Flüchtlingsgipfel: Kein neues Geld, aber vier Arbeitsgruppen

Kein neues Geld, aber vier Arbeitsgruppen – Seite 1

Ukrainerinnen und Ukrainer, die von Freiwilligen direkt vom Bahnhof abgeholt und in Privatwohnungen untergebracht werden – das ist längst vorbei. Professionelle Kräfte haben die vielen ehrenamtlichen Helfer abgelöst: Ein Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine kommt die Hilfe für die bisher eine Million Kriegsflüchtlinge meist von staatlichen Stellen oder Hilfswerken. Bei den Asylsuchenden aus anderen Ländern, von denen 2022 weitere 200.000 gekommen sind, ist das schon lange der Fall.

Unverändert angespannt ist die Lage daher bei denen, die Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber unterbringen und versorgen müssen: Die Bundesländer, Städte und Gemeinden. Zwar kommen derzeit aus der Ukraine eher weniger Kriegsflüchtlinge, die erwartete militärische Frühjahrsoffensive des russischen Militärs könnte aber bald weitere Menschen vertreiben. Deutlich mehr Migranten kommen aktuell aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, dem Irak. Mit 300.000 bis 400.000 Asylbewerbern rechne man für 2023, sagt ein Landesinnenminister am Rande des Flüchtlingsgipfels, zu dem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Vertreter von Bund, Länder und Kommunen geladen hatte, um die angespannte Lage zu entschärfen.

Bezogen auf die von den Ländern geschilderte Dramatik brachte das Treffen aber wenig konkrete Ergebnisse. Vielmehr schilderten die Landesvertreter Faeser ihre Probleme ausführlich und wiederholten dabei schon vorher erhobene Forderungen: Die Grenze der Leistungsfähigkeit sei bald erreicht. Es gebe kaum noch Personal, Handwerker- und Dienstleistungen. Es brauche mehr Geld für die Kommunen, aber vor allem mehr Grenzkontrollen: So könnten illegale Einreisen unterbunden und Menschen ohne Bleiberecht schneller zurückgeschickt werden. Mittels Grenzkontrollen könne man zudem Menschen zurückweisen, die schon in einem anderen EU-Land als asylsuchend registriert sind, eine als abgelehnte Asylbewerber verhängte Einreisesperre haben oder gemäß der Dublin-Regelung Asyl in ihrem Ankunftsstaat hätten beantragen müssen. Am stärksten fiel die Kritik des Landkreistages aus: Dessen Präsident Reinhard Sager sagte, Faeser sei die falsche Gesprächspartnerin gewesen. Kanzler Olaf Scholz hätte am Tisch sitzen müssen. Deshalb sei man in der Finanzfrage nicht weitergekommen. 

Widersprüchliche Botschaften

Geeinigt hat man sich auf vier Arbeitsgruppen, die die zentralen Schmerzpunkte bearbeiten sollen. Eine für Fragen der Unterbringung und des Geldes, eine zweite Gruppe soll Entscheidungsprozesse verkürzen, eine dritte die Lage in Kitas, Schulen und die Arbeitsmarktintegration verbessern, und eine die migrationspolitischen Fragen beantworten – Letzteres hatten vor allem die Innenminister aus CDU-regierten Bundesländern verlangt. Erreicht ist dadurch noch nichts, aber die Voraussetzungen für künftige Problemlösungen verbessert. Über Geld will man im April erneut sprechen – die für dieses Jahr vom Bund zugesagten knapp drei Milliarden Euro können ja noch nicht verbraucht sein, betonte Bundesinnenministerin Faeser.   

Einige der Botschaften blieben widersprüchlich: Faeser betonte, es gäbe „keine Flüchtlinge erster oder zweiter Klasse“. Dennoch sind die Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine in Deutschland privilegiert – sie erhalten mit der Einreise einen gesicherten Aufenthaltstitel für zwei Jahre und dürfen – anders als Asylbewerber – sofort Hartz-IV beziehen, sich ihren Wohnort aussuchen und arbeiten. Die Forderungen, Migration zu begrenzen, zielt parteiübergreifend auf die Asylbewerber aus anderen Staaten – obwohl sie derzeit den kleineren Teil der Zugewanderten darstellen.

Nur 17 Prozent aller Ukrainerinnen arbeiten

Auch die Ukrainerinnen und Ukrainer brauchen Betreuung und finanzielle Unterstützung, was den Staat zusätzlich belastet. Die meisten können wegen der traumatisierenden Situation in ihrer Heimat, der Sprachbarriere in Deutschland und fehlender Kinderbetreuung finanziell nicht auf eigenen Beinen stehen. 

Eine Studie verschiedener Institute, die – passend zum Flüchtlingsgipfel – am Donnerstag vorgestellt worden ist, ergab: 17 Prozent aller Ukrainerinnen arbeiten – die Hälfte von ihnen in Vollzeit und die meisten unterhalb ihrer eigentlichen Qualifikation. Die Erhebung stammt aus dem Spätsommer 2022, doch im Vergleich zu den ersten drei Monaten hat sich die Zahl derjenigen, die arbeiten, nicht erhöht. Daraus leiten die Autoren ab, dass die meisten Ukrainerinnen weiterhin auf Hartz-IV-Leistungen, kostenlose Deutschkurse und Hilfe bei der Wohn- und Arbeitssuche angewiesen sind. So hat bisher auch nur jede Dritte eine Berufsberatung im Jobcenter in Angriff genommen. 

Etwas mehr als jede dritte Ukrainerin will bleiben

Anders als bei der Gruppe der Asylbewerber hat die Forschung ergeben, dass die Geflüchteten aus der Ukraine sehr heterogene Bedürfnisse haben: Von den 10.800 Befragten für die Studie Geflüchtete aus der Ukraine, gaben 37 Prozent an, für immer in Deutschland bleiben zu wollen, 34 Prozent bis Kriegsende, 27 Prozent zeigten sich unentschlossen.

Diejenigen, die bleiben wollten, seien oft jung und familiär ungebunden, sagen die Autoren der Studie. Sie absolvierten oftmals Deutsch- und Integrationskurse, um sich auf die Universität oder die Anerkennung ihres Berufsabschlusses aus der Ukraine vorzubereiten. Bis sie finanziell auf eigenen Füßen stehen, wird es also noch dauern, doch ist diese hochmotivierte Gruppe die Hoffnung vieler Arbeitgeber.

Die zweite Gruppe, die in Deutschland auf das Ende des Krieges warte, bestehe vor allem aus Frauen mit Kindern, deren Väter und Ehemänner noch in der Ukraine leben. Diese Personengruppe sei wegen der Ungewissheit psychisch besonders belastet, sagte Andreas Ette, einer der Studienleiter. Und da in den deutschen Kommunen oft Betreuungsmöglichkeiten für Kinder fehlten, nähmen alleinerziehende, geflüchtete Frauen oft nicht an Deutschkursen teil.

Konkurrenz auf dem privaten Wohnungsmarkt

Dabei sind die Voraussetzungen für einen Einstieg ins Arbeitsleben in Deutschland gut: Die Mehrheit der Ukrainerinnen verfüge über ein hohes Bildungsniveau und Arbeitserfahrung in hochkomplexen Experten- oder Spezialistentätigkeiten. Sehr gut integrieren in den deutschen Arbeitsmarkt konnten sich demnach vor allem IT-Experten aus der Ukraine, Lehrerinnen und Forschende. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass die anderen Ukrainerinnen, die derzeit arbeiten, wegen fehlender Deutschkenntnisse vor allem Aushilfsjobs in Bäckereien, Wäschereien und im Gastgewerbe angenommen haben.

Anders als Asylbewerber können sich Ukrainerinnen ihren Wohnort frei wählen: Sie leben vor allem in den Großstädten Berlin und Hamburg sowie den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Die überwiegende Mehrheit (74 Prozent)  sind in privatem Wohnraum untergekommen, bei Verwandten oder selbst gesuchten Wohnungen – was einerseits den Staat entlastet, dessen Flüchtlingsunterkünfte nur zu einem geringen Teil mit Ukrainerinnen belegt sind. Andererseits führt die Nachfrage nach Privatwohnungen zu einer noch angespannteren Situation auf dem Wohnungsmarkt, denn einheimische Niedrigverdiener konkurrieren nun mit ukrainischen Familien.

Die große Frage lautet deswegen, wie sich die Akzeptanz der deutschen Bevölkerung entwickelt. Noch fühle sich die deutliche Mehrheit der Ukrainerinnen in Deutschland willkommen, sagte Nina Rother vom Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, das an der Studie beteiligt war. Allerdings zeigt die Studie, dass dies in Ostdeutschland signifikant weniger oft so ist.

Eine Sorge, die am Tisch von Faesers Flüchtlingsgipfel mitschwang: Sobald die Kommunen aus Platzmangel die ersten Zeltunterkünfte errichten oder verstärkt Turnhallen umnutzen, könne die Stimmung in der Bevölkerung abkühlen. „Die Stimmung droht zu kippen“, sagte der hessische Innenminister Patrick Beuth (CDU).

Die Hoffnung des Bundes und der Länder liegt daher auf dem Migrationsbeauftragten Joachim Stamp, der Abkommen mit Herkunftsstaaten aushandeln soll, damit diese abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen. Mit dem Irak bahne sich ein solches Abkommen an, sagte der FDP-Politiker. Mit Syrien oder Afghanistan aber sei das undenkbar, weil Deutschland weder mit den Taliban noch mit Diktator Assad verhandeln wolle. Stamp schraubte die Erwartung an sein Wirken entsprechend herunter. Man müsse realistisch sein: „Solche Partnerschaften brauchen einen langen Atem und viel Geduld.“ Er sei kein „Abschiebebeauftragter“.

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