Europäische Zentralbank: Christine Lagarde im Zins-Dilemma

Es ist normal, dass Zentralbank-Chefs ihre Worte mit Bedacht wählen, schließlich kann jedes falsche eine mittelschwere Finanzkrise auslösen. Wie strikt sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde jedoch an diesem Donnerstag bei der Verkündung der Leitzinsen an ihr Manuskript hielt, war doch ungewöhnlich und lässt erahnen, dass es sich der Rat nicht leicht gemacht hat mit seiner Entscheidung: Die Leitzinsen werden erneut um 0,5 Prozentpunkte auf jetzt 3,5 Prozent erhöht – trotz Bankenkrise. Der Euroraum sei „widerstandsfähig“ und man verfüge zudem „über alle geldpolitischen Instrumente“, um das Eurofinanzsystem, wenn nötig, zu stützen, waren also die Worte, mit denen Christine Lagarde versuchte, das Finanzwesen im Euroraum zu beruhigen.

Und sie sollten zeigen: Die EZB wird auch künftig gegen die Inflation im Euroraum vorgehen, sie kann es ihrer Überzeugung nach auch. Obwohl die Bankenpleiten in den USA und die in Schieflage geratene Credit Suisse zuletzt auch die Kreditinstitute im Euroraum in Unruhe versetzt haben. „Der Bankensektor ist in einer viel besseren Position als im Jahr 2008“, betonte Lagarde mit Bezug auf die vergangene Finanzkrise. Es galt im Vorhinein auch als lange ausgemacht, dass die Zentralbank diesen Zinsschritt gehen würde, die jüngsten Verwerfungen in der Bankenbranche jedoch ließen daran nun Zweifel aufkommen.

„Die EZB hat heute richtig entschieden, trotz der Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten an ihrer zuvor angekündigten Zinserhöhung festzuhalten“, sagte der Chefvolkswirt des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, Andreas Bley. „Eine Pause der Zinserhöhungen hätte die Unruhe an den Finanzmärkten womöglich noch verstärkt.“ Ähnlich sieht es der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Martin Wansleben. „Dieser Schritt zeigt auch, dass die EZB die Risiken für die Finanzstabilität für überschaubar hält, trotz des Zusammenbruchs der Silicon Valley Bank und den Entwicklungen bei der Credit Suisse“, sagte er.

Trotzdem blieb die EZB die Antwort auf die Frage schuldig, wie die Banken kurzfristig stabilisiert werden sollen, sollte sich die Bankenkrise doch auch auf europäische Finanzinstitute auswirken. Anders als bei den vergangenen Zinsentscheidungen im Dezember und Februar konnte sich Lagarde dieses Mal auch zu keiner Prognose über eine weitere Erhöhung der Leitzinsen durchringen. Seit dem 1. März sei sehr viel passiert, sagte die EZB-Präsidentin mit Hinblick auf die drei Bankenpleiten und Börsenturbulenzen rund um die Credit Suisse. Zum jetzigen Zeitpunkt ließe sich noch nicht sagen, wie der Weg weitergehe.

Beobachter gehen davon aus, dass der nächste Zinsschritt nun erst einmal zurückgestellt werden könnte. Angesichts der starken Kursschwankungen an den Aktienmärkten scheine es wahrscheinlich, dass das Tempo weiterer Erhöhungen trotz der derzeit hohen Inflation langsamer sein werde als bisher angenommen, sagte Sandra Holdsworth vom Vermögensverwalter Aegon AM. Wie schon im Januar lagen die Inflationsraten auch im Februar bei 8,7 Prozent.

Mit den Bankenpleiten in den USA wird der Zielkonflikt der EZB offenkundig: Höhere Zinsen sind nötig, um die Inflation zu bekämpfen. Doch sie können auch für Kreditinstitute gefährlich werden. In den USA, wo die Notenbank Federal Reserve die Leitzinsen in den vergangenen Monaten ebenfalls im Eiltempo erhöht hatte, war dies der Hauptgrund für den Bankrott von gleich drei US-Banken, darunter der Silicon Valley Bank (SVB). Die Bank hatte, offenbar einem schlechten Risikomanagement geschuldet, in Zeiten niedriger Zinsen massiv in amerikanische Staatsanleihen mit langer Laufzeit investiert. Als die Fed dann die Zinsen erhöhte – seit Frühjahr 2022 waren es 4,5 Prozentpunkte – verloren die Papiere an Wert. Der Verkauf der Anleihen brachte dem Institut dann Milliardenverluste ein. Gleichzeitig sah sich die SVB gezwungen, Anlegern höhere Zinsen zu bieten, damit diese ihre Einlagen nicht abziehen.

Auch in Deutschland mussten die deutschen Sparkassen Milliardenabschreibungen auf Anleihen, Aktien und andere Wertpapiere hinnehmen, weil deren Kurs nach dem Zinsanstieg gefallen ist – 7,9 Milliarden Euro waren es Ende vergangenen Jahres. Anders als in den USA stehen die Verluste bei den Sparkassen bislang aber größtenteils nur in den Bilanzen. Sparkassenpräsident Helmut Schleweis ist daher zuversichtlich, dass die 359 Sparkassen in Deutschland die Krise bewältigen können: „Wenn die Papiere bis zur Endfälligkeit gehalten werden, dann werden sie zu 100 Prozent zurückgezahlt und holen die zwischenzeitlichen Wertkorrekturen wieder auf“, sagte er. 

Bislang scheint ein Großteil der deutschen Kreditinstitute von den höheren Zinsen sogar zu profitieren. Das liegt an einem anderen Effekt: Während der Niedrigzinsphase haben die Banken immense Notenbankguthaben angehäuft, weil die EZB ihnen Anleihen abgekauft hat. Das tat sie, um den Zins niedrig zu halten. Auf diese Guthaben erhielten die Banken zuletzt einen Einlagezins von 2,5 Prozent. Mit dem jüngsten Zinsschritt ist er nun sogar auf drei Prozent gestiegen. Gleichzeitig hat ein Großteil der Institute die gestiegenen Zinsen bislang nicht in gleicher Weise an ihre Kunden weitergegeben – etwa über höhere Tagesgeldsätze. Dem Vergleichsportal Verivox zufolge zahlen 282 von insgesamt 661 ausgewerteten Instituten noch immer keine Tagesgeldzinsen. Und das, obwohl die EZB schon Mitte vergangenen Jahres damit begonnen hatte, die Zinsen zu erhöhen. Vor allem Sparkassen und Genossenschaftsbanken halten sich demnach noch zurück. Manch eine Bank profitiert daher enorm: Die Commerzbank beispielsweise konnte ihren Gewinn im vergangenen Jahr auch deshalb verdreifachen.

Verbraucher profitieren bislang kaum

Auch wenn die Leitzinserhöhung nicht eins zu eins an die Verbraucher weitergegeben wird, dürften die Tages- und Festgeldzinsen weiter anziehen. Derzeit liegen die durchschnittlichen Zinsen auf Tagesgeld noch bei rund 0,88 Prozent. Einige Banken bieten bereits zwei Prozent auf Spareinlagen, allerdings oft nur für Neukunden. Zudem können steigende Zinsen einen positiven Effekt auf die Energiepreise haben, zeigt jüngst eine Studie des Instituts für Wirtschaft (IW). Mehr Geld haben Sparer durch die Leitzinserhöhung allerdings nicht. Bei Inflationsraten von über acht Prozent sind auch Sparzinsen von mehr als zwei Prozent schnell aufgefressen. Immerhin dürften die aktuellen Marktturbulenzen dazu führen, dass erst mal weniger Kreditrisiken eingegangen werden, sagt Christoph Kutt, Leiter des Bereichs Fixed Income Research bei der DZ Bank. „Das könnte dazu beitragen, dass sich die Teuerung etwas schneller abschwächt“, erklärte er.

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