European Economic Conference welcher Fluor.A.Z.: Europa kann Schritt halten – wenn es will

Die Stimmung ist schlecht. Der Krieg in der Ukraine, die stagnierende Wirtschaft in Deutschland, zwei Jahre mit hohen Inflationsraten: Viele Bürger sind müde angesichts der Negativnachrichten – und die Politik ist zum Teil ratlos und zum Teil uneins, wie sie auf die verschiedenen Krisen der Gegenwart reagieren soll. Einer, der die Krisen in einen größeren historischen Kontext einordnet, ist der an der Universität Princeton lehrende Wirtschaftshistoriker Harold James. Zum Auftakt der „European Economic Conference“ der F.A.Z. in Berlin gab er am Dienstag einen durchaus hoffnungsvollen Ausblick. Seine Botschaft: Aus den Krisen der Vergangenheit lasse sich etwas für die Zukunft lernen.

Wenige Tage vor der Europawahl gab James auf der Konferenz die Devise aus: „Europa ist stärker als wir denken.“ Zunächst einmal skizzierte aber auch er ein wachsende Verunsicherung auf der Welt, ein „Chaos“, das manchen Staatslenkern wie dem chinesischen Präsident Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin durchaus zupass komme. „Demokratien sind zerbrechlich geworden“, konstatierte James und skizzierte vier Treiber der Verunsicherung.

Kritik an steigenden Zöllen

Erstens: der technische Fortschritt. Netflix habe Jahre gebraucht, um eine Million Abonnenten zu bekommen, Spotify nur noch wenige Monate. Zweitens: die Blockbildung auf der Welt, allen voran die zwischen den USA und China. Die hohe Inflation sei eine weitere Herausforderung, zugleich seien die Börsen euphorisch. „Zusammen genommen sehen diese widersprüchlichen Signale wie ein Vorzeichen der Endzeit aus“, gestand James ein. Aus seiner Sicht gibt es aber keinen Grund für „Endzeit-Phantasien“. Die Globalisierung sei keineswegs am Ende.

Scharfe Kritik äußerte er an den steigenden Zöllen, die der amerikanische Präsident Joe Biden im Wahlkampf gegen China verhängt hat: „Das ist quasi eine Selbstzerfleischung. Das ist zum Scheitern verurteilt.“ Es gebe in der Geschichte neben Momenten, in denen Globalisierung einen Dämpfer erfahre, aber immer wieder auch Momente, in denen sie wieder Auftrieb bekomme und Wohlstand schaffe.

Der technische Fortschritt als Mutmacher

Letzteres sei vor allem dann der Fall, wenn es einen Angebotsschock gebe, der die Produkte für Verbraucher verteuere. Mitte des 19. Jahrhunderts sei die – damals schon existente – Technik der Dampflokomotive genutzt worden, um nach der Kartoffelkrise in Irland die internationale Vernetzung voranzutreiben. „Mit dieser Vernetzung kam Wohlstand“, sagte James. Auch die Krise nach dem Ölpreisschock der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts sei ein Impuls für mehr Wohlstand durch Globalisierung gewesen.

Mut macht James aktuell vor allem der technische Fortschritt. Wo Ärzte fehlten, könnten Patienten mithilfe technischer Geräte und künstlicher Intelligenz selbst ihre Vitalwerte messen und entsprechend mit Medikamenten versorgt werden. Digitale Lehrangebote ermöglichten es Kindern und Jugendlichen auf der ganzen Welt, sich auch ohne physisch anwesende Lehrer Wissen anzueignen. „Wir brauchen Mut“, appellierte James an das Publikum in der European School of Management and Technology Berlin (ESMT): „Politiker haben auf der ganzen Welt zu wenig Mut.“ Amerika wolle nicht zugeben, zwei ungeeignete Präsidentschaftskandidaten zu haben. Europa habe nicht den Mut, „die Ukraine richtig zu unterstützen“. Und Putin sei „übermütig“.

Die F.A.Z. European Economic Conference versteht sich als Plattform für den Austausch von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Sie findet in diesem Jahr zum dritten Mal statt. Nach dem Vortrag von Harold James erörterte F.A.Z.-Herausgeber Gerald Braunberger im Gespräch mit Stefan Kolev, wissenschaftlicher Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft sowie ESMT-Präsident Jörg Rocholl die These „Mehr Ökonomie wagen“.

Rocholl wies darauf hin, dass die große Leistung der EU darin liege, dass sie Barrieren aus dem Weg geräumt habe. Aktuell gebe es aber zu viele Interventionen. Als Beispiel nannte er die Regeln zur Taxonomie: „Ich wünsche mir, dass die Gründeridee der EU auf andere Bereiche angewendet wird, sei es bei der Digitalisierung oder den Kapitalmärkten.“

Auch Kolev warb für die viel diskutierte Kapitalmarktunion. Diese könne helfen, den deutschen „Antikapitalismus“ zu überwinden, das Gefühl, dass von den Kapitalmärkten vor allem die Reichen profitierten. Der Ökonom verteidigte die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. „Politiker sind einfach nicht besonders gut darin, langfristig zu handeln“, sagte Kolev. Rocholl wies darauf hin, dass für die wirtschaftliche Zukunft Deutschland wichtiger als die Staatsinvestitionen die Investitionen Privater seien: „Das ist der entscheidende Hebel.“

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