Erst jener Vater, dann jener Sohn, jetzt die Tochter – Wenn Skispringen Familiensache ist

Bei Familie Freitag ist die Leidenschaft fürs Skispringen fest verankert. Jetzt trumpft Selina im Weltcup auf. Einen internen Wettkampf gebe es zwar nicht, sagt sie, aber in einer Sache habe sie den Papa schon geknackt. Nur ein Traum der Geschwister bleibt unerfüllt.

Früher, da stand Selina Freitag mit ihren Eltern an der Schanze oder saß gebannt vor dem Fernseher, wenn ihr großer Bruder um Podestplätze kämpfte. Sie sah, wie Richard 2011 in Harrachov/Tschechien seinen ersten von acht Weltcupsiegen feierte und damit genau an jenem Ort, an dem 1983 Vater Holger seinen ersten und einzigen Triumph geholt hatte. 2011, da war sie zehn Jahre alt und selbst schon begeisterte Skispringerin.

Mittlerweile ist es sie, die um Podestplätze springt – aktuell im Weltcup, wo sie am Wochenende zweimal Zweite wurde und in dessen Gesamtwertung sie Dritte ist, ab dem 26. Februar dann bei den nordischen Ski-Weltmeisterschaften in Trondheim/Norwegen. Und Richard, 33, fiebert mit.

Eine entscheidende Zeit erlebten die Geschwister gemeinsam: Nachdem Selina in der sechsten Klasse aus Breitenbrunn für den Sport nach Oberwiesenthal gegangen war, zog es sie mit 16 Jahren nach Oberstdorf. „Ein sehr schwieriger Schritt“, erinnert sie sich. „Mehr als 500 Kilometer weit weg von zu Hause – das war schon zäh. Ich war sehr froh, dass Richard damals mitging und ich ihn hatte, auch wenn wir uns nicht oft gesehen haben.“ Für den Sport, sagt die 23-Jährige, sei es die beste Entscheidung gewesen. Sonst hätte sie es nicht so weit gebracht.

Skispringen – das ist Familiensache bei den Freitags. „Ich fand es schön, so aufzuwachsen. Natürlich ist es auch mal nervig, wenn es oft ums Skispringen ging, aber wir reden auch über andere Dinge“, sagt sie. „Ich bin froh, dass ich den Papa und Richard habe, bei denen ich mir immer Insider-Tipps holen kann.“

Und die Mutter? „Sie sagte letztens zu mir, wie schön sie es finde, an der Schanze dabei zu sein und das alles mitzuerleben. Wir haben einen großen Familienzusammenhalt.“

Kein interner Familienwettkampf, aber …

Es gab auch sportlich schwierige Momente: Als Richard Freitag in der Saison 2017/2018 in der Form seines Lebens um den Sieg bei der Vierschanzentournee sprang, stürzte er in Innsbruck schwer und musste aussteigen – wieder hatte sich Geschichte wiederholt: In Innsbruck war einst auch der Vater gestürzt.

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Mit der Mannschaft gewann Freitag zwar anschließend Olympiasilber und WM-Gold, aber fortan wurde es zäh. 2022 beendete er seine Karriere. Mittlerweile studiert er Osteopathie – auch das Interesse an Medizin und Gesundheit liegt in der Familie: Vater Holger ist Orthopäde.

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„Der Traum von meinem Bruder und mir war, dass wir bei Olympia und der WM im Mixed-Team zusammen springen und eine Medaille holen. Aber er musste ja aufhören“, sagt sie und lacht. „Nein, Spaß. Das nehme ich ihm natürlich nicht übel.“ Die zwei verpassten sich knapp.

In Sachen WM-Gold ist Selina mittlerweile gleichgezogen: 2023 zählte sie zur siegreichen Mixed- und Frauen-Mannschaft. Was Bruder und Vater ihr noch voraus haben, ist ein Weltcupsieg. Aber einen internen Familienwettkampf? „Nein“, sagt sie, „den gibt es nicht.“ Um grinsend zu ergänzen: „Aber im Skifliegen habe ich meinen Papa schon geknackt.“

„Eine Frage der Zeit, bis sie ganz oben auf dem Podium steht“

Und der erste Weltcupsieg, da ist sich Bundestrainer Heinz Kuttin sicher, wird kommen. „Sie ist auf dem besten Weg, auch eine Siegspringerin zu werden. Selina hat sich zuletzt enorm entwickelt, was das Fluggefühl betrifft, und auch in Richtung Landung“, sagt er. „Sie hat schon jahrelange Weltcuperfahrung, ist aber immer noch sehr jung – sie hat viel Potenzial.“

2019, als 17-Jährige, gab Freitag ihr Weltcup-Debüt, 2023 erklomm sie dann erstmals und insgesamt dreimal in Einzelwettbewerben das Podest.

In dieser Saison legte sie nun nach: viermal Platz zwei, zweimal Rang drei. Nur der allerletzte Schritt fehlt noch. „Sie ist schon ein kleines bisschen ungeduldig geworden, da sie bereits zweimal die Qualifikation gewonnen und auch nach dem ersten Durchgang geführt hat. Situationen, in denen sie noch nicht Herr der Lage war, aber das sind wichtige Erfahrungen“, berichtet Kuttin. „Wir reden auch darüber, wie man in solchen Situationen ruhiger bleiben kann. Für mich ist es eine Frage der Zeit, bis sie ganz oben auf dem Podium steht.“

Melanie Haack ist Sport-Redakteurin. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport sowie über Themen aus dem Fitness- und Gesundheitsbereich. Hier finden Sie ihre Artikel.

Source: welt.de

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