Für unsere Autorin war Twitter der Ort, an dem sie sich mit anderen „Theaternerds“ austauschen konnte. Jetzt hat sie die Plattform zusammen mit vielen anderen in der gemeinsamen Aktion #eXit verlassen. Die Häme über die Aktion erstaunt sie
Anfang der Woche gab es einen offenen Brief, mit dem sich einige reichweitenstarke Accounts von der Plattform X ehemals Twitter verabschiedeten. Initiiert wurde die Aktion mit dem Hashtag #eXit von den beiden Autoren Max Czollek und Jan Skudlarek. In dem Brief heißt es unter anderem, dass seit der Übernahme durch Elon Musk die Plattform „kein Ort mehr für freie und faire Meinungsäußerung und einen offenen Austausch“ sei und schlimmer noch, zu einem „Ort der Zensur, des Rassismus, Antisemitismus und des rechten Agendasettings geworden“ sei. Ich habe mich dem Aufruf, X zu verlassen, angeschlossen und auch den Brief unterschrieben, obwohl ich weiß Gott keine nennenswerte Reichweite hatte.
Ich schreibe als Journalistin hauptsächlich über Theater und saß allein deswegen in der nischigsten Ecke, die dieses Universum der digitalen Rauchzeichen zu bieten hatte. Aber auch wenn ich vergleichsweise spät dazukam, habe ich das Twitter-Erlebnis doch genossen. Wo sonst konnte ich mich mit anderen Theaternerds verbinden, immer wieder auf unverhofftes und überraschendes Wissen stoßen und vor allem Menschen folgen, die ich bewundere, die mich inspirieren? Wo sonst kam ich so unkompliziert und schnell an für mich relevante Informationen ran? Twitter (naiv gesagt) wurde für mich bald zu einem Ort des Gesprächs mit Menschen, die vorher nicht in meinem Leben gewesen waren, ja, die ich gar nicht kannte, die ich aber – ohne es zu wissen – vermisst hatte. Macht das Sinn?
Elon Musk übernimmt, und der Diskursraum auf Twitter ist zerstört
Mit diesem Diskursmedium war es mit der Übernahme durch Elon Musk vorbei: Der Werbungsanteil raste in die Höhe, die Moderationen fielen weg, verifizieren konnte sich jeder, der das Geld zahlte und das waren bald rechte Trolle. Ich bekam unsägliche rassistische, antisemitische und misogyne Inhalte in meine Timeline gespült von anonymen Accounts, denen ich gar nicht folgte. Die Algorithmen-Orks eines durchgedrehten Multimilliardärs waren eingefallen, verwüsteten und versengten das Dialogfeld, ohne dass ihnen Einhalt geboten wurde. Mittlerweile ist klar geworden, dass das zu Elon Musks Strategie gehört: eine funktionierende Plattform zu benutzen, um rechte und verschwörerische Inhalte groß zu machen, sie als Normalität zu setzen und zum Mainstream zu erklären.
Bei all dem scheint es mehr als nur folgerichtig, sich aus dieser Welt konsequent zu verabschieden, die einen als target missbraucht. Denn Hass braucht ein Gegenüber. Umso überraschender und unverständlicher waren jedoch die Reaktionen, die auf die Aktion folgten. Kommentiert wurde #eXit mit viel Häme und der Unterstellung, den Betreffenden ginge es um persönliche Aufmerksamkeit, ihr Abgang sei reichlich theatralisch. Andere argumentieren, man müsse auf X die Stellung halten, dürfe nicht aufgeben. Für wieder andere kommt der Abschied zu spät und sei deshalb unglaubwürdig.
Nun, natürlich hatte der Aufruf das Ziel, möglichst viele Accounts zu einem Verlassen von X aus genannten Gründen zu bewegen. Da hätte es wenig Sinn gemacht, den Brief zu verheimlichen oder stumm und vereinzelt zu gehen. Je mehr Menschen, die noch keine Trolle sind, X verlassen, desto irrelevanter wird die Plattform kulturell möglicherweise werden und als rechte Echokammer verenden. Und auch wenn der #eXit spät erscheint: Menschen hängen nun mal an ihren Beziehungen, an ihren Netzwerken, aber sie können auch lernen zu gehen. Und dann fällt der Abschied gar nicht mehr schwer.