„Erst mit jener nahenden Wahl hat Rot-Grün sich hinauf uns zubewegt“

„Erst mit jener nahenden Wahl hat Rot-Grün sich hinauf uns zubewegt“

Sicherheit am Hauptbahnhof, Kampf gegen Drogenbanden, Gewaltkriminalität: Wie kann die Kriminalität in der Hansestadt zurückgedrängt werden? In wenigen Wochen wird die Bürgerschaftswahl entschieden und das Thema „Innere Sicherheit“ ist eines der Kernthemen der Wahl.

Selten spielte das Thema innere Sicherheit eine so große Rolle wie in diesem Wahljahr. Und spätestens seit Mittwoch dieser Woche, seit die Bundes-CDU ihren umstrittenen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik im Bundestag mit den Stimmen der FDP und erstmals auch denen der AfD durchgebracht hat, ist damit zu rechnen, dass sich die aktuelle Debatte verschärfen wird. Viele der auch in Hamburg akuten Themen – etwa, wie mehr Abschiebungen möglich sind oder die Frage der Ausweitung der Kompetenzen von Sicherheitsbehörden –, müssen auf Bundesebene entschieden werden und spielen doch stark in den Bürgerschaftswahlkampf hinein.

Allerdings zeigt der Landeswahlkampf auch, dass die politischen Lager in einem Stadtstaat wie Hamburg vielfach gar nicht so weit voneinander entfernt sind, wie es die hitzigen Debatten vermitteln. Im Sinne der Stadt und ihrer Menschen zu regieren, eint – so jedenfalls scheint es. Das zeigte sich insbesondere im Umgang mit dem Hamburger Hauptbahnhof, der über Monate zum wichtigsten innenpolitischen Thema der Stadt wurde.

In rasantem Tempo hatte die Innenbehörde unter SPD-Senator Andy Grote den Bahnhof und dessen Umfeld zu einer Art Hochsicherheitszone umgestaltet, als das Elend der Crack- und Trinkerszene kaum noch zu übersehen war. Vom Start der „Allianz sicherer Hauptbahnhof“ über ein Waffen- und Alkoholkonsumverbot, hin zur Ausweitung der Videoüberwachung dauerte es eineinhalb Jahre. Noch Mitte Dezember erließ der Senat ein Waffenverbot im Nahverkehr.

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Es sei gelungen, „die Aufenthaltsqualität am Hauptbahnhof spürbar zu stärken und die Zahl der Straftaten, insbesondere der Gewaltdelikte, zu senken“, sagte Grote in dieser Woche zu WELT AM SONNTAG. Die „Allianz“ sei ein „bundesweit beachtetes Erfolgsmodell“.

Anspruch sei, Polizeipräsenz und Verfolgungsdruck an Orten wie dem Hauptbahnhof hochzuhalten und die Zahl der Straftaten nach dem Anstieg im letzten Jahr zu senken. „Beides ist gelungen“, sagte Grote. Er sieht sich bestätigt. In zwei Wochen wird er die neuen Kriminalitätszahlen vorstellen. „Die Zahl der Straftaten ist im vergangenen Jahr um rund vier Prozent gesunken“, weiß er schon. „Insbesondere bei den Tötungsdelikten, also Mord und Totschlag, verzeichnet die Polizei starke Rückgänge. Das Risiko, in Hamburg Opfer einer Straftat zu werden, bewegt sich damit weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau.“

Innen-Haushalt mit Rekord-Etat

Grote ist seit Anfang 2016 im Amt. In diesen Tagen steht er gefestigter da als einige Jahre zuvor, eine weitere Amtszeit scheint gesichert. Grote kann sich auch im Senat durchsetzen: Der neue Innen-Haushalt hat trotz schwierigerer Finanzlage einen Rekord-Etat von zwei Milliarden Euro. Und doch kam mitunter der Eindruck auf, die SPD lasse sich beim Thema Sicherheit von der CDU vor sich hertreiben.

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Ein Eindruck, den die Christdemokraten nur zu gern bestätigen. „Erst mit der nahenden Bürgerschaftswahl hat Rot-Grün sich in Sachen Hauptbahnhof auf uns zubewegt und Schritte unternommen, die auch wir für richtig halten“, sagt Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der Hamburger Christdemokraten. Immer habe es geheißen: Malt den Teufel nicht an die Wand. „Dass sich die SPD jetzt dafür feiert, was die CDU seit Jahren angemahnt hat, zeigt einen gewissen Aktionismus“, sagt Gladiator.

Ungeachtet dieser Spitze zeigt das Thema Hauptbahnhof aber auch, wie nah sich CDU und SPD auf Landesebene zuweilen sind. Wer die Wahlprogramme beider Parteien vergleicht, entdeckt viele Gemeinsamkeiten, und hinter vorgehaltener Hand heißt es aus der CDU-Fraktion, man würde mit der SPD sehr viel besser innenpolitisch zusammenarbeiten, als es die rot-grüne Regierung gezeigt habe. „Mehr Waffenverbotszonen und intelligenter Videoschutz“, heißt es im Wahlprogramm der CDU. Die SPD setzt auf „moderne Videoüberwachung und eine Ausweitung von Waffenverbotszonen bei gleichzeitiger Verstärkung der Kontrollen“. Die Speicherung von IP-Adressen und die Möglichkeit zum biometrischen Datenabgleich sind für beide Landesparteien eine Notwendigkeit.

Die Ausstattung der Polizei müsse verbessert, die Befugnisse der Ermittlungsbehörden ausgeweitet werden, sagt Gladiator. „Nach jeder Terrortat heißt es: Wir müssen alles tun, damit sich das nicht wiederholt. Und dann passiert aber nichts.“ Wichtig seien Kompetenzen in der Internetauswertung und „die Frage, wie kann man mit künstlicher Intelligenz die IT-Situation bei der Polizei verbessern kann, um noch ein bisschen mehr vor die Lage zu kommen“.

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Die jüngsten Ereignisse hätten gezeigt, „wie dringend“ die Sicherheitsbehörden mit den entsprechenden Befugnissen ausstattet werden müssten, „um deren Leistungsfähigkeit zu stärken“, sagt Grote. „Einig sind wir uns darin, dass wir nach dem Messerangriff von Aschaffenburg und anderen Taten in jüngerer Vergangenheit, die durch Täter mit psychischer Erkrankung begangen wurden, die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsbehörden und Sicherheitsbehörden deutlich intensivieren wollen, um hier Risikopotenziale schneller zu erkennen.“

Sicherheitsoffensive erzeugt Verdrängung

Doch die Linie des Senators kommt nicht überall gut an. Dass die Sicherheitsoffensive an anderer Stelle Probleme erzeugt, die die Stadt alles andere als im Griff hat, davon zeugt insbesondere der Fall einer Elbkinder-Kita im benachbarten Stadtteil St. Georg. Das Stichwort heißt: Verdrängung der Crack-Szene. Weil immer wieder Junkies das bereits gesicherte Kita-Gelände betraten, setzte die Kita Nato-Draht auf den Zaun. Doch es betrifft nicht nur St. Georg, sondern auch Altona und Harburg.

„Was helfen die Kameras am Hauptbahnhof, wenn sich eine Kita, ein paar Hundert Meter entfernt, mit Nato-Draht schützen muss?“, fragt der AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann süffisant. „Wie kann so etwas in einer zivilisierten Stadt sein?“ Grote reagiert, wie er auch am Hauptbahnhof reagiert hat. „In St. Georg haben wir jetzt nach und den Hansaplatz und sein Umfeld gewissermaßen unter Polizeischutz gestellt“, sagt er. Dazu gehörten „eine feste Postierung von Einsatzkräften“, mehr Kontrollen und gezielte Schwerpunkteinsätze. Auf die Problemszene soll der Druck erhöht werden.

Der grüne Koalitionspartner gibt sich dazu vermittelnd: Die Freiheit im öffentlichen Raum sei ein Thema, das in einer Großstadt immer virulent sei, betont die innenpolitische Sprecherin, Sina Imhof. „Unterschiedliche Menschen mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen und unterschiedlichen Lebensrealitäten treffen aufeinander.“ Damit das funktioniere, müssten Recht und öffentliche Ordnung konsequent durchgesetzt werden. Deshalb begrüße sie zwar auch die Maßnahmen am Bahnhof. Es dürfe aber niemals das Ziel sein, „die Menschen dort einfach zu vertreiben, wir müssen Ihnen echte Alternativen und die Hilfe bieten, die sie brauchen.“

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Dass den Grünen die harte Innenpolitik der SPD nicht uneingeschränkt zusagt, verrät der Blick ins Wahlprogramm. Es geht weniger um das Wie als um den Rahmen. Polizei soll sich weiter für Forschung öffnen, heißt es. Die Einführung neuer Techniken, wie der Einsatz von automatischer Datenanalyse oder KI wollen die Grünen „konstruktiv, aber auch kritisch begleiten und regelhaft evaluieren“. Die mit der neuen Beschwerdestelle eingeleitete „neue Fehlerkultur bei der Polizei“ soll ausgebaut werden. Strategien wie die sogenannten „gefährlichen Orte“ auf St. Pauli und in St. Georg, in denen die Polizei Identitäten zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten kontrollieren dürfe, sollen hinterfragt werden.

Grüne: Wollen OK-Bekämpfung weiten

„Ich glaube, dass der Punkt Spionageabwehr in den nächsten Jahren sehr wichtig wird“, sagt Imhof. „Wir haben jetzt durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine andere geopolitische Ausrichtung. Wir stellen uns in Gesamtdeutschland mit Blick auf unsere Sicherheit anders auf.“ Hamburg spiele dabei eine zentrale Rolle.

Und sie will das Thema „Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“ weiten: Das Thema werde aktuell insbesondere mit Blick auf den Drogenschmuggel über den Hafen diskutiert, sagt sie. „Aus meiner Sicht ist es aber eine zu enge Fokussierung nur auf das Drogengeschäft zu schauen, wir müssen auch die weiteren Schritte in den Blick nehmen. Wir wissen, dass organisierte Kriminalität Milliarden Euro in der Stadt wäscht. Ich fände es sehr wichtig, dass wir den Blick dafür schärfen, was das mit unserer Stadtgesellschaft macht.

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34 Tonnen Kokain entdeckten Zoll und Polizei 2023 im Hafen – Rekord. 2024 waren es fünf Tonnen. Hinzu kommen Tonnen von Cannabis, die in die Stadt geschmuggelt werden. Die Stadt müht sich, nicht nur den Schmuggel zu unterbinden, sondern auch kriminelle Strukturen dahinter zu zerschlagen. Der Austausch mit Rotterdam und Antwerpen ist eng. SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher reiste im vergangenen Jahr eigens nach Südamerika. Es wurde eine „Allianz sicherer Hafen“ gegründet und ein Hafensicherheitszentrum installiert.

Das Thema brennt auf den Nägeln, vornehmlich weil sich Streitigkeiten im Milieu oftmals in teils tödlichen Auseinandersetzungen Bahn brechen. Die Angst, die Stadt werde der Gewalt der Drogenbanden nicht mehr Herr, wird zwar von den Sicherheitsbehörden zurückgewiesen, ist aber greifbar. Vor zwei Wochen schoss ein erst 15-jähriger Niederländer in einem Lokal auf dem Steindamm auf ein Mitglied der tschetschenischen Mafia. Der Jugendliche soll von der sogenannten Mocro-Mafia angeheuert worden sein.

Immer mehr Schusswaffen eingesetzt

Immer häufiger würden in Hamburg Schusswaffen eingesetzt, auch zum Töten, betont AfD-Fraktionschef Nockemann. Zwischen Januar und September 2024 seien in Hamburg 241 Taten von der Polizei aufgenommen worden, bei denen geschossen oder mit einer Schusswaffe gedroht wurde. Das sei fast ein Viertel mehr Taten. „Man kann nicht immer nur so tun, als sei die innere Sicherheit nur am Hauptbahnhof gefährdet“, sagt Nockemann. „Sie ist in Rahlstedt, im Phoenix-Viertel und an vielen anderen Orten in der Stadt gefährdet.“ Wie könne es sein, „dass die Innenstadt an Silvester zur Sperrzone erklärt werden müsse, fragt er.

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Nicht zuletzt am Jungfernstieg, wo die Polizei Einsätze gegen Jugendgewalt fährt, zeige sich das Problem, dass Zuwanderung eine Ursache für die Kriminalitätsentwicklung sei, sagt Nockemann. „Dort entladen sich religiös geprägte patriarchalische und vielfach gewalttätige Strukturen. Ich werfe Rot-Grün vor, dass sie diesen wesentlichen Faktor zumindest in der öffentlichen Diskussion ausblenden.“

Es dürfe nicht sein, dass in der Bürgerschaft beschlossen werde, dass Hamburg ein sicherer Zufluchtshafen sein solle und „zugleich die Kriminalität, an der Ausländer beteiligt sind, massiv angestiegen ist“. Die Ausländerbeteiligung an der Gesamtkriminalität liege bei 46 Prozent, mehr als die Hälfte aller Insassen in den Justizvollzugsanstalten seien Ausländer. Das sei ein unüberhörbares Alarmzeichen.

270 Straftäter abgeschoben

„Wer hier schwere Straftaten begeht, muss das Land verlassen“, betont allerdings auch Grote. „Unsere Sicherheitsinteressen stehen über dem Bleibeinteresse des Betroffenen.“ 2024 seien mehr als 1700 Menschen abgeschoben worden, darunter 270 Straftäter. Dass Grote konsequent abschieben will, zeigte er zuletzt im Fall des jungen Afghanen, der gleich zweimal zurück nach Schweden gebracht wurde.

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Dafür legte sich Grote nicht nur mit der Kirche an – der 29-Jährige hatte im Kirchenasyl Schutz gesucht –, sondern musste auch Kritik von den Grünen einstecken. Unter welchen Bedingungen gegen irreguläre Migration vorgegangen werden soll, wird aber letztlich auf Bundesebene entschieden. Und dort herrscht nach dem Ampel-Aus alles andere als Einigkeit, wie der jüngste CDU-Vorstoß zeigte.

„In der öffentlichen Debatte, die derzeit läuft, laufen wir Gefahr, dass Geflüchtete pauschal als Sicherheitsrisiko verstanden werden“, sagt Sina Imhof. Das bedrohe konkret die Freiheit dieser Menschen, die zur Zielscheibe von Hass und Gewalt werden könnten. „Migration ist insofern eine Herausforderung für die innere Sicherheit“, sagt sie, „weil auf der einen Seite Gefährder in unser Land kommen können, die wir frühzeitig erkennen müssen. Zum anderen müssen wir uns dafür einsetzen, dass Integration gelingt. Wir brauchen eine geordnete Integration und müssen dafür auch unser bestehendes Migrationsrecht durchsetzen.“ Mehr Sicherheit – aber wie?

Source: welt.de

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