürfe.
Im Einsatz für Frieden durch politische Kompromisse
Dass er nach nur einer Amtszeit von Ronald Reagan abgelöst wurde, störte Jimmy Carter weniger als seine Frau. Sie sagte nach seiner Abwahl 1980: „Ich bin verbittert genug für uns zwei“. Auch in unserem Gespräch in Bochum war von Verbitterung nichts zu spüren. Jimmy Carter fühlte sich als politischer Aktivist weltweit gebraucht – auch ohne politisches Amt. Als Träger des Friedensnobelpreises im Jahr 2002 warb er bei allen großen Konfliktfeldern bis zuletzt für Frieden durch politische Kompromisse. Er lebte für den Frieden. Es war und ist sein großes und bleibendes Verdienst, dass er 1978 den israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin und den ägyptischen Präsidenten Anwer el-Sadat in Camp David zusammenbrachte und nach zwölf intensiven Verhandlungstagen das berühmte Camp David-Abkommen zustande kam: die Basis für den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten im Jahr 1979. Begin und Sadat erhielten für den von Carter vermittelten Friedensvertrag den Friedensnobelpreis.
Als großer Friedensvermittler wird Jimmy Carter in Erinnerung bleiben. Er hat von allen bisherigen Präsidenten der USA das höchste Lebensalter erreicht. Die heutige Welt braucht solche Friedensvermittler mehr denn je. Jimmy Carter ist für mich ein Held. Er bleibt eine Inspiration.