Die Europäische Kommission hat sich in der Debatte über die Einmischung von X-Chef Elon Musk in den Bundestagswahlkampf bisher zurückhaltend gezeigt. Nach dem Interview von Musk mit der Kanzlerkandidatin der AfD, Alice Weidel, auf der Social-Media-Plattform am Donnerstagabend bezieht nun die für Digitalthemen zuständige Kommissionsvizepräsidentin Henna Virkkunen erstmals mit klaren Worten Stellung. „Wir beobachten die Lage ganz genau“, betont sie im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und schiebt hinterher: „Ich werde nicht zögern, weitergehende Schritte zu ergreifen, wenn das nötig ist.“ Im Moment treibe die Europäische Kommission aber erst einmal das schon laufende Verfahren gegen die Plattform X voran.
Die Kommission hat schon Ende 2023 ein Verfahren gegen X eingeleitet. Sie hat den Verdacht, dass die Plattform gegen das neue EU-Gesetz für digitale Dienste (DSA) verstößt. Es geht unter anderem darum, ob die Plattform genug macht, um die Verbreitung von Desinformation einzuschränken, und ob die Algorithmen radikale Inhalte fördern und so den öffentlichen Diskurs und Wahlen gefährden.
„Was Musk sagt, fällt unter die Redefreiheit“
Die Unterhaltung zwischen Musk und Weidel habe sie selbst nicht verfolgt, betonte die finnische Kommissarin. In der Kommission hätten es ein bis zwei Mitarbeiter beobachtet. Dabei sei es aber nicht um den Inhalt gegangen, sondern allein darum, wie die Algorithmen das Interview „pushten“ und ob davon ein Risiko für die Bundestagswahlen ausgehe. „Was Musk sagt, fällt unter die Redefreiheit“, sagte Virkkunen. Die EU müsse allerdings sicherstellen, dass Interviews oder Posts von Musk, genauso wie radikale Inhalte, von X nicht übermäßig gefördert würden.
„Plattformen wie X können eine positive Rolle spielen, weil sie ihren Nutzern Zugang zu Informationen verschaffen“, sagte Virkkunen weiter. „Sie dürfen diese Rolle aber nicht missbrauchen und nur bestimmte Inhalte anbieten.“
Einen Abschluss der Untersuchungen vor der Bundestagswahl am 23. Februar verspricht Virkkunen nicht. Auf wiederholte Nachfrage wich sie einer klaren Zusage dazu aus. Das Verfahren gegen X sei hochkomplex. „Wir müssen sicherstellen, dass jede unserer Entscheidungen ausreichend mit Beweisen und Fakten unterfüttert ist.“ X stehe mit einer Armee von Anwälten bereit, um auf jeden Vorwurf zu reagieren.
Allein die Omnipräsenz von Musk auf X selbst genüge als Beleg nicht, dass seine Inhalte gezielt auf Kosten anderer gefördert würden, heißt es begleitend aus der Kommission. Musk habe eben einfach enorm viele Follower, poste sehr viel, und seine Posts würden stark weiterverbreitet. Auch die klassischen Medien spielten dabei eine Rolle, weil sie Musk und seinen Posts zusätzliche Aufmerksamkeit verschafften.
Um zu verhindern, dass die sozialen Medien radikale Inhalte und Desinformation im laufenden Bundestagswahlkampf unverhältnismäßig stark weiterverbreiten, setzt Virkkunen auf eine enge Kooperation mit den Plattformen. „Wir sind im andauernden Dialog mit X und den anderen großen Plattformen“, sagte sie. Für den 24. Januar sei ein Treffen mit den großen Plattformen inklusive X und den zuständigen deutschen Behörden in Berlin anberaumt, um mit ihnen zu klären, wie eine unangemessene Beeinflussung der Bundestagswahl verhindert werden könne. Dieses Vorgehen habe sich schon in den Wahlen in Irland oder der Slowakei bewährt.
„Der DSA ist ein kraftvolles Instrument“
Insgesamt arbeiten in der EU-Kommission 150 Menschen an der Umsetzung des DSA. Hinzu kommen Wissenschaftler, mit denen die Kommission kooperiert. Angesichts der Vielzahl der Verfahren, die die Kommission seit dem Inkrafttreten des DSA vor anderthalb Jahren eingeleitet habe, sei das nicht viel, gesteht Virkkunen ein. Die Kommission hat neben X weitere Verfahren gegen Tiktok, Meta und den chinesischen Internethändler Temu eröffnet. In den Verfahren geht es um verschiedenste Dinge. Der DSA regelt ganz allgemein die Verbreitung illegaler Inhalte im Internet. Das umfasst auch den Verkauf von Waren oder den Schutz Minderjähriger. Das Gesetz sieht im Extremfall Strafen von 6 Prozent des Jahresumsatzes auf der Welt vor.
„Der DSA ist ein kraftvolles Instrument“, sagte Virkkunen. „Wir brauchen keine neuen Gesetze, sondern müssen es nur konsequent anwenden.“ Virkkunen, die vor ihrem Wechsel in die Kommission Anfang Dezember jahrelang für die christdemokratische EVP-Fraktion im Europäischen Parlament saß, zeigt sich zudem skeptisch gegenüber Forderungen, eine europäische Alternative zu X und Meta mit öffentlicher Förderung aufzubauen.
Virkkunen hatte sich bisher selbst ebenso wenig öffentlich zu den diversen Wahlwerbeposts von Musk für die AfD geäußert wie zu der jüngsten Ankündigung des Meta-Chefs Mark Zuckerberg, externe Faktenchecker auf Facebook und Instagram zunächst in den Vereinigten Staaten durch die Kommentierung von Posts durch die anderen Nutzer, „Community Notes“, zu ersetzen. Auch die allerdings erkrankte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich nicht geäußert. Das war öffentlich auf Kritik gestoßen. Die Grünen hatten der Kommission daraufhin „dröhnendes Schweigen“ vorgeworfen. Klar Position hatte nur der ehemalige Digitalkommissar Thierry Breton bezogen. Auch der Verdacht, dass die Kommission vor der Amtsübernahme des designierten US-Präsidenten Donald Trump versuche, nicht zu sehr in den Fokus Trumps zu geraten, stand im Raum. In der Kommission wurde das strikt zurückgewiesen. Eine Sprecherin der Kommission sagt jedoch: „Es ist eine politische Entscheidung, diese Debatte nicht zu befeuern.“ Dementiert wird in der Kommission, dass von der Leyen angeordnet habe, DSA-Verfahren bis auf Weiteres ruhen zu lassen oder zumindest nicht intensiv zu verfolgen.
Die anders als ihr Vorgänger Breton wenig auf den sozialen Plattformen aktive Virkkunen hatte sich am Samstag auf X kurz geäußert. „Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Rechte der europäischen Bürger respektiert werden und unsere Gesetzgebung befolgt wird“, hatte sie dort geschrieben, ohne Musk oder Zuckerberg direkt anzusprechen. Der EU gehe es darum, „einheitliche Wettbewerbsbedingungen und ein sicheres Online-Umfeld für alle zu schaffen“, heißt es dort weiter. „In Europa wollen wir ein digitales Umfeld schaffen, das sicher und fair ist.“
Zuckerberg hatte seine Abkehr von der Faktenprüfung damit begründet, dass diese „einfach politisch zu voreingenommen“ sei und „besonders in den USA mehr Vertrauen zerstört als geschaffen“ habe. Er hatte der EU „Zensur“ vorgeworfen. Meta hat inzwischen auch in der EU die im DSA vorgesehenen rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um die Faktenchecker durch Community Notes zu ersetzen. Ob es dazu kommt, ist noch unklar. X nutzt in der EU schon jetzt Community Notes. Ob das mit den Regeln des DSA vereinbar ist, ist Teil des laufenden Verfahrens gegen die Plattform. Der DSA schreibt Faktenchecker nicht vor. Am Freitag rief Zuckerberg Trump auf, die großen amerikanischen Digitalkonzerne vor Geldstrafen in der Europäischen Union zu schützen.