In der Welt der Ökonomie bräche am 1. August dieses Jahres die Katastrophe aus! Denn der 1. August 2024 ist „Erdüberlastungstag“ – jener Tag, an dem alle Rohstoffe aufgebraucht sind, die ein sich selbst erneuernder Planet in einem Jahr zur Verfügung stellen kann: Bauholz, Erdöl, Eisenerz und Phosphor für die chemische Industrie, Silizium für den Bau von Solarzellen.
Weltweit müssten die Fabriken wegen Rohstoffmangels schließen, um Strom gäbe es harte Verteilungskämpfe, denn zur Verfügung steht nur noch der, der aus erneuerbaren Energien gewonnen wird.
Wir sind aber nicht in der Welt der Ökonomie, weshalb der 1. August 2024 nur einige wenige erschrocken macht: Frischluft, Trinkwasser, Fisch oder jener Platz auf der Müllkippe, den wir zum Abladen unserer Treibhausgase nutzen, ist für dieses Jahr ja nur theoretisch aufgebraucht. Praktisch läuft unser Ressourcen-Verbrauch ungehemmt weiter.
Köln ohne Trinkwasser
Berechnet wird der Erdüberlastungstag vom Global Footprint Network, einem Wissenschaftsnetzwerk mit Sitz in Oakland im US-Bundesstaat Kalifornien. Basis der Berechnung ist die Biokapazität der Erde, also jene Menge der ökologischen Ressourcen, die unser Planet in einem Jahr erzeugen kann. Zu dieser Menge werden jene Ressourcen gegengerechnet, die von den Menschen jedes Jahr verbraucht werden. Und weil es immer mehr Menschen auf der Erde werden und die alle so leben wollen wie die Reichen und weil alle glauben, es gebe Rohstoffe wie Trinkwasser unbegrenzt, entsteht ein Fehlbetrag, der immer größer wird.
Die Menschheit zapft immer mehr Kapital der „Bank Erde“ an, ohne nennenswert etwas zurückzuzahlen.
Anders als in der Ökonomie funktioniert das nur, weil unsere Gläubiger noch nicht geboren wurden: Werden die Menschen im Jahr 2124 in Köln noch genügend Trinkwasser haben?
Die Alpen werden dann nahezu gletscherfrei sein, ein gigantischer Wasserspeicher, der heute noch den Rhein speist, ist dann versiegt. Ein Teil seines Trinkwassers erzeugt Köln heute aus dem Uferfiltrat des Rheins.
Kartoffeln aus der Wüste sind ein anderes Beispiel: Um heute kurzfristigen Gewinn einzustreichen, fördern Agrarunternehmer in der ägyptischen Sahara Grundwasser, um Gemüse anzubauen. Dieses jahrtausendealte Nass wird von moderner Pumptechnik gefördert, um dann als Frühkartoffeln in unsere Läden zu wandern. Das verschlechtert die Trinkwasserbilanz im ohnehin trockenen Ägypten weiter: Im Schnitt werden 407 Liter Wasser pro Kilogramm Kartoffeln benötigt, in Deutschland sind es nur 119 Liter.
Erstmals über ihre Verhältnisse lebte die Menschheit 1987: Erdüberlastungstag war damals der 19. Dezember 1987.
Signifikant stieg die Ressourcenverschwendung nach dem Zusammenbruch des Sozialismus: 1995 hatte die Menschheit bereits am 21. November jene Ressourcen verbraucht, die eigentlich bis zum Jahresende reichen müssen. 2011 war es der 21. August.
Immer mehr, immer schneller: Jedes Jahr rückt der „Earth Overshoot Day“ um weitere Tage im Jahr nach vorn. Einzig das Jahr 2020 bildete eine Ausnahme, die weltweite Corona-Pandemie sorgte dafür, dass der Erdüberlastungstag zurück auf den 22. August fiel. Aber dies war laut Global Footprint Network nur eine sehr kurzfristige Entwicklung – schon im Jahr 2021 hatte die Menschheit wieder das Verschwendungsniveau von 2019 erreicht. Im Jahr 2023 fiel das Datum auf den 2. August.
Wobei „die Menschheit“ nicht gleich verteilt zur Weltüberlastung beiträgt: Um die Unterschiede deutlich zu machen, berechnet das Global Footprint Network auch für wichtige Länder die Belastungen, und zwar nach demselben Muster: Die Biokapazität eines Landes wird den Verbrauchsdaten gegenübergestellt.
Deutschland schneidet in diesem Ranking schlecht ab, der „deutsche“ Erdüberlastungstag wurde in diesem Jahr auf den 2. Mai datiert. Das bedeutet: Die Deutschen leben nicht nur auf Pump zu Lasten künftiger Generationen, sie beuten auch noch die Ressourcen ärmerer Länder aus.
Gut anschaulich macht das der deutsche Fleischkonsum: Weil die hierzulande angebauten Futtermittel nicht ausreichen, werden zusätzlich massiv Flächen im Ausland in Anspruch genommen. Beispielsweise importierte die Bundesrepublik 2022 etwa 3,4 Millionen Tonnen Soja für die Verfütterung, was in Brasilien zur Vernichtung von Wäldern und zum Verlust von Biodiversität führt.
Je reicher ein Land, desto ungehemmter der Ressourcenverbrauch: Katar hatte schon am 11. Februar alles aufgebraucht, Luxemburg am 20. Februar, die Vereinigten Arabischen Emirate am 4. März, gefolgt von den USA, Kanada und Dänemark. Indien mit seinen 1,4 Milliarden Menschen lebt noch nicht auf zu großem Fuß. Die Reichen leben also nicht nur auf Kosten der noch nicht geborenen Inder, sondern auch auf Kosten der lebenden.
Dass irgendwann zurückgezahlt werden muss, ist allen Experten klar: So hat der ehemalige Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern 2006 im Auftrag der britischen Regierung berechnet, wie groß die Schäden des Klimawandels werden, wenn die weltweite Durchschnittstemperatur um zwei bis drei Grad steigt: so groß wie der Erste Weltkrieg und der Zweite Weltkrieg zusammen – und zwar jedes Jahr. Das Artensterben, die Ausbreitung der Wüsten, die Zunahme der Epidemien und der weltweite Verlust der Korallen, das alles ist in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten.
Nick Reimer hat mit Toralf Staud das Buch Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird veröffentlicht