Wenn die Europäische Union eines gut kann, dann das: sich mit sich selbst beschäftigen. Das ließ sich beim Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs am Donnerstag wieder einmal gut beobachten. Da war ein Gast geladen, der wie kein anderer deutlich machen kann, in welch großer Gefahr Europa sich befindet, nämlich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Und was machen die 27?
Sie reden über: Migration, Migration, Migration.
Der scheidende EU-Ratspräsident Charles Michel empfing Selenskyj in Brüssel mit warmen Worten: „Wir teilen dieselben Werte, wir sind auf eurer Seite! Wir werden euch weiter unterstützen!“ Selenskyj durfte den versammelten Staats- und Regierungschefs seinen „Siegesplan“ vorstellen. Dem Vernehmen nach hörte man ihm mit großer Sympathie zu, ohne sich auf irgendwas festzulegen.
Selenskyj gab anschließend eine Pressekonferenz, bei der er mit eindringlichen Worten für seinen Plan und vor der russischen Gefahr warnte. Dann reiste er wieder ab.
Danach beugten sich die 27 wieder über Fragen wie: Wie kriegen wir die Menschen los, die in Europa kein Bleiberecht haben? Wie halten wir es mit dem Vorstoß des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, das Asylrecht zeitweise auszusetzen? Und wäre das gerade eröffnete italienische Lager für Migranten in Albanien vielleicht ein Modell?
Angesichts der größten geopolitischen Krise in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges wirken diese Fragen kleinkariert. Während Selenskyj in Brüssel berichtete, dass sich nach Informationen der Geheimdienste Nordkorea darauf vorbereitet, 10.000 Soldaten in die Ukraine zu entsenden, um an der Seite seines Verbündeten Russland zu kämpfen, debattieren die 27 über „Rückführzentren“ am Beispiel des italienischen Lagers in Albanien, in das am Mittwoch die ersten Migranten überstellt wurden. Es sind 16 an der Zahl.
Europa hat offenbar vor einem syrischen Flüchtling mehr Angst als vor dem russischen Imperialisten und Gewaltherrscher Wladimir Putin.
Diese geopolitische Verzwergung der EU hat ihre selbst gemachten Gründe. In der Union sind rechtsextreme Parteien auf dem Vormarsch, etwa in Deutschland, Frankreich, Österreich, oder bereits an der Regierung wie in Italien und in den Niederlanden. Und um diese Entwicklung zu bremsen, wird eben auf dem EU-Gipfel über das Thema geredet, das die Rechtsextremen stark gemacht hat: Migration. Auch das kann man durchaus tun, aber dann doch bitte, indem man die Reform des europäischen Asylsystems (Geas) kraftvoll verteidigt, die die EU nach fast zehn Jahren heftiger Debatten im Frühjahr verabschiedet hat. Die Reform ist alles andere als perfekt, aber allein ihre Existenz könnte einer dringend nötigen Versachlichung der Debatte dienlich sein. Ja, es gibt in Europa zu viele Menschen, die kein Bleiberecht haben und trotzdem nicht rückgeführt werden. Ja, das untergräbt die Legitimation der regierenden Parteien. Aber es gibt die Geas, sie muss mit Leben gefüllt werden, vor allem braucht sie Regierungschefs, die sie offensiv vertreten. Dann wäre der Raum da, um über das zu reden, was für die EU wirklich wichtig ist – die russische Aggression, die nicht allein auf die Ukraine zielt, sondern auf das gesamte Europa.
Eine Debatte darüber wäre umso dringender, zumal am 5. November Donald Trump wieder zum Präsidenten der USA gewählt werden könnte. Trump könnte der Ukraine jede weitere Unterstützung versagen. Es läge dann an der EU, den geschundenen Nachbarn zu beschützen.
Seit zweieinhalb Jahren führt Wladimir Putin einen gnadenlosen Krieg gegen die Ukraine. In dieser Zeit gab es aus Europa viel Hilfe für die Ukraine, es flossen Geld und Waffen, und es gab das Bekenntnis, dass die Ukraine „zu uns“ gehört. Aber die Wahrheit ist: Ohne die USA hätte Putin die Ukraine bereits unterworfen. Und zur Wahrheit gehört etwa auch: Das kleine Finnland hat bis heute 3,2 Milliarden Euro an die Ukraine gezahlt, mehr als die großen EU-Mitglieder Frankreich, Italien und Spanien. Würde die EU den russischen Imperialismus als existenzielle Gefahr begreifen, würden Frankreich, Italien, Spanien und viele andere ihre Hilfe auf finnisches Niveau bringen.
Ist Europa in der Lage, die Ukraine zu beschützen? Ist die EU dazu willens? Die äußerst beunruhigende Antwort muss wohl lauten: weder noch.
Ein US-Präsident Donald Trump könnte nicht nur der Ukraine, sondern auch Europa seinen militärischen Schutz entziehen. Dann stellt sich die Frage, ob Europa sich selbst beschützen kann. Nein, lautet die sattsam bekannte Antwort.
Es wäre schon ein klein wenig beruhigend, wenn die EU auf ihrem letzten formellen Gipfel vor den US-Wahlen sich weniger mit sich selbst beschäftigen würde, sondern mit dem großen Krieg, der auf europäischem Boden wütet.
Denn nach dem 5. November droht Europa die große, die gefährliche Einsamkeit.
Wenn die Europäische Union eines gut kann, dann das: sich mit sich selbst beschäftigen. Das ließ sich beim Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs am Donnerstag wieder einmal gut beobachten. Da war ein Gast geladen, der wie kein anderer deutlich machen kann, in welch großer Gefahr Europa sich befindet, nämlich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Und was machen die 27?
Sie reden über: Migration, Migration, Migration.
Der scheidende EU-Ratspräsident Charles Michel empfing Selenskyj in Brüssel mit warmen Worten: „Wir teilen dieselben Werte, wir sind auf eurer Seite! Wir werden euch weiter unterstützen!“ Selenskyj durfte den versammelten Staats- und Regierungschefs seinen „Siegesplan“ vorstellen. Dem Vernehmen nach hörte man ihm mit großer Sympathie zu, ohne sich auf irgendwas festzulegen.