Erst Erwartungen wecken, dann einkassieren, sobald es ernst wird?
Nun aber goss NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) den Freunden forcierten Abschiebens Wasser in den Wein. Auf syrische Clan-Kriminelle werden sie bei ihrer Rückführungsoffensive weitgehend verzichten müssen – so lautete seine Botschaft. Denn die existierten nur in winzigen Mengen. Das habe eine umfassende Studie seines LKAs in Zusammenarbeit mit anderen Polizeieinheiten und ausgewiesenen Experten herausgefunden (genannt „Projekt Euphrat“). Mit dieser Intervention riskiert ausgerechnet Reul, der anerkannte Clan-Kämpfer, einen verhängnisvollen Eindruck: dass die Union in Sachen Abschiebung erst große Erwartungen wecke, um sie wieder einzukassieren, sobald sich eine Umsetzungs-Chance auftut.
Diese Wahrnehmung mag ungerecht sein. Wenn Reuls Experten jetzt zu dem Ergebnis kommen, es gebe kaum syrische Clan-Kriminelle, ist das nicht nur sehr erfreulich, sondern muss natürlich auch publik gemacht werden. Aber solch eine Neuakzentuierung, um nicht zu sagen: Solch eine Wende muss auch offen als solche benannt und transparent erklärt werden, wenn sie kein Misstrauen erregen soll. Das aber geschah kaum. Und deshalb droht Reuls partielle Entwarnung das Gefühl auszulösen, sie kollidiere mit dem bislang verkündeten Kenntnisstand – ohne dass dies zugegeben werde.
Und er beobachtete, „sowohl bei libanesischen als auch bei syrischen ‚Clans‘ existieren stark hierarchische und gut organisierte Netzwerke“. Dazu passend ermittelte das BKA 2023, dass sieben von 44 Gruppen der organisierten Clan-Kriminalität „syrisch dominiert“ seien. Der Anteil habe sich seit 2018 mehr als verdoppelt. Das LKA zählte 2023 unter 4213 Tatverdächtigen im Clan-Bereich allein in NRW sogar 770 Syrer – über 17 Prozent.
Alles nicht so wild wie behauptet?
Nun aber kommt Reuls Studie zu dem Ergebnis, Clankriminalität sei „in Bezug auf syrische Tatverdächtige derzeit nur punktuell belegt“, „Merkmale von Clankriminalität in Bezug auf syrische Tatverdächtige konnten bislang nur in Einzelfällen festgestellt werden“, was sowohl für den Organisationsgrad als auch für die Hierarchisierung gelte. Syrer seien in diesem Kriminalitätsbereich „nur Nebendarsteller“, ihr Tatverdächtigen-Anteil liege „bei etwa zwei Prozent“.
Plötzlich heißt es also: Alles nicht so wild wie seit Jahren suggeriert. Wenn dem so ist, dann haben Reuls Sicherheitsbehörden, um das Mindeste zu sagen, arg unglücklich kommuniziert. Das gilt auch für die Umstände, unter denen die Studie präsentiert wurde: Der Öffentlichkeit händigte Reul nicht etwa den vollständigen Abschlussbericht aus. Den behält er unter Verschluss. Was Medien und Opposition zu sehen bekamen, war stattdessen eine auf sieben Seiten zusammengekürzte „Managementfassung“. Aber es wird noch ärger: Auch auf Nachfrage mochten Reul & Co. nicht verraten, welche externen Fachleute an der Studie mitgewirkt haben. Auf wessen nicht überprüfbares Urteil soll die Öffentlichkeit sich da eigentlich verlassen?
Abschieben für ein wehrhaftes Zuwanderungsland!
So erregt man Misstrauen. Und das ist nicht nur grundsätzlich schlecht, sondern auch in der aktuellen Lage fahrlässig – angesichts einer Konkurrenz von rechts, die sich so erfolgreich als abschiebepolitische Alternative empfiehlt. Wenn Reul das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Union schützen will, sollten er und seine Behörden nun vor allem ein Ziel verfolgen: dass von den 770 syrischen Clan-Kriminellen, die das LKA noch 2023 in NRW zählte, möglichst viele rasch auf der Warteliste für Abschiebeflieger landen.
Denn auch wenn sie nun nicht mehr alle als Clan-Kriminelle gelten, bleiben sie doch nach Syrien abschiebbare Kriminelle. Zudem warnt Reuls Studie ja, dass in diesem Straftäter-Milieu „ein Potenzial“ für die zukünftige Entwicklung clankrimineller Strukturen liege. Auch beobachtet Reul steigende Gewaltbereitschaft unter Syrischstämmigen. 2015 wurden demnach knapp 3400 Tatverdächtige unter 84.000 Syrern in NRW gezählt. 2024 waren es etwa 17.000 von knapp 288.000 Syrern (das heiß übrigens auch: 94 Prozent sind nicht kriminell). Es gibt also durchaus noch Grund und Gelegenheit, Tatkraft zu beweisen. Was der Minister schleunigst starten sollte, ist eine Wehret-den-Anfängen-Kampagne für ein wehrhaftes Zuwanderungsland – durch Abschiebung. Bis dahin sollten wir uns darüber freuen, dass die syrische Minderheit offenbar – zumindest noch – nicht so organisiert-kriminell ist, wie uns bisher bedeutet wurde.
Source: welt.de