EU: Frankreich für mehr Spielraum für die Förderung grüner Industriezweige

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) war gar nicht dabei, als sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire vor dem Treffen der Eurofinanzminister am Montag in Brüssel eine „neue“ deutsch-französische Initiative für eine „grüne europäische Industriepolitik“ ankündigte. Er sei mit der Bundesregierung einig, dass die europäischen Beihilferegeln „schockartig“ einfacher werden müssten, damit die Mitgliedstaaten ihre Industrie vor allem bei der „grünen Transformation“ unterstützen könnten, sagte Le Maire. Nur so lasse sich die ganze EU „reindustrialisieren“.

Außerdem müssten „massive Subventionen“ für ganze Industriezweige möglich werden, etwa die Wasserstoff- und Brennzellentechnologie, die Batterieherstellung und die Halbleiterindustrie. All diese Sektoren müssten auf eine Liste von „Projekten strategischer europäischer Bedeutung“ kommen. Massive Staatshilfen für diese Sektoren müssten sowohl in der Form von Zuschüssen als auch von Steuernachlässen möglich werden.

Wie reagieren auf das US-Milliardenpaket?

Neu ist diese Initiative nicht wirklich; Le Maire bezog sich auf einen Vorstoß für eine europäische grüne Industriepolitik, den er vor Weihnachten nicht zusammen mit Lindner, sondern mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgelegt hatte . Der Franzose fügte am Montag hinzu, das gemeinsame europäische Interesse sei immer ein Argument, um die grüne europäische Industrie „zu schützen und voranzubringen“.

Die bestehenden Regeln, die eine Förderung der Projekte von gemeinsamen Interesse (IPCEI) erlauben, müssten so vereinfacht werden, dass eine erheblich schnellere Genehmigung möglich werde. Deutschland und Frankreich wollen durchsetzen, dass europäische Unternehmen mindestens so stark staatlich gefördert werden können, wie amerikanische. Die EU diskutiert seit dem Herbst, wie sie auf das US-Milliardenpaket für grüne Technologien vom Sommer („Inflation Reduction Act“, IRA) reagieren soll.

Mit Blick auf die EU-Beihilferegeln hat die EU-Kommission dazu erste Entscheidungen getroffen. In einem Brief an die EU-Finanzminister hat Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager angekündigt, sie wolle weitere Ausnahmen von diesen Regeln zulassen. Der bestehende „temporäre Krisenrahmen“, den die Kommission zunächst in Reaktion auf die Corona-Pandemie geschaffen und im vergangenen Sommer an die Hilfen wegen der ökonomischen Folgen des Ukraine-Kriegs angepasst hatte, soll zu einem „temporären „Übergangsrahmen“ erweitert werden. Damit ist gemeint, dass Unternehmen großzügiger subventioniert werden können, die den Übergang zu einer „grüneren“ Wirtschaft ermöglichen. „Diese neuen Vorschriften sollten das Risiko mindern, dass Investitionen unfair in Drittländer umgeleitet werden“, schreibt die Kommissarin.

„Nur“ 940 Milliarden Euro ausgegeben

Ganz im Sinne von Le Maires Forderungen will Vestager zudem die bestehenden Regeln grundsätzlich vereinfachen. Die gesamte Förderung erneuerbarer Energien solle künftig einfacher und schneller genehmigt werden können. Eine Ausweitung der IPCEI-Regeln sei überdies in Arbeit. Die Kommissarin wies aber auch darauf hin, dass die Mitgliedstaaten schon jetzt mehr als 90 Prozent ihrer Staatshilfen ohne eine Brüsseler Genehmigung gewähren könnten.

Nach Vestagers Angaben hat die Kommission seit Sommer spezielle Hilfen zum Ausgleich der ökonomischen Härten infolge des Ukraine-Kriegs in Höhe von 672 Milliarden Euro genehmigt. Davon kämen mehr als zwei Drittel aus zwei Mitgliedstaaten, gemeint sind Deutschland und Frankreich. Sie sehe unverändert Gefahren für den Binnenmarkt, weil nicht alle Mitgliedstaaten denselben finanziellen Spielraum hätten, ihrer Wirtschaft zu helfen. Die EU müsse Mittel und Wege finden, dieser Ungleichheit abzuhelfen, schreibt Vestager. „Zusätzliche Finanzmittel“ seien nötig. Diese könnten entweder aus dem Corona-Wiederaufbauplan oder aus einem „gemeinsamen europäischen Fonds“ kommen.

In einer ähnlichen Ausgangssituation – einer Ungleichverteilung nationaler Subventionen – hatte die EU-Kommission in der Corona-Krise im Frühjahr 2020 eine erstmalige gemeinsame EU-Verschuldung vorgeschlagen, die dann in den Wiederaufbauplan mündete. Dieser soll nach bisheriger Beschlusslage nicht verlängert werden. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat sich bisher nicht offiziell entschieden, ob sie für die EU-Antwort auf den IRA abermals gemeinsame Schulden vorschlagen will. In der vergangenen Woche sagte sie, derzeit würden mehrere Optionen geprüft. Wenn überhaupt, dürfte die Kommission ihren Vorschlag aber erst im Frühjahr vorlegen.

EU-Diplomaten machten am Montag darauf aufmerksam, dass die staatlichen Subventionen im Jahr 2020 unter den EU-Staaten nicht so ungleich verteilt gewesen seien wie von Vestager damals dargestellt. Zwar hätten die Mitgliedstaaten in jenem Jahr insgesamt 3 Billionen Corona-Hilfen angemeldet und genehmigt bekommen. Ausgegeben seien davon aber „nur“ 940 Milliarden Euro worden. Von diesem Betrag seien 226 Milliarden Euro auf Deutschland entfallen, 223 Milliarden Euro auf Frankreich und 205 Milliarden Euro auf Italien. Vor allem die Regierung in Rom hatte damals mit dem Argument schuldenfinanzierte EU-Hilfen gefordert, Italien werde ungerecht behandelt, weil es aus eigenen Mitteln keine Corona-Hilfen zahlen könne.

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