
Die Probleme für den britischen Pharmakonzern Astra-Zeneca in China spitzen sich zu. Gegen Leon Wang, Präsident von Astra-Zeneca in der Volksrepublik, werde ermittelt, teilte das Unternehmen mit. Wang kooperiere mit den Behörden, genauso wie Astra-Zeneca selbst. Weitere Details veröffentlichte das Unternehmen nicht. Die Geschäfte des Pharmakonzerns würden unter der Verantwortung des Landesgeneralmanagers Michael Lai weitergeführt. Weshalb gegen den Topmanager ermittelt wird, blieb unklar. Ebenso, ob Wang festgenommen wurde oder auf freiem Fuß ist.
Der Aktienkurs von Astra-Zeneca gab am Mittwochnachmittag um mehr als vier Prozent nach. Damit sank der Börsenwert des wertvollsten britischen Unternehmens um etwa sieben Milliarden Pfund (mehr als acht Milliarden Euro). Astra-Zeneca hat in den vergangenen Jahren stark zugelegt. Der Kurs stieg seit 2019 um 50 Prozent. Im August erreichte Astra-Zeneca als erster britischer Konzern erstmals einen Börsenwert von 200 Milliarden Pfund, seitdem ist er auf 170 Milliarden Pfund zurückgefallen.
China ist für den Pharmakonzern ein sehr wichtiger Markt. Dort ist das Unternehmen mit seinen Arzneimitteln gegen verschiedene Krebsarten und Asthma auf Wachstumskurs. 2023 verkaufte Astra-Zeneca in China Medikamente für umgerechnet 5,5 Milliarden Euro, das waren 13 Prozent seines Gesamtumsatzes. Vorstandschef Pascal Soriot hat sich wiederholt sehr positiv über den Standort geäußert.
Bereits im September gab es Festnahmen
Im September nahm die Polizei von Shenzhen mehrere Mitarbeiter von Astra-Zeneca fest. Die Vorwürfe sind weitreichend: Es geht um die Manipulation von Testergebnissen, Versicherungsbetrug, mögliche Verstöße gegen Chinas Datenschutzgesetze und Medikamentenschmuggel. Gegen den Pharmakonzern laufen in der Volksrepublik seit mehr als zwei Jahren immer wieder Ermittlungen. Vorstandschef Soriot sagte im September zu den Festnahmen, es gehe nur um eine „kleine Zahl“, acht oder neun Mitarbeiter; das Unternehmen mache „Compliance“-Trainings zur Befolgung aller Regeln und Gesetze. Astra-Zeneca beschäftigt in China fast 17.000 Mitarbeiter, davon 12.000 Außendienstmitarbeiter. Damit ist es das größte westliche Pharmaunternehmen in der Volksrepublik.
Dass nun gegen den Toplandesmanager ermittelt wird, bedeutet eine neue Dimension. Wang, der 2013 von Roche zu Astra-Zeneca wechselte, hat in dem Unternehmen eine steile Karriere gemacht und wurde schnell Präsident der Landesgesellschaft. Er hat den Aufbau von Tausenden Zentren in lokalen Krankenhäusern vorangetrieben, in denen das Arzneimittel Pulmicort verabreicht wird, das gegen Asthma und chronische Atemwegserkrankungen hilft. An diesen leiden mehr als hundert Millionen Chinesen in dem Land mit hoher Luftverschmutzung. Ende 2023 hat Astra-Zeneca zudem das auf Zelltherapie spezialisierte Gracell Biotechnologies in China für 1,2 Milliarden Dollar übernommen.
Betrugs- und Korruptionsermittlungen sind in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt an der Tagesordnung. Meistens richten sich diese gegen Manager chinesischer Unternehmen oder Parteimitglieder, mitunter aber auch gegen Vertreter ausländischer Konzerne. Ob dahinter politische Motive stehen, ist meistens nicht aufzuklären. Es gibt Anwälte, die darauf spezialisiert sind, ausländischen Unternehmen zu helfen, korrupte Mitarbeiter zu finden. In den vergangenen Monaten lief eine staatliche Antikorruptionskampagne, die sich speziell auf die Pharmabranche konzentrierte. Fachleute halten die Korruption in China für teilweise systembedingt, auch weil es keine unabhängige Justiz oder Presse gibt.