Fragiles Frankreich: „Eine politische Krise wird eine Finanzkrise erwecken“

In seinem Bemühen um Haushaltskonsolidierung stößt Frankreichs Premierminister Michel Barnier zunehmend an Grenzen. Auch ohne Zutun der Opposition erscheint immer ungewisser, was von dem Sparhaushalt übrig bleibt, den seine Minderheitsregierung im Oktober vorgelegt hat. In ursprünglicher Fassung sah er einen Mix aus staatlichen Ausgabensenkungen und höheren Abgaben für Konzerne sowie Gutverdiener im Umfang von rund 60 Milliarden Euro vor. Damit sollte das Haushaltsdefizit von mehr als sechs Prozent in diesem Jahr auf fünf Prozent im kommenden Jahr sinken. Nicht zuletzt den Ratingagenturen, Anleihemärkten und europäischen Partnern wollte Barnier die Fähigkeit zur Haushaltskonsolidierung demonstrieren.

Doch wirklich sparen möchte in seiner Regierung niemand. Die Minister für Justiz und Energie drohten schon mit Rücktritt, sollte ihr Budget wie geplant gekürzt werden. Die Zugeständnisse mehren sich unter dem Druck von Interessengruppen aller Couleur, und in der an diesem Montag beginnenden Senatsdebatte zum Haushalt dürften weitere Forderungen auf­kommen. Schon beschlossen ist, die Renten statt zum Juli partiell doch schon zum Januar anzuheben. In anderen Fragen wie der milliardenschweren Kürzung von Abgabenerleichterungen für Unternehmen sind die Regierungsparteien wiederum zerstritten.

Attal ist auf Barnier schlecht zu sprechen

Für das Arbeitsklima in der Regierung erschwerend hinzukommt, dass vor allem Vertreter des Präsidentenlagers die Hemmungen verlieren, Dissens in die Öffentlichkeit zu tragen. So ging Finanz- und Wirtschaftsminister Antoine Armand dieser Tage bemerkenswert deutlich zum Sparhaushalt und zum republikanischen Premierminister auf Distanz. In einem Interview mit „Le Parisien“ warnte er vor einem Übermaß an Steuern und stellte klar, wem er sich mehr verbunden fühlt. „Ich bin Minister unter Michel Barnier und vor allem gehöre ich der Familie Ensemble pour la République an“, sagte Armand, der den Haushaltsentwurf mitsamt Steuererhöhungen federführend mit­erarbeitet hatte.

In den Reihen des Premierministers rief das Interview Irritationen hervor. Barniers Vorgänger Gabriel Attal applaudierte auf der Online-Plattform X dagegen. „Richtiges und verantwortungsvolles Interview“, sagte der Ensemble-Fraktionschef und erklärte, dass man sich weiter für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft einsetze. Es gebe „alternative Wege zur Erhöhung der Abgaben“. Attal ist auf Barnier schlecht zu sprechen, seitdem ihm dieser in der Nationalversammlung süffisant die desolate Kassenlage vorhielt, die er bei Amtsantritt vorgefunden hatte.

Le Pen stellt Bedingungen

Angesichts des starken Widerstands der Opposition gegen den Haushaltsentwurf ist unklar, ob die Minderheitsregierung die kommenden Wochen überhaupt überstehen wird. Barnier hat schon ange­kündigt, im Dezember „wahrscheinlich“ vom berüchtigten Verfassungsparagraphen 49.3 Gebrauch zu machen. Mit ihm gälte das Haushaltsgesetz ohne weitere Abstimmung als angenommen. Sämtliche der jüngsten Änderungsanträge der Opposition könnten unberücksichtigt bleiben. Doch könnte diese die Gelegenheit nutzen, die Regierung mittels Misstrauensantrag zu stürzen.

Ob es so kommt, steht und fällt wohl mit Marine Le Pen. Ihr rechtspopulis­tischer Rassemblement National hat zusammen mit dem Linksbündnis Neue Volksfront die nötigen Stimmen, um der erst Anfang September formierten Re­gierung ein Ende zu bereiten. Während die Eskalationsbereitschaft der Linken als gesichert gilt, stellt Le Pen Bedingungen. „Wir werden nicht akzeptieren, dass die Kaufkraft der Franzosen weiter beschnitten wird“, sagte sie vorige Woche in ei­nem Fernsehinterview. Werde diese „rote Linie“ überschritten, werde man der Regierung das Misstrauen aussprechen. Un­ter anderem die geplante Erhöhung der Stromsteuer ist Le Pen ein Dorn im Auge.

Investoren verschieben Pläne

Barnier ist sich der Bedrohungslage bewusst. Für diesen Montag hat er Le Pen zu einem Vieraugengespräch geladen. Damit drohen weitere kostspielige Zu­geständnisse. Sie ließen das Ziel von fünf Prozent Neuverschuldung in noch wei­tere Ferne rücken – außer die Finanzmärkte bereiten dem Haushaltsgebaren ein Ende. Zum Wochenende hin ist die Differenz zwischen französischen und den als sehr sicher geltenden deutschen Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit wieder leicht gestiegen, auf rund 80 Basispunkte. Dieser Risikoaufschlag signalisiert wachsende Zweifel an Frankreichs Kreditwürdigkeit.

Die Diskussionen über einen drohenden Regierungssturz dürften die Zweifel der Märkte nicht kleiner werden lassen. Edouard Philippe, Premierminister in der ersten Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron und Kandidat für dessen Nachfolge, warnte eindringlich vor den Folgen. „Angesichts des Zustands unserer Fi­nanzen garantiere ich Ihnen, dass eine politische Krise eine finanzielle Krise auslösen wird“, sagte er. Folgen für das Wirtschaftsklima hat die fragile poli­tische Lage schon jetzt. Laut einer Umfrage des Beratungsinstituts EY haben 49 Prozent der ausländischen Investoren ihre Investitionspläne in Frankreich infolge der Parlamentsauflösung im Juni reduziert oder verschoben.

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