Fachkräftemangel: Ohne sie würden noch mehr Fachkräfte fehlen

Elektrik, Pflege, Gastronomie, Tiefbau: Die Liste der Berufe, für die Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchen, ist lang. Da dürften junge Menschen doch Schlange stehen, um eine Ausbildungsstelle mit Jobgarantie anzufangen, könnte man meinen.

Und auf den ersten Blick sehen die Zahlen aus dem neuen Berufsbildungsbericht der Bundesregierung auch ganz positiv aus: Drei Prozent mehr Ausbildungsverträge wurden 2023 im Vergleich zum Vorjahr geschlossen. 

Die Krise des Ausbildungsmarktes ist damit jedoch nicht vorbei, wie aus einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) hervorgeht, die ZEIT ONLINE exklusiv vorliegt: Denn das Niveau der geschlossenen Ausbildungsverträge von vor der Coronapandemie ist noch lange nicht wieder erreicht. Und in den vergangenen 15 Jahren hat sich die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen fast vervierfacht: Knapp 14 Prozent waren es nach Start des Ausbildungsjahres im September 2023 – ein neuer Höchststand. 

Nun steht ein neues Ausbildungsjahr an – und Unternehmen hoffen offenbar vor allem auf junge Menschen ohne die deutsche Staatsbürgerschaft, wie die IW-Studie zeigt: Während im Trend immer weniger deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger eine Ausbildung beginnen, hat sich die Zahl der neuen Azubis ohne deutsche Staatsbürgerschaft – vor allem aus Syrien, Afghanistan, Irak und der Türkei – seit 2009 fast verdoppelt: Knapp 55.000 waren es 2022. Das sind etwa zehn Prozent aller Azubis.

Zum Teil liegt das auf der Hand: Der demografische Wandel führt dazu, dass in jedem Jahr weniger junge Menschen ins Berufsleben starten. Gleichzeitig sind seit 2009 mehr Menschen anderer Staatsangehörigkeiten nach Deutschland gekommen, ihr Anteil
steigt dementsprechend auch statistisch in den Ausbildungsberufen.  

Doch der Anstieg ist so groß, dass er fast ein Viertel des Rückgangs bei Azubis mit deutscher Staatsangehörigkeit kompensiert. Oder anders gesagt: Gäbe es die Azubis aus dem Ausland nicht, wären noch viel mehr Ausbildungsstellen unbesetzt. „Sie leisten damit einen enorm wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung“, sagt Sarah Pierenkemper, Studienautorin und Fachkräfteexpertin beim IW. 

Besonders auffällig sei, dass Ausländerinnen und Ausländer häufiger Ausbildungen in sogenannten Engpassberufen beginnen als Deutsche – also in eben jenen Berufen, in denen der Fachkräftemangel gerade besonders hoch ist: Bauelektrikerin, Krankenpfleger, Verkäufer. Das könne zum Beispiel daran liegen, dass diese Stellen besser vermittelt werden oder sie sich anschließend höhere Berufschancen versprechen, sagt Pierenkemper. Die ausländischen Azubis mildern so den Fachkräftemangel.

Auszubildende aus dem Ausland brauchen mehr Unterstützung

Andererseits zeigen die Zahlen auch: Selbst die Jahre mit außergewöhnlicher starker Zuwanderung, vor allem 2015 und 2022, konnten den Rückgang an Ausbildungswilligen bisher nicht kompensieren. Zwar ist der Trend abgemildert, er setzt sich jedoch fort. Eine Ausbildungsstelle für Elektrikerinnen und Elektriker in den erneuerbaren Energien zum Beispiel bleibt fast vier Monate unbesetzt. Ähnlich sieht es in der Pflege aus, wie Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen. 

Das liege auch daran, dass die angebotenen Ausbildungsberufe von den Interessenten nicht angenommen werden. „Das Matching zwischen den Wünschen der jungen Menschen und den Ausbildungsberufen wird immer schwieriger“, sagt Sarah Pierenkemper. Manche Berufe seien zudem unbekannt, Ausbildungsstellen schwer vermittelbar.

Mehr Unterstützung bei der Suche und während der Ausbildung

Umso wichtiger sei es, jedes Potenzial zu nutzen. Doch genau hier hakt es offenbar, wie aus den IW-Daten hervorgeht: Wer sich 2023 als ausbildungssuchend gemeldet hatte und einen deutschen Pass besaß, hatte in der Hälfte der Fälle Erfolg. Jedoch nur 37 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber mit ausländischer Staatsangehörigkeit fanden einen Ausbildungsplatz. Menschen ohne deutschen Pass haben es also schwerer, in die Ausbildung zu kommen.

Zudem ist die Quote derer, die ihre Ausbildung abbrechen, wechseln oder unterbrechen, bei Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit um fast zehn Prozentpunkte höher – bei knapp 40 Prozent. „Sie brauchen offenbar besondere Unterstützung“, sagt Ökonomin Pierenkemper. Zum Beispiel, indem schon vor der Ausbildung die Familien mit ins Boot geholt werden, um das duale Ausbildungssystem in Deutschland zu erklären. Oder die Auszubildenden besser zu betreuen. 

Eine notwendige Investition, findet Pierenkemper. „Selbst wenn wir alle inländischen Potenziale aktivieren würden, werden
wir die Fachkräftelücke nicht schließen können“, sagt die Ökonomin. „Wir sind
auf
Migration angewiesen.“

Die Bundesregierung versucht derweil gegenzusteuern: Mit einer Exzellenzinitiative Berufliche Bildung will sie Gymnasien stärker in den Fokus nehmen. Eine Ausbildungsgarantie sieht außerdem seit August dieses Jahres den Anspruch auch auf eine außerbetriebliche Ausbildung vor. Ein Programm speziell für Menschen ohne deutschen Pass gibt es nur für den öffentlichen Dienst.

Bis die Programme ihre Wirkung entfalten, könnte es ohnehin noch Jahre dauern. Akute Hilfe für Unternehmen mit Fachkräftebedarf sind sie deshalb nicht. Und von denen gibt es offensichtlich einige: Quer durchs Land berichten Medien in diesen Tagen von noch etlichen unbesetzten Stellen.

In einer vorherigen Fassung des Artikels stand in folgendem Satz 2025 statt 2015: „Selbst die Jahre mit außergewöhnlicher starker Zuwanderung, vor allem 2025 und 2022, konnten den Rückgang an Ausbildungswilligen bisher nicht kompensieren.“ Die Angabe wurde zu „2015“ korrigiert.

Elektrik, Pflege, Gastronomie, Tiefbau: Die Liste der Berufe, für die Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchen, ist lang. Da dürften junge Menschen doch Schlange stehen, um eine Ausbildungsstelle mit Jobgarantie anzufangen, könnte man meinen.

Und auf den ersten Blick sehen die Zahlen aus dem neuen Berufsbildungsbericht der Bundesregierung auch ganz positiv aus: Drei Prozent mehr Ausbildungsverträge wurden 2023 im Vergleich zum Vorjahr geschlossen. 

Die Krise des Ausbildungsmarktes ist damit jedoch nicht vorbei, wie aus einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) hervorgeht, die ZEIT ONLINE exklusiv vorliegt: Denn das Niveau der geschlossenen Ausbildungsverträge von vor der Coronapandemie ist noch lange nicht wieder erreicht. Und in den vergangenen 15 Jahren hat sich die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen fast vervierfacht: Knapp 14 Prozent waren es nach Start des Ausbildungsjahres im September 2023 – ein neuer Höchststand. 

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