Folge dieser Pandemie: „Frauen beklagen vielmehr emotionale Einsamkeit, Männer sind häufiger zwischenmenschlich verlassen“ – WELT

Für viele Menschen ist die Zeit der Corona-Pandemie nur noch eine düstere Erinnerung, die sie mehr oder weniger gut verdrängt haben. Ein großer Teil der Bevölkerung aber leidet noch heute unter den Folgen von Kontaktbeschränkungen und sozialer Isolation. Vor allem bei jungen Menschen hat die Pandemie tiefgreifende Schäden hinterlassen: 44 Prozent der jungen Erwachsenen unter 30 Jahren leiden noch heute unter Einsamkeitsgefühlen.

Das ist das Ergebnis einer Analyse, die das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) am Mittwoch vorgestellt hat. Die Forscher werteten dafür große Datensätze aus dem 2020 gestarteten familiendemografischen Panel Freda (Family Research and Demographic Analysis) aus, für das bundesweit zweimal im Jahr rund 30.000 repräsentativ ausgewählte Menschen zwischen 18 und 53 Jahren sowie ihre Partnerinnen und Partner befragt werden. Sie verglichen die Befunde mit früheren Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel. Menschen über 53 Jahren werden in dieser Studie allerdings nicht erfasst.

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Den Daten zufolge hat die Zeit der Pandemie zu einer fundamentalen Zunahme von Einsamkeitsgefühlen gesorgt. Gaben 2013 und 2017 noch etwas mehr als 14 Prozent an, sich zumindest teilweise einsam zu fühlen, schnellte dieser Wert in der Pandemie dramatisch in die Höhe. 2021 sagten 46 Prozent, sie stimmten der Aussage „Ich fühle mich alleine“ ganz oder zumindest teilweise zu. Seitdem ist der Wert etwas gesunken, lag aber bei der letzten Messung im Winter 2022/23 immer noch bei 36,4 Prozent. Jeder Sechste fühlt sich demnach sogar sehr einsam.

Vor allem die jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren sind von Einsamkeitsgefühlen geplagt: 44,5 Prozent von ihnen geben an, sich oft oder manchmal einsam zu fühlen – bei den 30- bis 53-Jährigen sind es 33,2 Prozent.

Quelle: Infografik WELT

Für Martin Bujard, Forschungsdirektor beim BiB und Freda-Studienleiter, ist das ein Warnzeichen. „Wir sehen hier gegenwärtig eine Tendenz zur Chronifizierung“, sagte Bujard bei der Vorstellung der Studie. Dass Einsamkeitsgefühle gerade bei jungen Erwachsenen so stark ausgeprägt sind, führt er auf die Kontaktbeschränkungen der Corona-Zeit zurück. Jugendliche und junge Erwachsene hätten ausgerechnet in der wichtigen Zeit ihrer Ausbildung gelernt, sich zurückzuziehen und Sozialkontakte wenig oder virtuell zu pflegen. „Das hat ihr Verhalten dauerhaft geprägt.“

Ältere Erwachsene seien hingegen nach der Pandemie eher wieder in alte Strukturen und Kommunikationsmuster zurückgekehrt. „Diesen Standard haben die Jungen noch nicht entwickeln können.“ Aus weiteren Studien des BiB wisse man, dass auch Angststörungen und Depressivität zugenommen hätten und die körperliche Aktivität zurückgegangen sei. „In dem Lichte passen die Ergebnisse sehr gut zusammen.“ Ob man hier bereits von einem dauerhaften Phänomen sprechen könne, würden die nächsten Befragungen zeigen. Wichtig sei es vor allem, an Schulen und Universitäten Angebote zum sozialen Lernen und zur emotionalen Entwicklung zu machen.

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„Wenn wir auf allen Ebenen gegensteuern, bin ich optimistisch, dass wir einen Erholungsprozess sehen werden und langsam auf das Vor-Pandemie-Level zurückkehren“, sagte Mitautorin Sabine Diabaté, Forschungsleiterin Familie am BiB. Das Gleiche gelte für die psychischen Erkrankungen, die stark zugenommen haben.

Einsamkeit kann politische Radikalisierung begünstigen

In ihrer Analyse unterschieden die BiB-Forscher auch zwischen sozialer und emotionaler Einsamkeit. Als sozial einsam gelten Menschen, die mit ihrem sozialen Netzwerk unzufrieden sind, sich von Freunden und Bekannten nicht unterstützt fühlen. Von emotionaler Einsamkeit können hingegen auch Personen mit einem großen sozialen Umfeld betroffen sein, hier geht es um ein gefühltes Defizit an Nähe zu engen Bezugspersonen.

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Die Analysen zeigen, dass soziale Einsamkeit mit 39 Prozent häufiger vorkommt als emotionale Einsamkeit mit 29 Prozent. „Vor allem Frauen beklagen eher eine emotionale Einsamkeit, während Männer häufiger sozial einsam sind“, erklärte Diabaté.

Zudem untersuchten die Forscher, welche Faktoren besonders zu Einsamkeitsgefühlen beitragen. Gute Bildung und Gesundheit sowie das Zusammenleben mit Partner und Familie sind demnach Schutzfaktoren. Gefährdet sind demnach vor allem Alleinlebende, Nicht-Erwerbstätige und Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Auch sozioökonomisch benachteiligte und zugewanderte Menschen verspüren häufiger ein Gefühl von Einsamkeit.

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Für die Betroffenen könne chronische Einsamkeit gravierende gesundheitliche Folgen haben, heißt es in der Studie. So haben Einsame ein erhöhtes Risiko für Schlafprobleme, Herzerkrankungen und Schlaganfälle sowie eine reduzierte Immunabwehr. Sie sind suchtanfälliger und zeigen vorzeitig physiologische Alterungsprozesse.

Darüber hinaus haben einsame Menschen ein höheres Risiko, sich zu isolieren und sich möglicherweise politisch oder religiös zu radikalisieren, warnte Bujard. „Damit kann eine zunehmende Einsamkeit in der Bevölkerung auch ein Risiko für die Demokratie bedeuten, weil sie den inneren, sozialen Zusammenhalt gefährden kann.“

Source: welt.de

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