Dieser Mann wird Haltung bewahren, auch wenn er am Boden liegt. Das erkennt man auf den ersten Blick. Ruhig lenkt Trojan (Mišel Matičević) seinen Wagen durch die abendlichen Straßen Berlins, bis die Gegend schöner und besser wird. Also reicher. Das Laub sammelt sich am Straßenrand, es ist Herbst, wie auch für Trojan, der nach zwölf Jahren in die Stadt zurückkehrt. Noch ist er nicht zu alt für den Job. Noch kann er warten. In einer der Villen geht das Licht aus, das Garagentor auf. Rasch sind die schwarzen Handschuhe übergestreift, die schwarze Kunstlederjacke trägt er schon die ganze Zeit. Nur wenige Minuten später sitzt Trojan wieder in seinem billigen Hotelzimmer. Und bei der Übergabe dauert es keine Sekunde, bis der andere Gangster, der sich nicht an die Spielregeln hält, von ihm das bekommt, was er verdient.
Genauso effizient wie sein Protagonist geht auch Thomas Arslan seiner Arbeit nach. Bereits nach wenigen Szenen ist die Figur des einsamen Gangsters etabliert. Nur wer sein Handwerk versteht, kann auf das Unnötige verzichten. Die bekannten Motive bringt Arslan souverän in Stellung. Trojans alte Kontakte bröckeln, neue gibt es keine. Sein Verbindungsmann ist mittlerweile Familienvater, hat eine anständige Arbeit und trainiert eine Fußballmannschaft. „Das ist gut“, sagt Trojan. Immerhin zieht er über eine frühere Auftraggeberin, die Anwältin Rebecca (Marie-Lou Sellem), etwas an Land. „Was Klassisches. Geht um ein Gemälde. Job für vier Personen.“
Vor vierzehn Jahren ist Thomas Arslan mit Im Schatten ein Coup gelungen, der mit Trojans Flucht aus Berlin endete. Und klassischer hätte die Rückkehr mit Verbrannte Erde kaum ausfallen können. Was sein Titel verspricht, hält dieser Film. Berlin ist für Trojan diese verbrannte Erde, die durch die Kamera von Reinhold Vorschneider genauso aussieht: schwarz mit einzelnen Lichtern wie Signalfeuer für den Suchenden. Dazwischen weiße Autoscheinwerfer, die gefährlicher sind als die roten Rücklichter, weil sie einen verfolgen. Glücklicherweise gehört die Fluchtfahrerin Diana (Marie Leuenberger), die noch abgebrühter wirkt als Trojan, zur Viererbande. Auch hier geht Arslan genrekonform kein Risiko ein: Für Trojans alten Bekannten Luca (Tim Seyfi) ist es der übliche letzte Job; und mit dem Hacker Chris (Bilge Bingül), der für den Raub nötig ist, weil Luca und Trojan alt und die Zeiten modern geworden sind, meint man eine mögliche Schwachstelle früh zu erkennen.
Verbrannte Erde ist kein Heist-Movie, das mit einem spektakulären Raub endet. Das begehrte Gemälde, Caspar David Friedrichs Frau vor der untergehenden Sonne, liegt nach einer Ausstellung zum Versand in einem Depot in Dahlem. Sozusagen abholbereit. Ausgerechnet den großen deutschen Romantiker zu klauen, ist natürlich eine schöne Metapher für eine Erzählung, in der die alten Werte nichts mehr zählen. Nach Vorbereitung und Ausführung ist die Sache zur Halbzeit erledigt, doch dann beginnen die Probleme erst so richtig.
Bravourös kitschfrei
Thomas Arslans Spielfilme bestechen durch ihre scheinbare Leichtigkeit, mit der sie das Autorenkino mit dem Genre zusammenführen – was natürlich einer großen Anstrengung und hoher Konzentration bedarf. Helle Nächte (2017) war ein subtiles Roadmovie über eine erstarrte Vater-Sohn-Beziehung in einem nebelverhangenen Norwegen, in dem am realistischen US-Kino angelehnten Western Gold (2013) mit Nina Hoss konnte man einer Gruppe deutscher Auswanderer dabei zusehen, wie sie sich in der kanadischen Wildnis verliert. In Verbrannte Erde ist es die fast menschenleere Stadtlandschaft voller Baustellen und Parkplätze, in der meist geschwiegen und den wenigen Worten deshalb umso größere Bedeutung beigemessen wird. „Wenn ich in fünf Minuten nicht zurück bin, fahr los“, meint Trojan gegen Ende des Films zu Diana, und es bedarf schon hoher Kunst, solche Sätze nicht kitschig klingen zu lassen. Arslan gelingt das bravourös.
Das Erstaunliche an dieser Fortsetzung ist der Umstand, dass Arslan keinen mythologisch überhöhten Helden aus seiner Hauptfigur gemacht hat. Zwölf Jahre nach dem Fiasko am Ende von Im Schatten ist Trojan weder besonders zynisch noch abgeklärt. Vorsichtig ist er vielleicht geworden im Laufe der Jahre. Überrascht sind allenfalls die alten Bekannten, dass es ihn noch gibt. Dass ein ehrbares Handwerk wie seines gegen die Skrupellosigkeit noch Bestand haben kann. Sein kaltblütiger Gegenspieler ist wie er bloßer Dienstnehmer mit dem Auftrag, ein kleinformatiges Gemälde heranzuschaffen, das, wie die Anwältin des Museums erklärt, nicht mal ordentlich versichert sei. „Die Versicherungen vergrößern die Sicherheit, aber verkleinern die Chancen zum großen Gewinn“, schrieb der Kulturphilosoph Hannes Böhringer über den Gangster in der Großstadt. Trojan hat eine solche Versicherung abgeschlossen – mit sich selbst. Die Chance auf den großen Gewinn ist wohl da, allein der Reinerlös am Ende ist sein Überleben.
Man kann noch immer keinen deutschen Gangsterfilm drehen, ohne sich dem obligaten Vergleich mit dem Film noir oder dem Franzosen Melville und seinen eiskalten Engeln auszusetzen. Thomas Arslan beweist, dass das keine historische Bürde ist, sondern im Gegenteil ein großer Vorteil sein kann, wenn man die Freiheiten erkennt, die einem die Regeln erlauben. Er macht das ein wenig so wie Trojan, der als Spieler die Karten auf den Tisch legt – mit einem Ass im Ärmel.
Verbrannte Erde Thomas Arslan Deutschland 2024; 101 Minuten