„Totaler Wahnwitz“, „1981 hoch zehn“ – Bruno Le Maire sparte am Freitag nicht mit Kraftausdrücken, um vor dem Programm zu warnen, auf das sich die in der „Neuen Volksfront“ vereinten französischen Sozialisten zusammen mit Grünen, Kommunisten und den Linkspopulisten um Jean-Luc Mélenchon verständigt haben. Die Folge seien Massenarbeitslosigkeit und im Grunde ein „wirtschaftlicher Zusammenbruch“ des Landes.
Das Programm der Linken für die Parlamentswahlen Ende Juni, Anfang Juli sieht unter anderem eine Wiedereinführung der Vermögensteuer vor, die unter Mitwirken von Finanz- und Wirtschaftsminister Le Maire zu einer Immobiliensteuer umgewandelt worden war, sowie eine Rückkehr zur Rente mit 60.
Mit 1981 bezog sich Le Maire auf den Versuch des damaligen Präsidenten François Mitterrand, mit einem sozialistisch-kommunistischen Programm die „Herrschaft des Großkapitals“ zu brechen – ehe er schon zwei Jahre später im Strudel aus Inflation, hoher Neuverschuldung, Franc-Schwäche und Kapitalflucht eine wirtschaftspolitische Kehrtwende vollziehen musste.
Die Unsicherheit nimmt eher zu als ab
Schon wenige Tage nach der von Präsident Emmanuel Macron verkündeten Parlamentsauflösung ist Frankreich voll im Wahlkampfmodus. Neue Meinungsumfragen sehen sowohl die „Neue Volksfront“ als auch den rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) deutlich vor Macrons zentristischer Parteienallianz.
Das sorgt nicht nur in dessen Reihen und bei Ministern wie Le Maire für Unruhe, sondern immer stärker auch an den Finanzmärkten. Der französische Aktienleitindex CAC 40 ist inzwischen auf den Stand vom Jahresbeginn gefallen und notierte am Freitagmittag rund 6 Prozent unter dem Wert von Anfang der Woche, das ist etwa doppelt so viel, wie der Dax in diesem Zeitraum verloren hat.
Auch am Anleihemarkt hat die Unsicherheit im Wochenverlauf eher zu- als abgenommen. Der Renditeunterschied zwischen deutschen und französischen Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit stieg am Freitag zwischenzeitlich auf mehr als 0,8 Prozentpunkte. Das ist ein wichtiger Indikator für die Risikoeinschätzung der Märkte. Auch der Renditeunterschied zu weniger stabilen Eurostaaten wie etwa Portugal hat sich merklich vergrößert.
Schlicht nicht finanzierbar
Mit Fitch und Moody’s haben diese Woche zwei der großen Ratingagenturen vor der unsicheren Perspektive für die französische Wirtschaft gewarnt. Vor diesem Hintergrund ließ Le Maire diese Woche keine Gelegenheit aus, vor der Gefahr eines Wahlsiegs von RN oder „Neuer Volksfront“ zu warnen. Die Rechtspopulisten fordern ebenfalls eine Teilrückkehr zur Rente mit 60 und unter anderem eine Mehrwertsteuersenkung für Strom, Gas, Sprit und Lebensmittel von 20 auf 5,5 Prozent.
Le Maire nannte das schlicht nicht finanzierbar und ließ sein Ministerium vorrechnen, dass allein diese Steuersenkung mit 24 Milliarden Euro in etwa so viel Geld kosten würde, wie zum Erreichen der Budgetziele für 2025 der französische Staat einsparen müsste. Gegenfinanzieren will der RN die Maßnahme unter anderem durch eine bessere Eindämmung von Sozialbetrug.
Le Maires Appell an Wirtschaftsvertreter wie den Arbeitgeberverband Medef, klar Position gegen die Forderungen der Populisten von links wie rechts zu beziehen, kamen diese jedoch nur bedingt nach. Der Medef etwa vermied es, in einer offiziellen Stellungnahme diese Woche explizit Stellung gegen den RN und die anderen Parteien zu beziehen.
„Eine Mehrdeutigkeit des Wirtschaftsprogramms“
Auch einen klaren Aufruf für Macron und liberale Kräfte vermied der Verband. Stattdessen beschränkte er sich auf Andeutungen und teilte unter anderem mit, Projekte zu unterstützen, „die Wirtschaftsreformen und europäische Ambitionen“ zum Gegenstand haben.
Die politische Zurückhaltung der Arbeitgeber ist in Frankreich nichts Neues. Während Konzerne und Mittelständler in Deutschland zuletzt klar Position gegen rechts bezogen haben, gab es nur wenige Wirtschaftsvertreter, die sich in der Vergangenheit vor Wahlen positioniert haben. Ein wesentlicher Grund gerade bei Mittelständlern und den Verbänden kleiner und mittelgroßer Betriebe: die hohen Zustimmungswerte bei Kunden und auch eigenen Mitarbeitern außerhalb der Pariser Metropolregion für populistische Parteien.
Dabei ist kein Geheimnis, dass den französischen Großkonzernen an einer proeuropäischen Politik gelegen ist und sie Macrons wirtschaftsliberalen Kurs der vergangenen Jahre unterstützt haben; rund 75 Prozent ihres Geschäfts erzielen die Unternehmen des CAC 40 heute im Ausland, eine stärkere Abschottung wäre verheerend für sie.
Im Ausland und gegenüber der Auslandspresse spricht manch einer deshalb offener als in Frankreich. „Wir haben große Schwierigkeiten, das Programm des RN zu verstehen“, sagte Medef-Chef Patrick Martin unlängst der F.A.Z. Auch wenn die Partei weniger radikal sei als noch vor ein paar Jahren, als man noch vom Austritt aus dem Euro sprach, gebe es „eine Mehrdeutigkeit des Wirtschaftsprogramms, die mich überhaupt nicht beruhigt“.