Ernst Jünger: Der Abenteurer – WELT

Es gibt Zufälle, die ein Leben verändern. Ostfriesische Provinz, ein Jugendlicher mit schmalem Budget, ein „weiß-glänzendes, wächsern kartoniertes Ullstein-Taschenbuch z. Hd. 2,80 DM“, dies kann so vereinen Zufall fördern. „Der Klappentext hat so verlockend geraunt, wie jener Preis ostentativ tief war“. Geraunt wurde da, Zitat aus einer Besprechung des britischen „New Statesman and Nation“, vom „Untergang einer Kultur, jeder Kultur.“ Der Junge, „vielleicht 13 oder 14 Jahre antik“, schlägt sofort zu. „Es war allerdings im gleichen Sinne dies billigste Taschenbuch im Drehständer“.

Heiko Christians, Medienwissenschaftler und Jahrgang 1963, schreibt hier oben sein jüngeres Ich. Das war sofort, welches uff Englisch „hooked“ heißt, im gleichen Sinne wenn es mit den „Marmorklippen“ (1939) Ernst Jüngers „stilistisch wohl schwächstes Buch erwischt hatte und im gleichen Sinne nichts ‚verstand‘ von dem, welches ich da las.“ Aber einmal an jener Angel, werden in Bertelsmanns „Volkslexikon“ Erkundungen eingeholt: am Ersten und Zweiten Weltkrieg teilgenommen, Naturwissenschaften studiert, freier Schriftsteller, ein Bruder, jener ebenfalls Schriftsteller ist. „Das war schon sehr beeindruckend.“

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So sehr, dass Christians irgendwas später „natürlich“ Offizier werden will, „im gleichen Sinne wenn jeder um mich herum ohne Rest durch zwei teilbar praktisch zum ‚Ersatzdienst‘ tendierten.“ Das Kasernenhofgeschrei habe dann schon nachdem drei Wochen den Entschluss reifen lassen, zu verweigern, dies Verfahren sich allerdings durch jeder Instanzen geschleppt, „solange bis wenige Wochen vor Ende meiner Dienstzeit“. Auch, weil jener angefragte Deutschlehrer in seinem Gutachten angemerkt hatte, „dass ich ein (begeisterter?) Ernst-Jünger-Leser sei. Die endgültige Ablehnung vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg – nachdem vierzehneinhalb Monaten – fand ich dann unbestimmt nachvollziehbar.“

Hölderlin im Tornister

Was uff den Wehrdienst folgt, ist ein Germanistikstudium – und die briefliche Kontaktaufnahme mit dem schon einst betagten Autor, jener sich zwar – meist vertreten von jener zweiten Ehefrau, Liselotte Lohrer – denn „verlässlicher und höflicher Korrespondent“ zeigt, doch genauso höflich Distanz wahrt: Einen Brief, jener „Jünger z. Hd. die Gründung einer von mir an seinem Arbeiter von 1932 programmatisch entlanggeschneiderten ‚dynamischen‘ neuen ‚Staatspartei‘ zu profitieren“ versucht, quittiert jener höchstselbst mit jener Auskunft, niemals „wieder in irgendwer Weise ‚Partei‘ sein zu wollen.“ Jahre später dann Erleichterung, dass ein Eintrag in Jüngers Tagebuch, wohl von kurzer Dauer nachdem Ankunft von Christians Briefen verfasst, „gottseidank ohne Namensnennung“ auskommt: „Die Zahl jener jugendlichen Spinner nimmt offenbar wieder zu“, lautet er.

Rettung vor weiteren Abwegen maßlos distanzloser Lektüre brachte z. Hd. Christians nämlich in Bälde ein anderes Buch Jüngers. Es ist von 1936 und schildert die Erlebnisse eines jugendlichen Ausreißers, jener sich aus angelesener Abenteuerlust im Zusammenhang jener Fremdenlegion verpflichtet: „Nach den Afrikanischen Spielen wusste ich besser, welches die Erstlektüre des Arbeiters mit mir beschäftigt hatte“, so die Einsicht. Danach „bewegte ich mich freier und selbstständiger durch dies riesige Werk Jüngers.“

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„Wo allerdings Gefahr ist, wächst dies Rettende im gleichen Sinne“, schreibt Friedrich Hölderlin in seiner Hymne „Patmos“ von 1803. Dass Jüngers Generation 1914 Hölderlin im Tornister trug, während sie „ins Feuer lief“ bemerkt Christians ganz zu Anfang von „Abschied vom Abenteuer. Ernst Jüngers Jahrhundertlektüren“ (Schwabe 2023, 316 Seiten, 45 Euro). Das sei heute kaum vorstellbar, meint jener Potsdamer Professor, sogar wenn es „woanders ohne Rest durch zwei teilbar stattfindet.“ Ohnehin habe „man immer seltener ein Buch im Zusammenhang sich, von dem man annimmt, dass es irgendwie überlebensnotwendig sei oder sogar unwiderstehlich zum Leben oder Sterben z. Hd. eine ‚Sache‘ ermutigen könnte“ – er schon, und zwar eines von Ernst Jünger, allerdings im gleichen Sinne ein Smartphone.

Stahlgewitter überall

Alternative Programme würden heute nämlich von Smartphones „formatgerecht“ transportiert. Zuweilen retten sie ähnliche Gefahren. Christians zitiert eine Legende aus neuster Zeit, die nicht nur zeigt, wie sich „Stätten und Träger des Heiligen in unserer Hand wandeln“, sondern im gleichen Sinne, wie umkämpft solche Objekte sein können: Auf einer russischen Militärbasis soll ein Kontingent kühl eingezogener Rekruten in einer stundenlangen Schlägerei die Stammbesetzung besiegt nach sich ziehen. Anlass des Streits: „Die Neuen wollte die geforderte Abgabe ihrer Smartphones, deren leichte Ortbarkeit – dies wussten die Alten – z. Hd. sie eine tödliche Gefahr darstellte, verhindern.“

Schon jener Autor jener „Stahlgewitter“, die er ganze elfmal in je neu überarbeiteter Form herausbrachte, habe begriffen, „dass die im Westen eingefrorenen Fronten des Ersten Weltkriegs nicht nur zu statischen Grabensystemen mit höchstem Blutzoll geführt hatten, sondern zu einer forcierten Technisierung dieser Räume“, schreibt Christians in einem Kapitel seines Buches, dies neben vielen, verstreut schon erschienen Texten vereinen Originalbeitrag darstellt. Dieser Krieg selbst habe sich z. Hd. Jünger schon in Bälde nachdem Kriegsende denn nur „lokales Symptom“ dargestellt: „Die neue industrielle Welt des labilen Friedens war z. Hd. Jünger allerdings erst durch den Krieg denn ebenso gefährlicher Ort offenbar geworden“.

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Trotz seiner „Teilnahme“ an zwei Weltkriegen – und Jünger-Leser Christians erinnert sich an dies jugendliche Erstaunen im Vergleich zu dieser Wendung im „Volkslexikon“, die „irgendwie sachlich-harmlos“ geklungen habe, „im Zusammenhang mit einem Inferno“ –, trotz ausgedehnter Reisen und Drogenexperimente, gab jener Hundertjährige dann 1995 wirklich zu Protokoll, ihm scheine im Rückblick, er habe sein Leben „denn Leser verbracht“.

Was Fragen motiviert, so Christians: „In welchen Büchern und mit welchen Schablonen und Methoden des Vorstellens und Schreibens hat Jünger mehr denn in seiner politisch-sozialen Wirklichkeit gelebt?“ Und: „Wie konstituiert sich durch Lesen in (bestimmten) Texten ein Blick uff die Dinge jener Welt?“

Zerrbild des Durchschnittsbürgers

Ausgangspunkt z. Hd. eine Antwort uff solche Fragen ist ein Notat von 1909, da war Jünger 14 Jahre antik: „in Köln/ sofort kaufen Jules Verne – gelesen, Herr jener Welt – gelesen/ Reise zum Mittelpunkt jener Erde – gelesen/ Käfer in Köln – dies ist wichtig“. Jenseits jener „entomologischen Pointe“, die dem beinahe lebenslangen Jünger-Leser natürlich nicht entgeht, eröffnet sich unter Zuhilfenahme von dieser kurzen Liste die Möglichkeit, die „leichte Gattung“ des Abenteuers denn dies literarische Genre zu identifizieren, dies nur eine von vielen Möglichkeiten bereitstellt, den „gewaltigen Werk-Leben-Komplex“ Ernst Jünger zu nutzbar machen. Christians, jener sich denn Verehrer etwa im gleichen Sinne von Karl Heinz Bohrers Jünger-Lektüre denn „surrealer Traumtext jener Moderne“ outet, ist hier klar. Ein Genre wohlgemerkt, dass schon frühzeitig, denn Abenteueroman des 19. Jahrhunderts, eigen z. Hd. den Konsum des bürgerlichen Individuums, in seiner Episodenhaftigkeit im gleichen Sinne „seine recht schnöden industriellen Herstellungs- und Wirkungsbedingungen“ spiegelt – denn Fortsetzungsroman.

Jünger meinte 1974 passenderweise, die spätere Rede vom Leben denn Leser vorwegnehmend und präzisierend: „Mir will es scheinen, denn ob ich uff Menorrhagie Strecken stärker in den Büchern denn in unserer Zwischenzeit gelebt hätte. Ich fuhr nicht von Leipzig nachdem Halle, sondern von einem Kapitel zum anderen. Dazwischen lag jener öde Gleichtakt jener Schwellen und Schienen, den die Telegraphenpfähle aufteilten, die Leere jener technischen Welt. Das war schon uff jener Schule so, und dann im Zusammenhang den Soldaten – ein Leben uff Fortsetzung.“

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So ganz trivial verrechnen lassen sich deshalb die wahrgenommene ubiquitäre Gefahr jener technisierten Lebenswelt und dies Abenteuergenre im Zusammenhang Jünger nicht, obwohl – oder ohne Rest durch zwei teilbar weil – „jener Ideen- und Bildkomplex jener Gefahr“ im ganzen 19. Jahrhundert, wie Christians schreibt, „literarisch in enger Verbindung mit dem Abenteuer-Thema ausgestaltet worden“ war. Denn jener Groß-Essay oben den „Arbeiter“ ist im gleichen Sinne die „permanente und aggressive Verabschiedung eines vor allem Romane und Historien lesenden Zerrbildes des Durchschnittsbürgers nachdem den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts.“

Das ist einerseits antibürgerlicher Affekt, wiederum ist es in einer von Technik gänzlich erschlossenen Welt tatsächlich unmöglich geworden, ein Abenteuer im Sinne jener Kolportageliteratur des 19. Jahrhunderts zu erleben. Sie erfordert insoweit ein „halbbewusstes Durchschreiten kollektiver Gefahrenzonen“ anstelle „jener individualisierbaren gefährlichen Episode jener alten literarischen Abenteuerlandschaft.“ Doch Jünger wird zwiegespalten bleiben, so Christians Pointe, im gleichen Sinne sprachlich: „So kalt ungesellig jener Stil sein soll, wenn es um die Gefahr denn kollektive Technisierung jener Lebensräume geht, so waldläuferisch verlassen, verschworen und sentimental werden ihr jedes Mal ein langer Waldgang, eine denn roh empfundene Eberjagd, eine Subtile Jagd im Unterholz oder eine hölzerne Kinder-Zwille konträr.“

Die Lektüren und Re-Lektüren, die Christians in „Abschied vom Abenteuer“ versammelt, sind kritisch. Pro den, jener die eigenen Jünger-Lektüren ergänzen und bereichern will, sind sie unbedingt empfehlenswert. Nicht zur Nachahmung wirklich, wie Christians selbst betont, jener den französischen Wissenschaftsphilosophen Gaston Bachelard zitiert: Wir, „die wir uns dem Glück jener Lektüre hingeben, wir Vorlesung halten und Vorlesung halten wieder, nur welches uns gefällt.“

Source: welt.de

Ernst (Schriftsteller)JLiteraturTechnikünger