Familienunternehmer-Verband rudert nachdem Kritik zurück – und was auch immer ist gut?

Am Ende war der Druck zu groß. Es sei ein Fehler gewesen, sich für Gespräche mit der AfD zu öffnen, teilte die Präsidentin Marie-Christine Ostermann jüngst nach einer Gremiensitzung ihres Lobbyverbands „Die Familienunternehmer“ mit. „Es ist das Gegenteil von dem passiert, was wir wollten“, so Ostermann weiter. Die Abgeordneten der AfD habe man deswegen eingeladen, um sie kritisieren zu können. Was nach demokratischer Haltung klingt, dürfte in erster Linie der Versuch der Schadensbegrenzung sein.

In den Tagen zuvor hatte es große Kritik an der Entscheidung des Verbands gegeben, das „Kontaktverbot“ zur AfD auf Bundesebene aufzuheben. „Die bürgerliche Kapitalseite bröckelt immer mehr“, warnte die Linken-Kovorsitzende Ines Schwerdtner. Auch der DGB, zahlreiche Initiativen sowie Politiker von SPD und CDU forderten zur Einhaltung der „Brandmauer“ auf.

Der Verband der Familienunternehmer beendet kurzzeitig „Kontaktverbot“ mit AfD

Was war passiert? Der Verband der Familienunternehmer hat rund 6.500 Mitglieder – wer diese genau sind, ist unbekannt. Nach eigenen Angaben vertritt er die Interessen von etwa 180.000 Unternehmen, de facto vom Mittelstand bis zum Großkonzern. Ende November wurde bekannt, dass der Verband erstmals Vertreter der AfD zu einer Veranstaltung eingeladen hatte. Das Treffen fand im Oktober in den Berliner Räumen der Deutschen Bank statt. Die AfD wolle man fortan inhaltlich stellen, teilte die Verbandspräsidentin Ostermann nach dem Treffen mit. Sie fügte hinzu: „In unseren Landesbereichen hat es diese Art der ‚Brandmauer‘ noch nie gegeben.“

Was wie politische Entzauberung klingt, dürfte in der Praxis vor allem ein Arrangieren mit der AfD sein. Von Politikern und anderen Wirtschaftsvertretern wurde dies wohl auch so verstanden – was wiederum zahlreiche Reaktionen hervorrief.

In unseren Landesbereichen hat es diese Art der ‚Brandmauer‘ noch nie gegeben

Marie-Christine Ostermann, Verband der Familienunternehmer

Bemerkenswert ist, welche Unternehmergruppen positiv reagierten – vor allem Verbände, die traditionell eher standortgebunden aufgestellt sind. Beispielsweise der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks und der Zusammenschluss „Familienbetriebe Land und Forst“ erklärten gegenüber Medien, ebenfalls offen für Gespräche mit der AfD zu sein. Der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft wolle seine Position überdenken, hieß es. Die Drogeriekette dm sagte, sie sei zwar nicht mehr Mitglied des Verbands, lehne eine Verdammung der Partei aber ab.

Gleichwohl gab es auch Abgrenzungen: Die Drogeriemarktkette Rossmann und der Hausgerätehersteller Vorwerk etwa erklärten, ihre Mitgliedschaft im Verband der Familienunternehmer beenden zu wollen. Vom einflussreichen Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wurde gegenüber dem Freitag signalisiert, dass man weiter an der Brandmauer festhalte und den AfD-Positionen kritisch gegenüberstehe. „Wir suchen nicht proaktiv den Austausch mit Vertretern von radikalen Parteien wie der AfD“, sagte ein Sprecher. Er fügte hinzu: „Der Erfolg der deutschen Industrie basiert auf stabilen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, welche die AfD mit ihren populistischen Positionen zu erschüttern versucht.“

Aus informierten Kreisen hieß es außerdem gegenüber dem Freitag, dass die Deutsche Bank künftig dem Verband der Familienunternehmer keine Räumlichkeiten mehr zur Verfügung stellen wolle. Ein Sprecher erklärte zudem, dass die Deutsche Bank keine Kenntnisse von der Gästeliste der Veranstaltung im Oktober gehabt habe. Die Deutsche Bank gehörte zu einer Gruppe von 30 deutschen Unternehmen, die sich im Mai 2024 zur Europawahl gegen die Wahl der AfD ausgesprochen hatte.

Kontakte sind nicht neu – aber die Normalisierung der AfD erreicht eine neue Stufe

Dass der Verband der Familienunternehmer nun letztlich doch zurückgerudert ist, hängt wohl auch damit zusammen, dass er die Reaktionen auf seine Entscheidung unterschätzt hatte. Dass eine Kosten-Nutzen-Rechnung den Ausschlag gegeben haben mag, deutet auch Dennis Radtke, der Bundesvorsitzende des CDU-Arbeitnehmer-Flügels, an. So scheine hier ein drohender Mitglieder- und Einnahmenverlust gewirkt zu haben, erklärte er gegenüber Medien.

Die Brandmauer hat also vorerst einigermaßen funktioniert. Dass es künftig erneute Versuche des Einreißens seitens der Wirtschaft geben wird, ist wahrscheinlich. Hieraus stellt sich die Frage, wie das Verhalten des Verbandes generell einzuordnen ist.

Komplett neu sind Kontakte zwischen Wirtschaftsvertretern und der AfD jedenfalls nicht. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Begegnungen: etwa 2017 bei einer Podiumsdiskussion des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, beim sogenannten Berliner Steuergespräch im selben Jahr oder zuletzt beim von der Welt organisierten „Wirtschaftsgipfel“ – wo Alice Weidel neben Elon Musk auftrat.

Auch einzelne Unternehmer pflegten immer schon enge Kontakte zur AfD oder unterstützten sie offen. Der Molkereimilliardär Theo Müller etwa bezeichnete sich in einem Interview als „Irgendwas“ zwischen Beobachter und Sympathisant. Der Unternehmer Hartmut Issmer überwies 2023 als größter Einzelspender 265.050 Euro an die AfD, der Lübecker Arzt und Unternehmer Winfried Stöcker für den diesjährigen Bundestagswahlkampf 1,5 Millionen Euro. Die Bundestagswahl zeigte den klaren Trend, dass die Unternehmensspenden an die AfD zunehmen und das Vertrauen in die extrem rechte Partei wächst.

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All das ist nun aber weniger eine Frage individueller Moral als ein Konflikt unterschiedlicher Kapitalfraktionen, also zwischen unterschiedlichen Unternehmensgruppen und ihren strategischen Interessen. Diese bestimmen letztlich auch ihr Verhältnis zur AfD.

Wir erinnern uns: Ursprung der AfD war Wirtschaftskrise

Um die Dynamik zu verstehen, muss man einige Jahre zurückblicken – hierbei lohnt ein Blick auf die Analyse des Autors und Forschers Sebastian Friedrich. Demnach hatten sich etwa um 2010 während der Euro-Schuldenkrise zwei Kapitalfraktionen in Deutschland herausgebildet: einmal eine eher national orientierte Fraktion, die stärker auf Konsumnachfrage im Inland und nationalstaatliche Gesetzgebung setzte – und dann eine eher transnational ausgerichtete Fraktion, die stärker auf Export, Freihandel, Deregulierung und übergreifende Institutionen wie die EU setzte. Auch Positionen zur Migration (im Sinne vom Bedarf nach ausländischen Fachkräften) und zur NATO/Westbindung (im Sinne von Absatzmärkten) können zum Teil von diesen Interessen abgeleitet werden. Beide Fraktionen folgten indes neoliberalen Grundannahmen.

Der Konflikt entzündete sich dann primär an der Frage, wie mit der Schuldenkrise von Griechenland und anderen hoch verschuldeten Ländern umgegangen werden soll – und welche Rolle die EU und Deutschland dabei spielen sollen. Während der transnationale Teil des Kapitals eher auf eine Vertiefung und Stabilisierung der EU drängte, um Exportmärkte zu sichern, wandte sich der nationale Teil gegen „Rettungspakete“ beziehungsweise den sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus – dies würde auf Kosten des deutschen Steuerzahlers und damit des Inlandskonsums gehen.

Teile der inländisch orientierten Kapitalfraktion begannen dann, sich um Ökonomen wie Bernd Lucke zu organisieren, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Im Jahr 2011 fand beispielsweise in Berlin eine Konferenz von 200 rechten Euro-Gegnern statt: Auf dem Podium sprachen sich Hans-Olaf Henkel und Beatrix von Storch für die Schaffung einer neuen Partei aus – die Geburtsstunde der AfD, die dann zwei Jahre später auch offiziell gegründet wurde. Neben ihnen saß Marie-Christine Ostermann für den Bundesverband Junger Unternehmer, der Tochterverband von „Die Familienunternehmer“.

Die Alternative für Deutschland ist der Versuch der organisierten Familienunternehmer, die eigenen Interessen parteipolitisch zu vertreten

Andreas Kemper, Autor

In Deutschland war es dann auch ebendieser Lobbyverband, der sich für eine national ausgerichtete Politik und gegen Gesamteuropäische Krisenlösungen aussprach. Als die Bundesregierung jedoch den Interessen des transnationalen Exportkapitals (vor allem repräsentiert über den BDI, also etwa der Maschinen, Auto- und Chemieindustrie) folgte und einen griechischen Staatsbankrott verhinderte, geriet der Verband endgültig in Opposition. „Die Alternative für Deutschland ist der Versuch der organisierten Familienunternehmer, die eigenen Interessen parteipolitisch zu vertreten“, schrieb der Autor Andreas Kemper 2013 im Freitag.

Um 2016 distanzierte sich der Verband jedoch wieder von der AfD – einige der Mitbegründer wie der Ökonom Lucke waren mittlerweile aus der Partei hinausgedrängt worden, deren extrem rechter Kern trat immer offener zutage. Zur diesjährigen Bundestagswahl forderte man dann AfD-Erstwähler auf, „aus strategischen und patriotischen Gründen doch für die Wirtschaftswende-Parteien FDP, CDU oder CSU zu stimmen“. Eine taktische Entscheidung. Die aktuelle Erklärung kann nun wieder als offene Annäherung verstanden werden – im vollen Bewusstsein über die fortgeschrittene Radikalisierung der AfD.

Bisher scheint die deutsche Wirtschaft nicht zu kippen – doch wie lange noch?

Steht nun ein Kippen der deutschen Wirtschaft bevor? Aktuell sieht es noch nicht danach aus – auch, da bisher eben bestimmte deutsche Kapitalkreise kein ökonomisches Interesse an einer AfD-Regierung haben. Dies kann sich aber auch rasch ändern.

Gerd Wiegel, Leiter des Referats Demokratie, Migrations- und Antirassismus-Politik beim DGB-Bundesvorstand, erklärte jüngst in einer Analyse für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, dass sich einige Konservative perspektivisch fragen, „mit wem sich innenpolitisch der Um- und Abbau des Sozialstaates und außenpolitisch eine deutsche Führungsrolle in Europa am leichtesten durchsetzen ließen“. Die von Merz angekündigte „Agenda 2030 ist die Agenda der AfD“, argumentierte auch der Autor Simon Grothe. Wenn sich die AfD bezüglich ihrer Positionen zu EU, NATO und Euro kompromissbereiter zeigt, würden auch bei vielen Unternehmern rasch die letzten Widerstände fallen.

Dass man auf Kapitalseite grundsätzlich flexibel ist, zeigte sich nicht zuletzt beim diesjährigen Berliner CSD: Zahlreiche Unternehmen hatten ihre Spenden eingestellt – wohl auch aus politischen Gründen.

Wie schnell die Stimmung der Wirtschaft umschlagen kann, kann man zudem bereits gut in den USA erkennen. Die rechte Trump-Regierung wird hier aktiv von der fossilen Brennstoffindustrie, Immobilienunternehmen, dem Finanzkapital und Tech-Milliardären getragen. Diese Gruppen versprechen sich von dieser Unterstützung größere Gewinne und nehmen die Faschisierung von Teilen der Gesellschaft dabei in Kauf – demokratische Institutionen und Klimapolitik werden rigoros abgeschafft, wenn sie die Geschäfte verhindern.

Noch ist man in Deutschland nicht an diesem Punkt. Dass sich der Verband der Familienunternehmer nun aus der Deckung wagte, ist zugleich ein nicht überraschendes, aber doch gefährliches Zeichen. Wer wissen will, wie weit die AfD kommen kann, darf nicht nur auf die Umfragen schauen. Entscheidend wird ebenso sein, welche Kapitalfraktionen als Nächstes kippen – weil sie die Faschisten als nützliche Kraft betrachten.

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