Der umstrittene Nachrichtendienst Telegram hat nach der Festnahme seines Gründers Pawel Durow in Frankreich hervorgehoben, nicht gegen europäisches Recht zu verstoßen. Alle Regeln würden eingehalten, dazu gehöre das neue EU-Digital-Gesetz DSA, das ein konsequenteres Durchgreifen gegen illegale Inhalte und Aktivitäten auf große Onlineplattformen bewirken soll, teilte der Konzern in einer Stellungnahme mit. Es sei „absurd“, eine Plattform oder ihren Besitzer dafür verantwortlich zu machen, dass Dritte den Dienst missbrauchten. Der Besitzer des Nachrichtendienstes X, Elon Musk, kommentierte die Festnahme mit: „Es ist das Jahr 2030 in Europa und du wirst hingerichtet, weil du ein Meme geliked hast.“
Die Europäische Kommission stellte am Montag klar, dass die Festnahme von Durow nichts mit dem neuen Gesetz für digitale Dienste zu tun habe. Es gehe nicht um Meinungsfreiheit. Die französischen Behörden handelten auf Basis des französischen Strafrechts. Der DSA sehe keine Festnahmen von Gründern oder Vorstandsvorsitzenden vor, sagte ein Sprecher. Er erlaube nur finanzielle Strafen, wenn eine Internetplattform die Vorgaben des EU-Digitalgesetzes nicht beachte. Der DSA lege im Übrigen nicht fest, was illegal sei. Das sei Kompetenz der Mitgliedstaaten. Die EU gebe nur vor, unter welche Umständen und wie illegale Inhalte entfernt werden müssten.
Die EU-Abgeordnete der Grünen Alexandra Geese sagte, das Vorgehen der Franzosen habe nichts mit dem DSA zu. Es gehe, anders als von Musk suggeriert, nicht um die Einschränkung der Meinungsfreiheit. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der seit Monaten öffentlichkeitswirksam mit Musk über den DSA streitet, äußerte sich nicht.
Gewahrsam gegen Durow wurde verlängert
Durow, der seit zwei Jahren neben seinen ursprünglichen russischen und anderen Staatsbürgerschaften auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt, war am Samstagabend auf dem Flughafen Le Bourget bei Paris in Polizeigewahrsam genommen worden. Dies sei im Rahmen einer gerichtlichen Untersuchung erfolgt, die die Pariser Staatsanwaltschaft Anfang Juli eingeleitet hat, erklärte diese am Montag in einer Stellungnahme. Dem vorangegangen sei eine Voruntersuchung ihrer Abteilung für den Kampf gegen Cyberkriminalität. In Begleitung seines Leibwächters und seiner Assistentin soll Durow aus Aserbaidschan kommend ein Abendessen in Paris geplant haben, berichten französische Medien. Er habe demnach unzureichend mit den Strafverfolgungsbehörden zusammengearbeitet, um gegen Aktivitäten wie Betrug und organisierte Kriminalität auf Telegram vorzugehen, und sich damit mitschuldig gemacht.
Die Pariser Staatsanwaltschaft nannte Durows Namen nicht und sprach nur von Untersuchungen „gegen eine nicht namentlich genannte Person“. Dafür listete sie zwölf Vorwürfe auf, von der Mittäterschaft bei der Verbreitung, dem Anbieten oder Zugänglichmachen von pornografischen Bildern von Minderjährigen bis zur Mittäterschaft bei Organisierter Kriminalität. Die Ermittlungsrichter hätten das Zentrum für die Bekämpfung von Cyberkriminalität und das Nationale Amt für Betrugsbekämpfung mit der Durchführung der Ermittlungen beauftragt. Sein Gewahrsam war am Sonntag verlängert worden und kann bis zu 96 Stunden dauern. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonte am Montag auf der Plattform X, die Festnahme des Telegram-Chefs sei „in keiner Weise eine politische Entscheidung“.
Seit langem wird ein strikteres Vorgehen gefordert
In der EU steht Telegram auch wegen der Verbreitung von Hassrede und Desinformation in der Kritik. Telegram, das eine Mischform zwischen Kurznachrichtendienst wie Whatsapp und einer Plattform wie X ist, wird etwa von Moskau genutzt, um prorussische Propaganda zu verbreiten. Die russische Regierung soll auch versucht haben, auf Telegram Kriminelle für Sabotageakte in Europa zu rekrutieren. Allen voran die baltischen Staaten fordern deshalb seit Langem ein striktes Vorgehen gegen Telegram.
Der DSA adressiert die Verbreitung von Desinformation zwar explizit und erlaubt der Kommission auch, dagegen vorzugehen. Die EU-Kommission hat etwa gegen X ein Verfahren eingeleitet, weil es ihrer Ansicht nach nicht genug gegen die Verbreitung von Desinformationen – vor allem bezogen auf den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober gegen Israel – getan hatte. Auch gegen Meta, den Mutterkonzern von Facebook und Instagram, läuft ein Verfahren, da es zu wenig gegen die Verbreitung von Desinformation tue.
Große Zweifel an den Angaben von Telegram
Telegram profitiert allerdings davon, dass es von der EU bisher anders als X, Tiktok oder Instagram nicht als sehr große Internetplattform eingestuft wird. Dafür muss eine Plattform monatlich mehr als 45 Millionen aktive Nutzer haben. Telegram hat im Februar, als der DSA vollständig in Kraft trat, allerdings nur 41 Millionen aktive Nutzer im Monat angegeben. Damit muss Telegram weniger strikte Vorgaben erfüllen. So muss das Unternehmen nicht jährlich überprüfen, ob seine Empfehlungsalgorithmen gezielt problematische Inhalte besser in der „Timeline“ der Nutzer platzieren und davon eine Gefahr für die Demokratie, die Meinungs- und Medienvielfalt oder den Jugendschutz ausgeht. Zudem ist für die Kontrolle von Telegram nicht die EU-Kommission zuständig, sondern Belgien. Dort hat das Unternehmen, das seinen Hauptsitz in Dubai hat, wie vom DSA vorgeschrieben einen Rechtsvertreter für die Europäische Union benannt.
Die Kommission hat allerdings große Zweifel daran, dass die Angaben von Telegram zur Zahl der aktiven Nutzer stimmen. Die Kommission prüfe die Zahlen und die Methodik zur Bestimmung aktiver Nutzer schon seit dem Frühjahr, hieß es am Montag in Brüssel. Die Untersuchung sei aber noch nicht abgeschlossen. Neue Zweifel an den Angaben des Nachrichtendienstes habe die jüngste Mitteilung geweckt, bald 1 Milliarden Nutzer auf der gesamten Welt zu erreichen. Sollte Telegram als sehr große Internetplattform eingestuft werden, würde die Kommission die Kontrolle übernehmen. Sie könnte dann bei Verstößen gegen den DSA Geldbußen von bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes auf der Welt verhängen. Bei wiederholten Verstößen könnte sie das Unternehmen auch aus der EU verbannen.