Die hohe Abhängigkeit vom russischen Erdgas hat die EU nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor große Herausforderungen gestellt. Russland reduzierte die Lieferungen stark. Bezog die EU 2021 noch 41 Prozent der Gaseinfuhr über russische Pipelines, waren es 2023 noch 10 Prozent. Im August 2022 stiegen die Großhandelspreise auf die Rekordhöhe von 339 Euro je Megawattstunde.
Die EU reagierte mit Subventionen für Privatverbraucher und Industrie von 390 Milliarden Euro, einer Gaspreisobergrenze, der Bündelung des Einkaufs, Vorgaben zur Senkung des Verbrauchs und Abkommen mit anderen Staaten. Die Gaspreise sanken Anfang 2024 wieder auf das Vorkrisenniveau.
Der Europäische Rechnungshof hat am Montag dennoch eine zwiespältige Bilanz der Krisenpolitik gezogen. „Es kam erfreulicherweise nicht zu einem einschneidenden Gasmangel“, betonte Prüfer João Leão am Montag. Die EU habe die Nachfrage wie politisch vereinbart um 15 Prozent gesenkt und die gesetzten Füllziele für die Gasspeicher von 90 Prozent übertroffen. Es sei aber nicht klar, ob das auf Eingriffe von EU oder Mitgliedstaaten zurückzuführen sei oder zumindest auch auf externe Faktoren. Die Prüfer verweisen darauf, dass der Verbrauch im Jahr 2022 bis August allein wegen der hohen Preise schon um 10,4 Prozent gesunken sei. Ein ohnehin warmer Winter sei hinzugekommen.
Eine Abhängigkeit habe die andere ersetzt
Die Wirksamkeit der EU-Gaspreisobergrenze könne nicht bewertet werden, weil die Preise seit deren Einführung deutlich darunter gelegen hätten. Ebenso wenig konnten die Prüfer feststellen, ob die Bündelung des Gaseinkaufs durch die Plattform „Aggregate EU“ einen Mehrwert hatte gegenüber anderen Gashandelsplattformen.
Zum Zeitpunkt der ersten Ausschreibung im Frühjahr 2023 habe sich der Preisunterschied zwischen den Gasmärkten schon stark verringert. Der Rechnungshof habe zudem kein Marktversagen ermitteln können, das durch die Bündelung des Einkaufs behoben werden konnte.
Die Prüfer warnen, dass die EU die Abhängigkeit vom russischen Pipelinegas durch eine gewachsene Abhängigkeit von der Einfuhr verflüssigten Erdgases (LNG) ersetzt habe. Sein Anteil an der Einfuhr stieg von 22 Prozent im Jahr 2021 auf 34 Prozent im vergangenen Jahr. Das bringe das Risiko strukturell höherer Preise mit sich. Die Preise für LNG schwankten zudem stark, da der Markt angespannt sei. Das müsse die EU in ihren Analysen der Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie stärker berücksichtigen.
Ein Problem sehen die Rechnungsprüfer auch darin, dass die EU ihre Klimaziele nur erreichen kann, wenn sie einen Teil ihres Gasverbrauchs CO2-neutral mache. Selbst wenn die EU den Verbrauch bis 2040 wie geplant reduziere, brauche sie immer noch erhebliche Gasmengen für energieintensive Industriezweige und den Energiesektor. Ohne Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 (CCUS) könne sie ihre Klimaziele deshalb nicht erreichen.
Die Europäische Kommission rechnet damit, dass bis 2050 jährlich 450 Millionen Tonnen abgeschieden werden müssen. Bisher sei die EU weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen, kritisieren die Prüfer. Der mangelnde Fortschritt gefährde die Versorgungssicherheit, weil die EU die Energiequelle Gas ohne Abrücken von ihren Klimazielen langfristig nicht mehr nutzen könne.