Über 200.000 Lichtjahre erstreckt sich ein gigantischer Materiestrahl, den Forscher jetzt entdeckt haben. Es ist der längste bislang entdeckte Jet aus der Frühphase des Kosmos. Was sich daraus über die Entwicklung von Galaxien lernen lässt.
Bereits im jungen Kosmos katapultieren große Schwarze Löcher Gas mit nahezu Lichtgeschwindigkeit in eng gebündelten Strahlen ins All. Das zeigen Beobachtungen eines internationalen Forschungsteams mit der über ganz Europa verteilten Antennenanlage LOFAR. Über 200.000 Lichtjahre hinweg erstreckt sich ein von den Forschern entdeckter „Jet“ – zu einer Zeit, als das Universum erst 1,2 Milliarden Jahre alt war.
Es handele sich um den längsten bislang im jungen Kosmos aufgespürten Materiestrahl, so die Gruppe im Fachblatt „The Astrophysical Journal Letters“. „Wir suchen nach Quasaren mit kräftigen Radio-Jets im jungen Universum“, erläutert Anniek Gloudemans vom Gemini Observatory auf Hawaii das Ziel ihres Teams. „Das hilft uns zu verstehen, wie und wann die ersten Jets entstanden sind und wie sie die Entwicklung der Galaxien beeinflusst haben.“ Als Quasare bezeichnen Astronomen hell leuchtende Kerne von Galaxien.
Nahezu alle Galaxien beherbergen in ihrer Mitte große Schwarze Löcher mit der millionen- oder gar milliardenfachen Masse unserer Sonne. Die Galaxie J1601+3102, deren Licht etwa 12,6 Milliarden Jahre bis zur Erde benötigt, ist da keine Ausnahme: In ihrem Zentrum, so zeigen Messungen von Gloudemans und ihren Kollegen, befindet sich ein Schwarzes Loch mit der 450-millionenfachen Sonnenmasse.
Die Schwarzen Löcher ziehen mit ihrer starken Gravitation Gas aus der Umgebung an, das sich in schnell rotierenden Scheiben ansammelt und dort durch Reibung erhitzt – auf Temperaturen von bis zu 100.000 Grad Celsius. Die „Akkretionsscheiben“ leuchten dann hell auf – und deshalb erstrahlen viele Galaxienkerne als Quasare.
Vom inneren Rand der Akkretionsscheibe strömt ständig Gas in das Schwarze Loch hinein, aber keineswegs alles: Ein Teil des heißen Gases entweicht aus der Akkretionsscheibe, wird durch starke Magnetfelder abgelenkt, gebündelt, beschleunigt und schießt dann über den magnetischen Polen des Schwarzen Lochs als Materiestrahl ins All. Solche Jets beobachten Astronomen bei vielen leuchtenden Galaxienkernen – allerdings vor allem im heutigen Kosmos.
Bei Galaxien in großer Entfernung dagegen scheinen die Materiestrahlen seltener und auch kürzer zu sein. Die Beobachtung weit entfernter Galaxien ist für Astronomen eine Art Zeitreise: Wenn das Licht einer Galaxie – wie bei J1601+3102 – 12,6 Milliarden Jahre bis zur Erde benötigt, sehen die Himmelsforscher die Galaxie so, wie sie vor 12,6 Milliarden Jahren ausgesehen hat, also 1,2 Milliarden Jahre nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren. Gab es also damals, im jungen Kosmos weniger und kürzere Jets als heute?
Das könnte ein Irrtum sein, wie die Beobachtungen des Teams um Gloudemans jetzt zeigen. Möglicherweise sind sie nur schwerer aufzuspüren. Denn die kosmische Hintergrundstrahlung, eine Art Strahlungsecho des Urknalls, schwächt die Radiostrahlung von solchen weit entfernten Objekten ab, wie die Forschungsgruppe erläutert. Die Antennenanlage LOFAR erwies sich jedoch als geeignetes Instrument, um die abgeschwächte Strahlung nachzuweisen. Mithilfe zusätzlicher Beobachtungen an anderen Teleskopen im Infrarot-Bereich bestätigten die Forscher dann ihren Verdacht, es handele sich bei der mit LOFAR entdeckten Radioquelle um einen gigantischen Materiestrahl.
Überraschend ist dabei für das Team die Masse des Schwarzen Lochs: Verglichen mit Quasaren im heutigen Kosmos, die große Jets besitzen, ist die Masse von J1601+3102 klein. „Das zeigt uns“, so Gloudemans, „dass kein außergewöhnlich massereiches Schwarzes Loch nötig ist, um im jungen Universum kräftige Jets zu erzeugen.“
dpa/vem
Source: welt.de