Schon wieder Weihnachten? Die Panikfrage, die hierzulande von den ersten Spekulatius provoziert wird, die im September die Supermarktregale füllen, ist in Venezuela bereits von der Realität eingeholt worden. Der autoritär regierende Präsident Nicolás Maduro hat das Fest kurzerhand auf den 1. Oktober verlegt. Bevor Fragen nach seinem Geisteszustand laut werden, sollte man indes bedenken, dass er schon mehrfach erfolgreich mit dem Weihnachtstermin gespielt hat. Willkür ist das Wesen der Diktatur. Vielleicht ist Maduros Herrschaft erst noch auf dem Weg dahin, aber er hat begriffen, dass wahre Macht sich keinen Regeln, schon gar nicht der Tradition unterwerfen darf. Wenn man Wahlergebnisse erfinden kann, warum dann nicht auch den Termin von Weihnachten? Ähnlich wie in der Privatwirtschaft ist auch hier Disruption das goldene Prinzip.
Wer ein bisschen in sich hineinhorcht – in den wilden, ungezähmten Teil seines Selbst –, wird das Elektrisierende von Maduros Vorschlag spüren. Wer sagt denn, dass Weihnachten immer im Dezember sein muss? Oder Ostern im Frühjahr? Am Ende versteckt sich im autoritären Beharren auf fixen Festterminen in Wahrheit nur die koloniale Überheblichkeit des christlichen Abendlands. Freie Weihnachtswahl für befreite Völker! Oder, mehr vom Individuum aus gedacht: Wer will wissen, ob ich mich im Dezember weihnachtlich genug für Weihnachten fühle? Vielleicht ist mir ja im August viel weihnachtlicher zumute. Vielleicht gibt es ja Menschen, die sich weihnachtsmäßig im falschen Datum gefangen fühlen. Müsste man ihnen nicht auch staatlicherseits eine Weihnachtsumwandlung zugestehen und die Möglichkeit einräumen, den Wunschtermin im Pass eintragen zu lassen? Geschlecht: divers / Weihnachten: 1. Oktober?
Alle Emanzipationstendenzen unserer Zeit, Genderfragen ebenso wie Dekolonisierungsbemühungen, legen nahe, auch das patriarchalistische Korsett der christlichen Feiertage zu hinterfragen. Maduros Vorstoß ist weder abwegig noch exotisch, es hat gute Gründe, dass so viele Linke weltweit zu ihm halten. Natürlich haben die Bischöfe protestiert, aber auf schwacher theologischer Basis. Wann wurde Jesus wirklich geboren? „In Bethlehem gab es kein Standesamt“, hat ein Pastor in Oberbayern die Aufregung zutreffend kommentiert. Feiertage sind reine Konventionen und als solche von der stillen Zustimmung durch Einhaltung abhängig. Konventionen sind keine Naturgesetze, sie sind historisch entstandene Zivilisationsprodukte.
Wer daraus aber frohlockend schließen wollte, dass man überhaupt alle Konventionen jederzeit über Bord werfen könnte oder auch sollte, wenn sie als einengend empfunden werden, muss leider daran erinnert werden, dass auch Bürgerrechte, Menschenwürde, individuelle Freiheiten solche Konventionen sind. An Konventionen grundsätzlich zu rütteln heißt auch, alle sogenannten Grundwerte infrage zu stellen. So ist das mit der menschlichen Freiheit: Von der spielerischen Willkür führt immer auch ein Weg direkt ins Verderben.