Europäische Union: Der Green Deal – vom Topthema zum Problemkind

Wenn Ursula von der Leyen sich etwas erst einmal vorgenommen habe, setze sie es auch um, stur und unbeirrbar, hat die Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahlen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, einmal gesagt. Auf nichts trifft das besser zu als den Green Deal. Weder Corona-Krise noch Ukrainekrieg haben die Kommissionspräsidentin davon abgebracht, ihre zu Beginn der Amtszeit zum Kernthema erkorene Politik zum Schutz von Klima und Naturschutz voranzutreiben. Dabei mehrten sich, schon als die Energiepreise nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine stark stiegen, die Stimmen, die vor allzu viel europäischem Ehrgeiz warnten.

Von der Leyen und ihr oberster Klimakommissar und Vizepräsident Frans Timmermans aber peitschten gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat ein Green-Deal-Gesetz nach dem anderen durch. Wie viele genau hängt von der Zählweise ab. In der Kommission ist von knapp 50 die Rede. Die Spannbreite reicht vom Emissionshandel über die hierzulande so umstrittenen Gesetze zum Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor und zur Gebäudesanierung bis zur CO2-Grenzabgabe. Es ist eine wilde Mischung aus Ordnungspolitik und kleinteiligem Ordnungsrecht aus Verboten und Detailvorgaben. Anders wäre es politisch aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Europaparlament und Rat auch kaum durchzusetzen gewesen. So wurden beinahe alle Interessen, grüne, soziale, liberale bedient.

Nur noch die Grünen halten in Gänze am Green Deal fest

Nichts hätte von der Leyen davon abgehalten, bis zum Ende ihrer Amtszeit weiterzumachen, wenn im Frühjahr des vergangenen Jahres nicht die eigene Partei rebelliert hätte. Schon damals getragen von der Sorge, bei der Europawahl von den (rechten) Protestparteien abgehängt zu werden, kündigte der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), den Green Deal auf und verabschiedete sich zumindest in diesem Punkt aus der Von-der-Leyen-Koalition mit Liberalen und Sozialdemokraten. Zuvor hatten Protestparteien bei den Wahlen in den Niederlanden, in den deutschen Bundesländern, in Italien, in Schweden und in Finnland gepunktet.

Ein gutes Jahr später halten im Wahlkampf nur noch die Grünen und Teile der liberalen Renew-Fraktion – nicht die FDP – am Green Deal fest. Die letzten Gesetzesvorschläge aus dem Paket, vor allem zu Naturschutz und Biodiversität, sind zuerst stark abgeschwächt worden und zum Teil wie das Pestizidgesetz oder das Naturschutzgesetz ganz blockiert worden. Das Naturschutzgesetz schaffte es zwar durch das Europaparlament. Das Gesetz bekam aber keine ausreichende Unterstützung der Staaten mehr.

Die nächste strategische Agenda wird andere Prioritäten setzen

Auch unter den Staats- und Regierungschefs herrscht inzwischen die Meinung, dass die EU angesichts des intensiven Wettbewerbs mit den USA und China andere Sorgen hat. So ist schon jetzt klar, dass das Thema Klima- und Naturschutz in der Strategischen Agenda für die anstehende Legislaturperiode, mit der die Chefs der Kommission eine Art Arbeitsauftrag erteilen, keine besondere Rolle mehr spielen wird. Nach dem Sommer will Ratspräsident Charles Michel diese beschließen. Dabei geht es auch um Geld. Der nächste Finanzrahmen der EU für 2028 bis 2034, den die nächste Kommission ausarbeiten muss, soll ausdrücklich auf die Ziele der neuen Strategischen Agenda ausgerichtet werden.

In der letzten Strategischen Agenda hatten die Staats- und Regierungschefs den Klimawandel noch als „existenzielle Gefahr“ eingestuft. Die Schaffung eines „klimaneutralen, grünen, fairen und sozialen Europas“ war eine Toppriorität. Der Green Deal, das wird von ihren Kritikern auch in der eigenen Partei gern übersehen, war keine einsame Idee von der Leyens. Sie folgte dem klaren Auftrag des Europäischen Rats wie auch einem großen Teil des Parlaments.

Die nächste Strategische Agenda, das steht fest, wird ganz andere Prioritäten setzen. Der Fokus liegt auf Sicherheitspolitik, Verteidigung und Migration. Das erste Kapitel der zirkulierenden Entwürfe konzentriert sich auf diese Punkte sowie die damit verknüpfte Erweiterungspolitik. Im zweiten Kapital rufen die Chefs dann die Neuausrichtung der Wirtschafts-, Klima- und Energiepolitik aus. Es ist mit „Ein prosperierendes und wettbewerbsfähiges Europa“ überschrieben. Der Green Deal kommt darin nur am Rande vor. Explizit genannt wird er gar nicht. Das Papier nimmt nur indirekt Bezug darauf. So wird die erfolgreiche Zwillingswende – die digitale und grüne Wende – immerhin noch als ein wichtiges Unterziel eingestuft.

Finanzierung durch gemeinsame Schulden

Die Grünen wollen sich damit nicht zufriedengeben. Sie wollen den Green Deal nicht verlangsamen, sondern beschleunigen. Um die Bevölkerung dabei mitzunehmen, wollen sie einen Transformationsfonds auflegen. Der soll 150 Milliarden Euro umfassen und – wenig überraschend – durch gemeinsame Schulden finanziert werden. In einem von den drei Europaabgeordneten Michael Bloss, Bas Eickhout aus den Niederlanden und Sara Matthieu aus Belgien erarbeiteten Positionspapier für einen „Green Industrial Deal“ ist von mindestens 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts die Rede.

Im Februar 2023 stellt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Details des Green Deals vor.Reuters

Der Fonds soll sicherstellen, dass die EU die für die grüne Wende benötigten grünen Industriezweige in Europa halten kann. Zumindest das Ziel teilen die Grünen mit von der Leyen und den Vertretern der meisten Parteifamilien. Bei dem Sonderfonds sieht das schon anders aus. Der EU-Sonderbeauftragte für den Binnenmarkt, der ehemalige italienische Ministerpräsident Enrico Letta, hat sich zwar für einen neuen Schuldenfonds starkgemacht. Bei den sogenannten sparsamen Staaten um die Nordeuropäer und Deutschland stößt das aber ebenso auf Widerstand wie bei FDP und Union.

Um das Geld zu verwalten, wollen die Grünen ein neues Gremium innerhalb der Kommission schaffen, das von einem der Vizepräsidenten geleitet werden soll. Das Gremium soll die Industriepolitik in der EU feinsteuern. Um Investitionen in grüne Industrien zu fördern, wollen die Grünen die Abnehmer verpflichten, grüne Produkte zu nutzen, auch wenn diese teurer sind. Als Beispiel nennt das grüne Papier die Autoindustrie. Die könne die zusätzlichen Kosten für grünen Stahl an ihre Kunden weitergeben. Autos würden dadurch nur 100 bis 200 Euro teurer. Die öffentliche Hand soll Ausschreibungen an Klimastandards knüpfen. Zudem planen die Grünen eine Elek­troautopflicht für Dienstwagen und einen Mindestpreis im Emissionshandel.

Wie viel von dieser Wunschliste Aussicht auf Umsetzung hat, ist unklar. Anders als bei der Europawahl vor fünf Jahren, als zumindest die Grünen eine „grüne Welle“ durch die EU schwappen sahen, dürfte die Partei zu den Verlierern gehören, wie Umfragen zeigen. Es deutet alles auf Zuwächse am rechten Rand hin. Die resultierenden Mehrheitsverhältnisse wiederum könnten von der Leyen zwingen, eine Koalition aus Grünen, Liberalen, Sozialdemokraten und Christdemokraten zu schmieden. Dann könnten die Grünen zumindest Forderungen stellen.

Anderseits hat sie in der ersten Debatte der Spitzenkandidaten für die Europawahl in Maastricht auch eine Zusammenarbeit mit der rechten EKR-Fraktion, zu der die Partei der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die Fratelli d‘Italia, gehört, ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Die wiederum will den Green Deal „auf den Kopf“ stellen.

Dass der Green Deal nach der Wahl sogar im großen Stil zurückgedreht wird, ist indes eher unwahrscheinlich. Zwar fordern auch CDU/CSU und FDP in ihren Wahlprogrammen etwa die Rücknahme des Verbrennerverbots 2035. In ihren jeweiligen Parteifamilien auf europäischer Ebene konnten sie sich mit dieser Forderung aber nicht durchsetzen.

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