Es wird reibungslos die ganze Zeit geredet: Podcasts zerstören dasjenige Schweigen

Vom Polit- bis zum Paarpodcast: Deutschland redet unaufhörlich. Zwischen „spannend“, „total“ und „echt“ ist das Format zur akustischen Selbstoptimierung geworden. Unsere Autorin hat sich nicht nur Anne Will oder Charlotte Roche angehört


Wenigstens diese Münder bleiben geschlossen

Foto: Jacob Le



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Am Anfang läuft irgendeine Musik. Oder Werbung, wie bei Anne Will. Eine Jungmann-Stimme, die nach künstlicher Intelligenz klingt, wirbt für eine künstliche Bank bis „Werbung Ende“. Dann kommt eine Frau, die vor dem Auftritt Pipi muss. Anne Wills wahnsinnig wichtige Stimme. Ein paar Promis. Und die Radio- und Talkmarotte, den letzten gesagten Schlenker der befragten Person zu wiederholen, um eine Bruchzeit zu haben, die nächste Frage zu formulieren – und abzufeuern. Dann geht es endlich los, „unser Livepodcast in Köln“. Rasender Applaus. „Ja selbstverständlich. Wir freuen uns wie verrückt!“ Weil‘s Anne Wills Heimatstadt ist. „Besser hätten wir‘s überhaupt gar nicht antreffen können“. Sie freue sich – „wirklich!“. Worüber?

Alle freuen sich, „immer“, „wirklich!“ und „total“. „Dass ich hier sein darf“, im semi-virtuellen Raum des Podcasting, auf dem Podium, in diesem Leben. Dürfen ist wichtig, es signalisiert Bescheidenheit. Anne Will erlaubt sich selbst, nach Sendeschluss von Anne Will weiterzuquasseln. Über Politik, wobei das Thema im Grunde egal ist, Hauptsache quasseln, Hauptsache sympathisch und kompetent rüberkommen, Hauptsache prominent verlinkt werden, Klicks sammeln.

Auf grässliche Musik wird nicht verzichtet

Der „Promi-Podcast“ der Bunten ist besonders rücksichtslos unterlegt mit Pseudomusik. Andere Podcasts sind „preisgekrönt“ und werben ungeniert damit, verwenden schamlos Bullshit-Adjektive à la „hochkarätige Interviews“, wie es der marketingversierte Wolfgang Tischer in seinem Literatur-Podcast auf literaturcafé.de gern tut, denn „Literatur kann Ihre Intelligenz fördern und ist gefährlich für Ihre Phantasie“. Geistreich! „Abonnieren Sie jetzt, um keine Folge zu verpassen!“

Tischer spricht mit „dem wunderbaren Autor“, weil alle Literaten ausnahmslos „wunderbar“ sind. Und „hochkarätig“ natürlich, eine „großartige Bereicherung“. Auf grässliche Musik wird auch hier nicht verzichtet.

Es gibt Schauspieler-Podcasts, Musik-Podcasts, Wissen-Podcasts und Schmuddel-Podcasts. Es gibt Ratgeber-Podcasts und Radio-Podcasts. Es gibt Moderatoren-Podcasts wie die von Christian Sievers oder Marietta Slomka, die sie zwischen den Nachrichten im heute journal nonchalant anpreisen. Wie bei Schokolade oder Zahnpasta ist für alle Geschmäcker etwas dabei, und immer kommt Neues hinzu, so dass das Podcast Regal im Internet-Warenhaus immer länger und unübersichtlicher wird. Als wäre alles gleich wichtig, „irgendwie“.

Ein feministischer Podcast über Vergewaltigung sendet vorab eine „Content-Warnung“ (deutsch: Warnung vor Inhalt) – wäre man nicht von selbst draufgekommen, dass Vergewaltigung mit Gewalt zu tun hat. Drunter prangt ein umfangreicher Link-Friedhof plus Transkript, was hilfreich ist, um all die modern-talking Füllsel, die beim „authentischen“ Sprechen anfallen wie beim Hobeln die Späne, mit spitzen Fingern herauszufischen: „total“, „echt“, und „tatsächlich“.

Es gibt aber auch richtig gute Podcasts

Besonders gern wird „mit einem“ „das“ „gemacht“ bzw. danach gefragt, was „das“, egal was, „mit einem macht“, was ja – „genau!“ – „ein total wichtiger Aspekt“ ist. Es wird also „schon“, „jetzt“, „auf jeden Fall“ „irgendwie“, „definitiv“ und „absolut“ „gestartet“ (aber nie gelandet), während alles „unglaublich“, „unfassbar“, „spannend“ und „krass“ ist – jedoch mit sanfter Stimme.

Bei Paar-Podcasts arbeiten sich Podcasterinnen (Jule und Sascha Lobo) an der Nachrichtenlage, oder (Charlotte Roche und Martin Keß-Roche) an ihrer Beziehung ab, letztere unter dem auf den ersten Blick hübschen, auf den zweiten Blick idiotischen Titel „Paardiologie“.

Außerdem gibt es „natürlich“ Zeitungs-Podcasts wie den vom Tagesspiegel, bei dem der jeweilige Promi-Gast und die Moderation dazu verdammt sind, die gesamte Berliner Ringbahnstrecke, also eine gute Stunde S-Bahn lang, zu reden. Es gibt auch richtig gute Podcasts, die „eigentlich“ getarnte Features sind, hörspielartig aufwändig recherchiert und produziert wie die vierteilige „Peter Thiel Story“ – „unbedingt“ hörenswert!

Ob gut, mittel oder lahm, das nicht sinkende Podcastfieber ändert nichts daran, dass generell viel zu viel geredet wird, überall. Podcasts potenzieren das viele, viele Reden pseudoprofessionell und gewinnbringend. Sie bringen das Schweigen zum Schweigen, als wäre Schweigen schwerer erträglich als „unterlegte“ Schleimmusik. Schade. Schweigen kann so schön sein. Ein Podcast über das Schweigen – wie klänge der? Traut sich wer?

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