Kriselnde Konzerne, eine stagnierende Wirtschaft und Zweifel am deutschen Geschäftsmodell – das Jahr 2024 war voller schlechter Wirtschaftsnachrichten. Die trüben Zahlen werfen die Frage auf, wie groß der Wohlstand der Deutschen überhaupt noch ist. Eine aktuelle Auswertung des europäischen Statistikamtes Eurostat liefert eine zweigeteilte Antwort: Noch immer können sich die Deutschen viel mehr leisten als die EU-Durchschnittsbürger, seit 2016 nimmt der Wohlstand im Vergleich aber ab.
Um solche Aussagen treffen zu können, haben die Statistiker den „tatsächlichen Individualverbrauch“ errechnet. Dieser kaufkraftbereinigte Wert umfasst alle Güter und Dienstleistungen, die von Haushalten tatsächlich konsumiert werden, einschließlich Gesundheitsdienstleistungen und Bildung. Das Wohlstandsmaß ist verwandt mit dem Bruttoinlandsprodukt je Kopf, gibt nach Angaben der Statistiker aber noch genauer Aufschluss über das, was sich Menschen leisten können.
Deutschland erreichte 2023 einen Wert von 119. Das bedeutet, dass der materielle Wohlstand des durchschnittlichen Deutschen 19 Prozent oberhalb des EU-Schnitts lag. Deutschland liegt gemeinsam mit den Niederlanden auf Rang 2, hinter Spitzenreiter Luxemburg (36 Prozent über EU-Schnitt). Am niedrigsten ist der materielle Wohlstand in Ungarn und Bulgarien (jeweils 30 Prozent unter dem EU-Durchschnitt liegt).
Allerdings hinterlässt die seit Jahren anhaltende Wachstumsschwäche in Deutschland deutliche Spuren. 2016 konnten sich die Deutschen noch 26 Prozent mehr leisten als der EU-Schnitt, seitdem verliert Deutschland langsam, aber kontinuierlich. Die kleineren Länder Irland, Zypern und Malta waren in den vergangenen drei Jahren die Aufsteiger, die stärksten Rückgänge mussten die Dänen, Schweden, und Tschechen hinnehmen. Längerfristig sind Frankreich und Italien die Absteiger. Im Jahr 2000 war der Wohlstand in beiden Ländern im Schnitt 20 Prozent größer als in der EU, zuletzt betrug der Vorsprung in Frankreich noch 6 Prozent, in Italien verschwand er völlig. Das frühere Krisenland Griechenland hat in den vergangenen Jahren fünf Prozentpunkte gewonnen.
Noch aussagekräftiger werden die Durchschnittswerte, wenn man berücksichtigt, wie gleich oder ungleich sich die Einkommen verteilen. Für Deutsche mit geringen Einkommen gab es in dieser Hinsicht zuletzt eine positive Entwicklung. Noch 2007 arbeitete fast jeder Vierte im Niedriglohnsektor, 2022 war es nicht einmal mehr jeder Siebte, zeigt eine Auswertung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Vor allem durch die Einführung des Mindestlohns und eine veränderte Lohnpolitik der Gewerkschaften seien die Stundenlöhne im untersten Zehntel der Lohnverteilung gestiegen, analysierte das DIW Anfang des Jahres. Die Einkommensungleichheit war in Deutschland seit 1995 gestiegen, in den Jahren vor der Pandemie aber wieder gesunken. Da die Verteilungsdaten mit Verzögerung vorliegen, fehlen belastbare Erkenntnisse zu den jüngsten Entwicklungen.