Europäische Union: Etwas besseres qua Europa nach sich ziehen wir nicht

Hört sich an wie eine Plattitüde, bleibt aber fundamental für Deutschlands gesamtes politisches Handeln: Etwas Besseres als Europa werden wir nicht finden. Man muss sich diese schlichte, große Wahrheit hin und wieder ins Bewusstsein rufen. Gerade nach einer klassischen Brüsseler Woche, die niemanden richtig froh stimmen konnte, aber am Ende doch alle irgendwie erleichtert in die Weihnachtstage ziehen ließ.

Dramatischer hätte man den Kampf um neue Finanzmittel für die Ukraine nicht einläuten können als Polens Regierungschef Donald Tusk mit seiner Warnung, Europa müsse „entweder heute mit Geld oder morgen mit Blut“ bezahlen. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sprach von einer „Alles-oder-Nichts-Woche“.

„Alles“, das wäre ein Beschluss des EU-Gipfels gewesen: Make Russia pay – wir stellen die eingefrorenen russischen Vermögenswerte der Ukraine zur Verfügung, die damit Waffen zu ihrer Verteidigung kaufen und die Lücken im Staatshaushalt füllen kann. Der Angreifer zahlt.

Dieser Beschluss blieb aus, so viel Mut brachte die EU gegenüber der Atommacht Russland nicht auf. Ebenso wenig aber gab es das von Kaja Kallas befürchtete „Nichts“. Immerhin will die Union neue Schulden in Höhe von 90 Milliarden Euro aufnehmen und das Geld an die Ukraine überweisen, damit diese Putins Terrorkrieg zwei weitere Jahre überleben kann.

Was auf dem Spiel stand, war allen klar

Handlungsfähig hat sich Europa also gezeigt, aber auch durchsetzungsfähig? Was auf dem Spiel stand, war ja allen klar, auch dem belgischen Premierminister Bart De Wever, in der Auseinandersetzung um das russische Vermögen Gegenspieler von Bundeskanzler Friedrich Merz. Werde der Ukraine nicht geholfen, das wusste auch De Wever, dann breche das Land zusammen. Ein solcher Ausgang wäre „der ultimative geopolitische Niedergang für Europa, den wir noch Jahrzehnte lang spüren werden“, sagte der Belgier. „Von da an spielen wir keine Rolle mehr.“

Das Schreckensszenario konnte abgewendet werden, aber ihre wirkliche Macht demonstrierte die EU auch bei dieser Schicksalsfrage nicht. Es war eigentlich wie immer. Kraftvoller Einigkeit stehen Partikularinteressen entgegen. Bei der Ukraine-Finanzierung war es Belgiens Furcht vor russischen Regressforderungen. Bei der zeitgleich verschobenen Unterzeichnung des Freihandelsabkommens Mercosur mit vier südamerikanischen Staaten war es der Widerstand der französischen und italienischen Bauern.

Europa bleibt ein „von Selbstzweifeln geplagter Kontinent“ (Timothy Garton Ash). Was fatal ist. Denn die EU muss nicht nur die eigenen Interessen mutiger vertreten. Sie muss auch stärker werden, weil sie nur dann den Westen zusammenhalten kann. Der wird von Donald Trump auf anmaßende Weise in Frage gestellt. Rettungslos verloren allerdings ist er noch nicht.

Zwar delektiert sich die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA  (NSS) geradezu am Niedergang Europas. Doch die Passage der NSS zur EU ist von einer rationalen außenpolitischen Analyse weit entfernt. Sie ist reines radikalnationalistisches Ressentiment, wie es in den Kreisen um Vizepräsident JD Vance gepflegt wird. Auch die meisten Republikaner dürften über den Hass auf Europa den Kopf schütteln. Ganz gewiss ist er nicht Mehrheitsmeinung in Washington. Wolfgang Ischinger von der Münchner Sicherheitskonferenz hat Recht: „Das sollte man tiefer hängen.“

Europa muss sich gegen Trump behaupten

Strategisch bleibt es die Hauptaufgabe europäischer Außenpolitik, die Einheit des Westens zu bewahren, gemeinsam mit den politischen Kräften in den USA, die dazu bereit sind. Europa muss sich gegen die Regierung Trump behaupten, nicht gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.

Heute in drei Jahren ist der Nachfolger Trumps bereits gewählt und bereitet sich auf seine Amtseinführung vor. Vieles spricht dafür, dass es kein Republikaner sein wird. Entsetzt wendet sich ein Großteil der Amerikaner vom jetzigen Präsidenten ab, das zeigen die jüngsten Wahlen, zuletzt in Miami, wo zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder die Demokraten gewannen. Gut möglich, dass Trump bereits nach den Zwischenwahlen im kommenden November eine sogenannte lahme Ente sein wird.

Alles nur Wunschdenken? Wenn es eine Konstante in der amerikanischen Politik gibt, dann ist es die Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Das zeigte sich nach der widerlichen Kommunistenjagd in der McCarthy-Ära ebenso wie nach den Nixon-Jahren, als die USA im Morast von Vietnamkrieg und Watergate zu versinken drohten. Immer wieder hat sich dieses auch in seinen Fehlern maßlose Land aus den eigenen Verirrungen befreit.

Es gibt auch eine frohe Botschaft

Lassen wir uns also nicht von Trump verhexen, sondern eine Politik betreiben, die Europas Interessen und Werte selbstbewusst verteidigt. Den Willen dazu hat Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine geweckt. Jetzt müssen die beschlossenen Investitionen in die Verteidigung auch tatsächlich kommen. Es hilft dabei wenig, wenn sich, wie es gerade geschieht, Deutsche und Franzosen über die gemeinsame Produktion eines Kampfflugzeuges zerstreiten, immerhin ein 100-Milliarden-Projekt. Es hilft auch nicht, wenn der französische Staatspräsident unabgestimmt eine eigene Telefondiplomatie mit dem Kreml startet.

Handeln die Europäer nicht mutig, gehen sie nicht ins Risiko sowohl gegen Putin als auch gegen Trump, dann, so hat es die Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner formuliert, „stehen wir auf der Speisekarte“.

Es sind die mühsamen, gar nicht glamourösen, manchmal jedoch sehr klugen Brüsseler Kompromisse, die Europas Union, dieses Geschenk der Geschichte, zusammenhalten. Dass dies noch immer gelungen ist, ist vielleicht doch eine frohe Botschaft am Ende eines düsteren politischen Jahres.

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