Es gibt Kommentare, die man nicht so gerne schreiben will. Zum Beispiel darüber, dass die EU und die Mercosur-Freihandelszone (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) jetzt mal ihr gemeinsames Freihandelskommen verabschieden sollten, weil es nach zwei Jahrzehnten Verhandlungen fertig ist und beiden Seiten wirtschaftliche Vorteile verspricht. Beim Mercosur-Gipfel diese Woche in Montevideo wäre dafür eine gute Gelegenheit. Es gab zuletzt auch Gerüchte, dass die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen extra zur Unterzeichnung nach Uruguay reisen wolle, aber zum Wochenbeginn war das nicht mehr so klar.
Das Problem ist, dass dieser Vertrag der EU ein unbequemes Zugeständnis abverlangt: Er würde auch dazu führen, dass man mehr Geschäfte mit ein paar unangenehmen Zeitgenossen macht. Gemeint sind die Betreiber des gigantischen südamerikanischen Agrobusiness. Bei ihnen gibt es Getreidefelder bis zum Horizont, über die Roboter zur Pflanzenpflege fahren. Die riesigen Flächen ermöglichen effizientes Wirtschaften in Hightech-Manier.
Aber sie sind auch deswegen entstanden, weil man über Jahrzehnte hinweg ziemlich skrupellos die Urwälder abgeholzt, indigene Völker und Kleinbauern vertrieben hat. Am Himmel ziehen Sprühflieger Kreise, die Gifte ausbringen, die in Europa verboten sind. Der Amazonaswald wird durch Brandroden und Holzfällen verkleinert, weil Weideland für Rinder geschaffen wird. Südamerikanische Landwirtschaftslobbyisten verschleiern und verneinen das gern, und das kann man mal so offen aussprechen: Da wird gelogen.
Wie soll man das alles dann europäischen Bauern erklären, die in den vergangenen Tagen an mehreren Orten Europas gegen dieses Abkommen demonstriert haben? Ihre Betriebe müssen eine erdrückende Menge bürokratischer Regeln für Menschen-, Tier- und Umweltschutz einhalten, die Konkurrenz in der argentinischen Pampa oder in der Hochebene von Brasilien aber nicht.
Kann gut sein, dass das Abkommen diese Woche abermals nicht zustande kommt. Vor allem in Frankreich und Polen wehren sich die Regierungen gegen das Abkommen, sie beugen sich dem Druck ihrer heimischen Bauern. So ist das schon mehrfach gelaufen, zuletzt im Dezember 2023. Da sollte der fertige Vertrag in letzter Minute noch mal auf EU-Wunsch Nachbesserungen bekommen, zu Umwelt- und Lieferkettenfragen, mutmaßlich eine Verzögerungstaktik.
Es gibt hier viel zur Abwägung von Moral und Geschäft zu sagen. Befürworter des Abkommens halten den protestierenden Bauern entgegen, dass das Abkommen gar nicht vorsehe, beliebige Mengen landwirtschaftlicher Produkte nach Europa einzuführen. Beim Rindfleisch zum Beispiel gelten enge Grenzen. Und es gibt auch die Gegenrechnung, dass die europäischen Landwirte selbst viel nach Südamerika exportieren könnten: Früchte, Gemüse, Öle, sogar Rindfleisch.
Das andere Argument ist, dass es nicht immer nur nach den Bauern gehen muss. Große Vorteile aus dem Abkommen liegen in wirtschaftlich bedeutsameren Branchen wie Maschinenbau, grüner Energie, Chemie, Technologieexporten aus Europa nach Argentinien, Einfuhren begehrter Rohstoffe aus Brasilien nach Europa.
Den Vorsitz bei Mercosur hat gerade der argentinische Präsident Javier Milei (siehe auch Seite 27) inne, ein Freihandelsfan. Für ihn hat das Abkommen mit der EU aber trotzdem keine Priorität. Im Augenblick will er vor allem durchsetzen, dass die Mercosur-Freihandelszone einzelnen Ländern die Möglichkeit gibt, auch noch eigene nationale Handelsabkommen zu schließen. Milei will ein solches Abkommen mit Trumps USA. Uruguays Präsident hat fast das gleiche Ziel, er strebt aber ein Abkommen mit China an.
Das ist die neue Realität beim Abschluss solcher Verträge. Ein Wettlauf hat eingesetzt, in dem Wirtschaftsräume und einzelne Länder sich so schnell wie möglich viele Marktzugänge sichern. Das wird umso wichtiger, je rascher sich anderswo auf der Welt Protektionismus, populistisch begründete Handelsbarrieren à la Trumps America First durchsetzen. Oder je stärker die Chinesen ihre Politik betreiben, wichtigen wirtschaftlichen Partnerländern Freihandelsverträge mit großen Krediten und Investitionsprogrammen anzubieten, im Tausch gegen politische Gefälligkeiten und Macht.
In dieser Zeit nützt es dann wenig, wenn die EU-Verhandler in die selbstbewusste, rohstoffreiche Wachstumsregion Südamerika reisen – und immer neue Belehrungen und Auflagen in die Verträge schreiben wollen. Es sind sinnvolle Auflagen, die auf unseren europäischen Werten beruhen und die bei gründlicher Umsetzung eine bessere Welt versprechen. Vor Ort kommt das aber völlig anders an, der brasilianische Präsident Lula da Silva schimpfte über „grünen Protektionismus“. Leider kann man, wenn man keinen Handelsvertrag hat, umso weniger Einfluss auf Missstände in der südamerikanischen Landwirtschaft und auf den Naturschutz nehmen. Weil andere dort die Partner sind.