Der Erfolg der Rechtspopulisten in Europa hängt vor allem an zwei Frauen: An der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und die Französin Marine Le Pen. Sie gingen als die Gewinnerinnen aus der Europawahl hervor. Große Zuwächse hatte auch die AfD in Deutschland und die Freiheitspartei von Geert Wilders. Sie alle prägen das Bild des „Rechtsrucks“, der durch Europa geht, obwohl er für weite der EU nicht stimmt. Umso interessanter ist die Analyse, was die Rechtspopulisten in diesen Ländern eint – und was sie trennt.
Alte weiße Männer auf dem Land mit niedrigem Bildungsniveau – das Vorurteil über den Wähler rechtspopulistischer oder rechtskonservativer Parteien wurde in Frankreich bei den Europawahlen wie schon bei vergangenen Wahlen nur bedingt bestätigt. Mit einem Stimmanteil von mehr als 30 Prozent ist der Rassemblement National (RN) vielmehr in Teilen längst zur Volkspartei geworden, die milieuübergreifend gewählt wird.
Wahlanalysen zufolge haben die Rechtspopulisten um Le Pen selbst bei Geschäftsführern und leitenden Angestellten etwas besser abgeschnitten als die zentristische Parteienallianz von Präsident Emmanuel Macron. Mit deutlichem Abstand vorne lagen sie zudem bei jungen Wählern zwischen 18 bis 34 Jahren. Und auch in den Großstädten konnte der RN laut den Wahlanalysen mehr als 30 Prozent holen.
„Sie wollen die Rückkehr der republikanischen Ordnung auf ihren Straßen“
Dass ungelöste Migrationsprobleme inzwischen weit in die bürgerliche Mitte Besorgnis hervorrufen, spielt den Rechtspopulisten in die Hände. „Die Welle, mit der die Franzosen für den (RN) stimmen, hat einen ganz klaren Ursprung: Sie wollen die Rückkehr der republikanischen Ordnung auf ihren Straßen, in ihren Schulen, an ihren Grenzen und in ihren öffentlichen Finanzen“, kommentierte „Le Figaro“. Die konservative Zeitung erkannte darin vier Felder, denen Macron in den ersten sieben Jahren seiner Amtszeit nicht genügend Bedeutung beigemessen habe.
Hinzu kommt der Verlust von Kaufkraft, Umfragen zufolge neben der Migration das bestimmende Thema bei den Europawahlen. Wie schon bei der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren ist es dem RN hier gelungen, angesichts der Teuerungswelle mit Versprechen wie einer reduzierten Mehrwertsteuer auf Energie zu punkten. Auch bemüht er sich, den anhaltenden Unmut über die Rentenreform für sich nutzbar zu machen und verspricht eine Teilrückkehr zur Rente mit 60.
Deutliche Parallelen
Deutlich sichtbar sind dabei die Parallelen etwa zum Höhenflug der AfD in Deutschland und den Niederlanden, wo laut dem Umfrageinstitut Ipsos „Einwanderung und Asyl“ für die Wähler des rechtspopulistischen PVV von Geert Wilders mit Abstand das bedeutendste Thema am Sonntag waren. An zweiter Stelle stand das Thema „Gesundheitsfürsorge“ gefolgt von Lebenshaltungskosten/Inflation, Zuverlässigkeit der staatlichen Einrichtungen sowie „Werte und Normen“. In allen fünf Feldern lagen die befragten PVV-Wähler über den jeweiligen Werten der Gesamtwählerschaft.
Anders als der RN in Frankreich ist es Wilders jedoch nicht gelungen, auch die höhere Mittelschicht und die Oberschicht für sich zu gewinnen. Dort blieben die Zustimmungswerte schwach, und in Summe fiel der PVV bei den Europawahlen auch hinter das Bündnis von Sozialdemokraten und Grünen zurück – anders als noch bei den Parlamentswahlen im November, als sie mit einem Viertel der Stimmen die relative Mehrheit erhielt.
Das Gefälle zwischen Hauptstadt und Land
Andererseits haben auch die französischen Rechtspopulisten bei den sozial benachteiligten Franzosen nach wie vor die höchsten Zustimmungswerte – trotz neu erlangter Anschlussfähigkeit in sozial höhergestellt-bürgerliche Sphären. Das meint also all jene, die unter der Inflation oder auch den Herausforderungen der Energie- und Verkehrswende besonders stark leiden – und die zugleich den Verlust von „Heimat“ beklagen.
Dabei legten auch die Europawahlen das spezifisch französische Gefälle zwischen dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Machtzentrum Paris und dem Rest des Landes offen: Während der RN in 93 Prozent der Kommunen quer durch die Republik vorne lag, bleiben seine Zustimmungswerte in der Metropole weit unterdurchschnittlich. Im Pariser Stadtzentrum holten die Rechtspopulisten gar nur etwas mehr als 7 Prozent der Stimmen, während die Sozialisten mehr als 26 Prozent und Macrons Allianz knapp 22 Prozent erreichten.
In Analysen französischer Soziologen ist das vom RN artikulierte und verstärkte Gefühl der „Deklassierung“ seit Jahren ein großes Thema. Der Unmut über „die“ Elite in Paris galt auch als Haupttriebfeder des „Gelbwesten“-Protests. Umstritten ist allerdings, inwieweit es sich mitunter nur um eine gefühlte oder eine tatsächliche soziale Benachteiligung handelt.
Atomausstieg und Corona als Treiber in Deutschland
Migration, hohe Preise, Abstiegsängste und Feindseligkeit gegenüber den „Eliten” – auch in Deutschland spielten diese Themen im Europawahlkampf eine entscheidende Rolle. Daneben kommt allerdings noch einige Besonderheit hinzu: Das große Finale beim deutschen Atomausstieg mitten in der Energiekrise im April 2023 wurde von der AfD besonders heftig kritisiert. Auch die Klimapolitik der Ampelregierung ist ihr ein Dorn im Auge. Politiker der AfD werden nicht müde, den „Heizungshammer“ von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu geißeln und gegen den „gebäudescharfen Sanierungszwang aus Brüssel“ zu wettern – ganz zu schweigen vom Verbrennerverbot, das ab 2035 europaweit für neu zugelassene Autos gelten soll.
Für größere Verwerfungen hat unter AfD-Wählern auch die Corona-Krise gesorgt. Sozialforscher stellen gerade bei Jugendlichen seitdem eine große Verunsicherung fest, die sich auch an der Wahlurne niederschlägt. Die hohe politische Unzufriedenheit habe zu einem deutlichen Rechtsruck in der jungen Bevölkerung geführt, heißt es in der Trendstudie Jugend in Deutschland 2024. Von dem Ziel, wie der FdI und der RN allmählich Volkspartei zu werden, ist die AfD noch weit entfernt.
In Italien ist die Lage anders
Im Osten Deutschlands sieht die Sache jedoch anders aus. Da ist die Partei geradezu salonfähig. Sie bindet die lokale Bevölkerung vor Ort ein und ist in allen Bevölkerungsschichten vertreten. Während also RN, PVV und AfD einiges eint, ist die Lage in Italien wiederum anders. Dort lässt sich die rechtskonservative Regierungspartei von Giorgia Meloni, die Fratelli d’Italia (FdI), nach einer Analyse der römischen Universität Luiss ganz und gar nicht als Partei der Unterschicht einstufen, im Gegenteil: Dort habe sie besonders jene gewählt, die sich in Umfragen nach einer Selbsteinschätzung in der mittleren bis höchsten sozialen Klasse sehen. 36 Prozent dieser Schicht stimmten für Melonis Partei – deutlich vor den 29 Prozent, die für den sozialdemokratisch orientierten Partito Democratico votierten. In der untersten von fünf durch die Politologen abgegrenzten Gesellschaftsschichten verzeichnet die FdI dagegen nur 10 Prozent Zuspruch.
Ein klarer Rechtstrend wie in vielen anderen europäischen Ländern ist in Italien bei den jungen Leuten im Übrigen nicht zu erkennen. Hier hat das linke Lager weiter die Nase vorn. Besonders dominant ist die FdI bei den 45- bis 54-jährigen Wählern. Für den italienischen Professor Giovanni Orsina erklärt sich Melonis Erfolg zudem nicht zuletzt damit, dass sie 2022 mangels Alternativen gewählt wurde. „Alle Alternativen waren damals schon ausprobiert und abgelehnt worden“; seither habe sie bei den Wählern für wenig Enttäuschungen gesorgt. „Es war keine Liebeswahl, aber solche Beziehungen sind ja oft auch weniger haltbar“, sagt Orsina. Wer enttäuscht war, blieb der Urne fern. Mit mehr als 50 Prozent war die Gruppe der Nicht-Wähler bei den Europawahlen 2024 besonders groß.
Was die AfD wiederum von der Fdl und vom RN unterscheidet: Während diese sich immer gemäßigter positionieren, setzt die AfD auf Radikalität. Der Austritt Deutschlands aus der EU oder dem Euro sind keine wirtschaftspolitischen Horrorszenarien mehr. Das ist bei Meloni ganz anders, nicht zuletzt auf wichtigen Feldern wie Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie der Außenpolitik. Le Pen und der junge RN-Parteichef Jordan Bardella verfahren ähnlich, auch wenn nicht zuletzt Wirtschaftsvertreter wie der französische Arbeitgeberverband Medef skeptisch bleiben, wie glaubhaft die Kurswende und wie seriös das nach wie vor nationalistisch geprägte Parteiprogramm ist.