Wir haben deine Werbeanzeige abgelehnt“, heißt es in einer Nachricht von Google an einen Verlagsmanager. Er hatte versucht, mit seinem Unternehmen mit Umfragen zu politischen Themen Abonnenten zu gewinnen. Diese wollte der Verlagsleiter als bezahlte Anzeigen auf den Plattformen von Google und Meta (Facebook, Instagram) schalten. „Generell wird jetzt alles geblockt, was nach politischer Werbung aussieht. Für uns ist das ein schwerer Schaden, weil viel Werbung heute nur noch über Social Media möglich ist“, sagt der Manager, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Werbung, die irgendwelche politischen Inhalte transportiert, wird jetzt enorm erschwert oder sogar unmöglich gemacht.“
Woran liegt das? Es ist eine neue EU-Verordnung zu politischer Werbung – genannt „Transparency and Targeting of Political Advertising“ (TTPA) – die zu der drastischen Änderung im Werbegeschäft der Plattformen führt. Seit dem 10. Oktober ist TTPA in Kraft. Umsetzungsvorschriften regeln, wie Internetplattformen und Medien Werbung kennzeichnen müssen, die politische oder gesellschaftlich relevante Themen beinhaltet. Alle Werbetreibenden, die einen politischen Zweck verfolgen könnten oder die öffentliche Meinung beeinflussen wollen, müssen ausweisen, wer für ihre Anzeigen bezahlt hat und was sie damit erreichen möchten. Des Weiteren müssen sie eine ganze Reihe weiterer Daten preisgeben. Das soll verhindern, dass sich feindselige Akteure etwa in Wahlkämpfe einmischen.
Unternehmen dürften Werbung zeigen, aber nur unter vielen Auflagen
So wie dem eingangs erwähnten Verlagsmanager dürfte es gerade auch vielen gemeinnützigen Organisationen, Universitäten oder Bürgerinitiativen gehen, deren bezahlte Kampagnen abgelehnt werden. Der Plattformgigant Google beschreibt in einer Standardantwort, was bei ihm nicht mehr geht: „Beispiele von Dingen, die nicht erlaubt sind: Befürworten von Wahlen oder Referenden. Befürworten von Wahlkandidaten oder gewählten Vertretern. Bewerben von Beiträgen zu gesellschaftlich relevanten Themen wie Bürgerrechten, wirtschaftliche Reformen oder die Umwelt.“ Auch Meta blockt jetzt rigoros ab. „Wahlwerbung bzw. Werbung zu politisch oder gesellschaftlich relevanten Themen ist in der Europäischen Union nicht mehr zulässig“, schreibt das Unternehmen.
Das stimmt nicht ganz. Die Werbung ist weiterhin erlaubt, nur fordert die EU nun einen maximalen Grad an Transparenz, der in der Praxis schwer zu verwirklichen ist. Werbetreibende müssen bei Kampagnen mit politischen Inhalten jetzt bis ins Detail offenlegen, wer die Anzeigen finanziert, wie hoch das Gesamtbudget ist, zu welchem Zweck die Anzeigen geschaltet werden, ob die Finanziers im Lobbyregister verzeichnet sind, aus welchen Quellen das Budget für eine Anzeige stammt, welche Gruppen angesprochen werden sollen (das sogenannte Targeting), wie oft die Anzeige geschaltet werden soll. Das gilt für Online- ebenso wie für Printwerbung.
„Politische Kommunikation wird zur Gefahrgutklasse“
Der Mediendienst „Table.Media“ schrieb, dass selbst auf ein Flugblatt eines SPD-Ortsvereins, der für den Erhalt eines lokalen Freibads werbe, künftig ein QR-Code gedruckt werden müsse, der zu einer Internetseite leitet, auf der alle Angaben detailliert stehen. In der Praxis, so sagen Werbetreibende, sei das kaum denkbar. Und so werde faktisch politische Werbung weitgehend abgewürgt.
Denn sind die Angaben nicht vollständig oder fehlerhaft, drohen hohe Bußgelder. Bei einer Verletzung der TTPA-Vorschriften müssen Unternehmen oder Organisationen bis zu sechs Prozent ihres Jahresumsatzes beziehungsweise ihrer Budgets als Strafe zahlen. Für Google oder Meta wären das Milliardenbeträge. Der Medienanwalt Joachim Steinhöfel sagte gegenüber der F.A.Z.: „Aus Angst vor drakonischen Bußgeldern sperren Plattformen politische Werbung pauschal.“ Das sei „kalte Zensur durch präventiven Gehorsam und ein Frontalangriff auf Artikel 5 Grundgesetz“, der die Meinungsfreiheit garantiert. Durch die TTPA-Verordnung komme es nicht mehr auf den Inhalt an, es zähle nur noch das Bußgeldrisiko: „Politischer Wettkampf wird so administrativ verhindert. Und genau das will die EU“, meint Steinhöfel. „Politische Kommunikation wird zur Gefahrgutklasse, die Verordnung führt zu regulatorischer Zensur im großen Stil.“
Politische Werbung macht nur einen kleinen Teil der Einnahmen aus
Einige Medien versuchen, der EU-Verordnung gerecht zu werden. Beispielsweise entwickelt das hinter „Table.Media“ stehende Unternehmen gerade mit einer Anwaltskanzlei Transparenzbekanntmachungen, die für jede Anzeige die erforderlichen Daten preisgeben. Aber der Aufwand ist eben groß.
Die größten Werbeunternehmen des Internets haben sich daher von politischer oder gesellschaftlich relevanter Werbung vollständig zurückgezogen. Suchmaschinenanbieter Google erklärte schon im vergangenen Jahr, dass er an keiner Lösung für das Problem arbeiten werde. Zu breit und unscharf seien die Kriterien dafür, was als politische Werbung gelten könnte. Meta teilte im Juli mit, solche Werbung zu sperren, da die Auflagen der Verordnung zur Verwendung von personenbezogenen Daten es unmöglich machten, relevante Werbung für Nutzer zu zeigen.
Wirtschaftlich ist das für diese Plattformen verkraftbar. Ihre Umsätze speziell im Bereich der politischen Werbung sind gering, gemessen an den gesamten Werbeumsätzen. Meta weist in einem Transparenzregister aus, wie viel Geld dieser Bereich eingespielt hat. In Deutschland machte das Unternehmen seit April 2019 mit politischer Werbung 165 Millionen Euro Umsatz. Zum Vergleich: Allein im zweiten Quartal 2025 nahm Meta in Europa 11,4 Milliarden Dollar mit Werbung insgesamt ein.
Organisationen und Universitäten müssen umdenken
Doch kleinere Organisationen trifft die TTPA-Verordnung hart. Sie prüfen gerade, wie sie ihre Werbung anpassen müssen, um nicht unter den breiten Schirm des „Politischen“ oder „gesellschaftlich Relevanten“ zu geraten. Der deutsche Ableger der Organisation „Reporter ohne Grenzen“, der sich global für Pressefreiheit einsetzt, nutzte bislang bezahlte Anzeigen bei Meta und Google dafür, jüngere Zielgruppen zu erreichen. Nun muss der Verein prüfen, inwiefern er seine Kampagnen anpassen muss, um diese fortführen zu können, schreibt der F.A.Z. ein Sprecher.
Auch Universitäten sind betroffen. Der Bereich der empirischen Sozialforschung der Uni Bielefeld nutzte Anzeigen auf Meta-Plattformen, um Teilnehmer für Befragungen in speziellen, kleinen Zielgruppen zu rekrutieren, schreibt eine Sprecherin der Universität auf Anfrage. Das geschah 2024 das letzte Mal. Jetzt sei noch nicht absehbar, welche Auswirkungen die TTPA-Einschränkungen in Zukunft auf die Forschung haben werden, erklärte die Sprecherin. Weitere Studien, für die in dieser Weise geworben werden soll, seien im Moment nicht geplant.
Bloß kein tagesaktuelles Geschehen
Nicht durch TTPA eingeschränkt sind politische Werbung oder politische Inhalte, die „organisch“ verbreitet werden. Also wenn etwa eine politische Partei auf Facebook oder der Plattform X unbezahlt eine Botschaft platziert. Die taucht dann in den Nachrichtenströmen anderer Nutzer auf, weil ein Algorithmus sie für relevant hält oder weil die Nutzer die Inhalte abonniert haben. Nur für bezahlte Inhalte greift die EU-Vorschrift.
Ratgeber für Werbetreiber empfehlen momentan, Schlüsselbegriffe und Bildmaterial, die auch nur entfernt mit tagesaktuellem Geschehen zu tun haben, in Werbeanzeigen zu vermeiden. Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich mit aktuellen Themen befassen, sehen sich mitunter übermäßig benachteiligt. Eine Sprecherin der Organisation Abgeordnetenwatch schreibt auf Anfrage zwar, dass die Organisation Kennzeichnungspflichten für politische Werbung unterstütze. „Die laut TTPA weite Definition ‚sozialer Themen‘, unter die selbst sachliche Aufklärung fällt, und die komplexen Anforderungen, die die EU-Verordnung beinhaltet, sind jedoch schwierig“, kritisiert Abgeordnetenwatch. Die daraus folgenden pauschalen Werbeverbote von Meta und Google seien aber unverhältnismäßig.