Europawahl in Frankreich: Flitterwochen mit den Rechtsextremen

Nun also auch noch der französische Premierminister: In
dieser Woche verkündete Gabriel Attal, mit dem rechtsextremen Jordan Bardella
in ein TV-Duell kurz vor der Europawahl zu gehen. Der Regierungschef von Macron
ist nicht mal Spitzenkandidat für das Brüsseler Votum, aber im Augenblick
scheint dies keine Rolle zu spielen: Die französische Elite bietet Bardella die
besten Bühnen. Dem Ziehsohn von Marine Le Pen also, dem rechtsextremen
Spitzenkandidaten mit den höchsten Umfragewerten in der EU. Nun darf er als
einziger der rund zwanzig Kandidaten für die europäische Wahl Anfang Juni mit
dem Pariser Premierminister debattieren. Und das zur besten Sendezeit.

Tatsächlich hat Bardella einen gewaltigen Vorsprung in den Umfragen. Nach aktuellen Zahlen überzeugt er mit 31 Prozent mehr als
doppelt so viele Wählerinnen und Wählern wie die zweitplatzierte Valérie Hayer,
Spitzenkandidatin von Macron. Sie ist dicht gefolgt vom Sozialisten Raphaël
Glucksmann
– alle weiteren Parteien, die Grünen, die Linken und Konservativen
liegen weit unter zehn Prozent.

Zugutekommt dem 28-jährigen Bardella seine große Präsenz in den sozialen Medien. Ihm folgen auf TikTok mehr als
1,2 Millionen Menschen, ein Vielfaches seiner Konkurrenten. Mit rund 27
Millionen Likes für seine kurzen, meist belanglosen Videos – er lässt sich
häufig dabei filmen, wie er Käse, Wurst, Schokolade oder Wein an Marktständen
probiert – dürfte er mehr Reichweite haben als die allermeisten EU-Politiker.

Zudem ist Bardella bei den Jungwählern besonders stark: 41 Prozent der
18- bis 24-Jährigen,
die im Juni zur Urne gehen wollen, favorisieren ihn. In dieser Altersklasse wollen augenblicklich nur drei Prozent Valérie Hayer von
Macrons Partei wählen. Der Präsident hat nur noch bei den über 65-Jährigen und
da überwiegend bei Männern eine Chance. Macrons Politik zugunsten von Besserverdienenden und seine autoritäre Reaktion auf die Aufstände der Jugend in den
Vororten trägt dazu bei, dass sich ihm einst wohlgesonnene
Wählergruppen von ihm abwenden.

Französische Medien sprechen schon von einer historischen
Niederlage eines amtierenden Präsidenten. Zu Bardella aber fallen
Worte der Bewunderung wie „Bardellamania“. Die
„Entteufelung“ ihrer Partei, die Marine Le Pen vor mehr als zehn Jahren als ihr wichtigstes Ziel
ausgerufen hat, funktioniert. Im Kern bedeutet sie, das Nazi-Image
ihres Vaters abzulegen, ohne das rassistische Programm nennenswert zu ändern.
Und dabei helfen ihr – neben Macrons Unbeliebtheit – neuerdings die meisten französischen
Medien ebenso wie die Industriebranche und Manager. 

Beispielsweise wurde
Bardella kürzlich zu einem Vortrag an die elitäre Wirtschaftsuniversität HEC
eingeladen – es gab nicht einmal mehr
Proteste dagegen wie in früheren Jahren. Auch der Arbeitgeberverband Medef lud
ihn ein,
Bardella konnte sich als Freund der Unternehmer präsentieren, versprach
niedrigere Steuern und weniger Normen. Selbst ein Abgeordneter aus Marseille,
Franck Allisio, kann zu einem Empfang hochrangige Manager vom
deutsch-französischen Flugzeugbauer Airbus und dem Rüstungskonzern Thales
empfangen. 

Die Normalisierung der Rechtsradikalen schreitet überall voran. In der Tageszeitung Libération
erzählt Le Pens Senator und früherer Lehrer Aymeric Durox, er sei im
Schulkollegium einst als Person mit einem rechten Parteibuch gemieden worden.
„Achtung, die Faschisten kommen“, hatten seine Kollegen noch 2015 in einer
internen Mail geschrieben. Heute, so Durox, würden ihn die Klassen derselben
Schule im Senat besuchen. „Ich habe mich von einem infamen Tier zu einem
normalen, akzeptierten Kerl entwickelt“, prahlt Durox.

Der heutige Umgang mit dem Rassemblement National als
normaler Partei täuscht darüber hinweg, dass die Partei weiterhin ein zutiefst
inhumanes Programm verfolgt, nach dem beispielsweise kranke Flüchtlinge nicht mehr versorgt
würden. Und wie andere Rechtspopulisten auch sagt Bardella häufig die
Unwahrheit, um seine Landsleute gegen zugewanderte Menschen aufzuhetzen. So
behauptete er beispielsweise in einem Radiointerview,
„Ausländer“ von über 65 Jahren würden die
Grundrente beziehen und französische Rentner zugleich leer ausgehen. 

Er
verschwieg dabei, dass die Bezieher der Grundrente eine eigene Wohnung in Frankreich
aufweisen müssen und seit zehn Jahren legal hier leben oder als Soldat gedient
haben müssen und zudem weniger als 1.000 Euro verdienen dürfen.
Und dass die Grundsicherung kleine Renten und Hilfsjobs nur bis auf 1.000 Euro
aufstockt – sie kommt nicht zusätzlich.
Er unterschlug auch den wichtigsten Punkt: Französische Rentner und
Rentnerinnen mit niedrigen Einkommen beziehen natürlich ebenso die
Grundsicherung, und zwar automatisch.

Für die Politikwissenschaftlerin Cécile Alduy unterscheidet
sich Bardella inhaltlich kaum von seinen Vorgängern. Seine Reden seien „eine
Kopie von Marine Le Pen und Jean-Marie Le Pen.“ Noch immer hetzten sie gegen
Einwanderung und den Islam. „Die Botschaft ist dieselbe, aber sie wird in einem
sanften, ausgeglichenen und ruhigen Tonfall vorgetragen.“

Auch deshalb distanzierte sich Le Pen kürzlich von dem
brachial auftretenden Spitzenkandidaten der AfD, Maximilian Krah. Im
Europäischen Parlament
stimmte die Partei hingegen in den meisten Fällen so ab
wie die deutsche Schwesterpartei oder die rechte FPÖ aus Österreich. Das
gemeinsame Credo: mehr europäische Kooperation verhindern, Rechte von
Arbeitern kleinhalten und Gesetze für Klimaschutz torpedieren.

Und doch wird Bardella
von allen Seiten hofiert. In dieser Woche besuchte er ein Kohlekraftwerk und
versprach den dortigen Arbeitern, diese klimaschädlichste aller Energien
bewahren zu wollen und Frankreich wieder zu einem „Energie-Paradies“ zu machen. Die Gewerkschaften, die ihn freundlich empfingen, sagten, sie seien nicht unbedingt Fans von Bardella, aber
würden über seinen Besuch auf ihre Sorgen aufmerksam machen können. 

Denn wie
immer bewegte sich der junge Politiker in einem Schwarm von Kameraleuten und
Journalisten – die französischen Medien, die einst den Parteigründer Jean-Marie Le Pen nicht in ihre Sendungen einluden, umwerben heute Bardella. Angaben der Medienaufsichtsbehörde Arcom zufolge hatte Bardella in der letzten Erhebung in den
wichtigsten Nachrichtensendern mehr Rede- und Auftrittszeit als jeder andere
Kandidat oder Kandidatin.

Nun also auch noch der französische Premierminister: In
dieser Woche verkündete Gabriel Attal, mit dem rechtsextremen Jordan Bardella
in ein TV-Duell kurz vor der Europawahl zu gehen. Der Regierungschef von Macron
ist nicht mal Spitzenkandidat für das Brüsseler Votum, aber im Augenblick
scheint dies keine Rolle zu spielen: Die französische Elite bietet Bardella die
besten Bühnen. Dem Ziehsohn von Marine Le Pen also, dem rechtsextremen
Spitzenkandidaten mit den höchsten Umfragewerten in der EU. Nun darf er als
einziger der rund zwanzig Kandidaten für die europäische Wahl Anfang Juni mit
dem Pariser Premierminister debattieren. Und das zur besten Sendezeit.

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